Dem verbindlichen Halbjahresrhythmus folgend, hat Canonical nach der wichtigen Langzeitversion 20.04 vom April dieses Jahres die Oktoberausgabe 20.10 veröffentlicht. Es handelt sich um eine Zwischenversion mit neun Monaten Support bis Juli 2021.

Wer Ubuntu kennt, kennt auch die Nebenrolle der Oktoberversionen. Versionsziffern „JJ.10“ bedeuten immer Zwischenversionen, Short Term Versions (STS) mit beschränkter Ausdauer. Wegen der kurzen Laufzeit von neun Monaten ignorieren viele Anwender (Serveradministratoren sowieso) diese Ausgaben und konzentrieren sich auf die haltbaren LTS-Versionen (Long Term Support), die alle geradzahligen Jahre im April erscheinen – zuletzt und aktuell 20.04, die nächste erst wieder 2022 (Version 22.04).
Das neueste Ubuntu 20.10 („Groovy Gorilla“) ist jederzeit eine Empfehlung für eine Neuinstallation, hat aber nicht viel im Gepäck, was ein Upgrade eines laufenden 20.04 LTS rechtfertigen könnte. Letzteres tun in der Regel nur Ubuntu-Fans, die immer auf dem allerneuesten Stand bleiben wollen, zum Teil aber auch Anwender, die dringend eine neue Kernel-Version benötigen, weil diese ein konkretes Hardwareproblem behebt.
Der richtige Umgang mit Zwischenversionen
Ubuntu-Hersteller Canonical schätzt die Verbreitung von Ubuntu-STS-Zwischenversionen auf nur etwa fünf Prozent – 95 Prozent aller Ubuntu-Installationen wären demnach LTS-Langzeitversionen. Das ist nachvollziehbar, aber andererseits sind STS-Versionen keine Sackgasse.
Bevor die aktuelle Version 20.10 abläuft, bleiben drei Monate Zeit, um sie ab April 2021 per Upgrade auf Version 21.04 zu befördern. Ubuntus „Aktualisierungsverwaltung“ bietet dies aktiv an, sobald der Nachfolger 21.04 vorliegt. Voraussetzung für solche Benachrichtigung ist, dass unter „Anwendungen & Aktualisierungen –› Aktualisierungen“ die Einstellung „Für jede neue Version“ aktiv ist.
Das Upgrade selbst hat Ubuntu seit vielen Jahren vorbildlich im Griff, und es verläuft in aller Regel ebenso kurz wie erfreulich schmerzlos. Selbstverständlich kann auf dem beschriebenen Weg auch die bislang aktuelle Version 20.04 ab sofort auf 20.10 gehievt werden.
Dafür sollten aber triftige Gründe vorliegen, denn damit wird die pflegeleichte Langzeitversion 20.04 verlassen und es benötigt dann drei Upgradeaktionen (–› 21.04 –› 21.10 –› 22.04), um wieder einen LTS-Status zu erreichen.
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Ubuntu 20.10 mit Kernel 5.8

Neue Kernel-Versionen sind immer willkommen, weil ein aktueller Linux-Kernel neue Hardwaretreiber sowie Verbesserungen und Fehlerkorrekturen für Hardware- und Dateisystemnutzung mitbringt. Der Kernel 5.8 gilt zudem als umfangreichste Kernel-Entwicklung seit Jahren und behebt unter anderem ein lästiges Problem der Energieverwaltung, Bluetooth- und WLAN-Geräte aus dem Ruhezustand wieder aufwecken. Bemerkenswerte Weiterentwicklung gibt es bei den Dateisystemen Flash- Friendly-File-System, exFAT und BTRFS. Von neuen Hardwaretreibern im Kernel profitieren Geräte mit neuen Intel-Chips (Tiger Lake und Ice Lake), mit aktuellsten AMD-Prozessoren (Zen 3) und mit Thunderbolt ARM (USB 4.0). Bei sehr aktueller Hardware ist ein Linux mit möglichst frischem Kernel ein wichtiges Argument. Die LTS-Version Ubuntu 20.04 verwendet noch Kernel 5.4, dies übrigens auch nach dem Update auf das erste Point Release 20.04.1 (August 2020). Ein ganz starkes Motiv für ein Upgrade auf Version 20.10 ist der neue Kernel aber dennoch nicht, weil das anstehende Point Release Ubuntu 20.04.2 den jüngeren Kernel 5.8 demnächst ebenfalls enthalten wird. Diese Auffrischung 20.04.2 für die Langzeitversion wird Anfang 2021 im Januar oder Februar erwartet.
Liveboot und aktualisierter Installer
Beim Livesystem und beim Installationsmedium zeigt Ubuntu 20.10 einige bemerkenswerte Änderungen, die jedoch allesamt nicht unbedingt auf den privaten Endanwender zielen:
Prominentes „OEM Install“: Den Start des Ubuntu-Livesystems übernimmt jetzt Grub. Das vereinfachte Bootmenü zeigt jetzt nur noch fundamentale Optionen wie „Ubuntu“, „Ubuntu (safe…)“, „Test memory“ und erstaunlich prominent an dritter Stelle: „OEM install (for manufacturers)“. Diese Installationsvariante war früher dezent in den „Optionen“ (F4) untergebracht. „OEM install“ bietet für Hersteller und Admins eine saubere Setupvariante mit Anpassungsmöglichkeiten, die dem späteren Endbenutzer die Einrichtung des Erstbenutzerkontos überlässt. Für normale Anwender ist diese Option allerdings kaum relevant (Lubuntu lässt sie daher unter den Tisch fallen).
Ubuntu 20.10 und ZFS: Auch die nächste Änderung betrifft eine Funktion, die auf dem Endanwender-Desktop mindestens kontrovers zu beurteilen ist: Nach gestarteter Installation erscheint unter „Installationsart“ unter „Erweiterte Funktionen“ die bereits mit Version 19.10 eingeführte ZFS-Option „Festplatte löschen und ZFS verwenden“. Neu ist, dass Ubuntu 20.10 auf die bisherige Bewertung „experimentell“ verzichtet und das Dateisystem ZFS als normale Funktion einreiht. Unter der Haube wurde die ZFS-Unterstützung in der Tat signifikant ausgebaut. Der zuständige zsys-Dienst berechnet die Snapshot-Frequenz sensibler im Hinblick auf den verfügbaren Speicherplatz, ferner erhalten ZFS-Pools eine automatische Trim-Funktion, die zur Optimierung von SSD-Speicher wichtig ist. Die Trim-Aufräumfunktion musste bislang manuell ausgelöst werden (zpool trim).

Was das Dateisystem ZFS leistet und warum es auf dem Endanwender-Desktop in der Regel nichts verloren hat, skizziert der nebenstehende Kasten. Für hier ist festzuhalten, dass Ubuntu den Einbau von ZFS zwar vorantreibt, dass aber trotzdem noch alle Hilfsmittel fehlen, die einen Desktopeinsatz schmackhaft machen könnten. Für aktive und produktive Nutzung sind die hochkomplexen Terminaltools zfs und zpool notwendig. Das Mindeste, was Desktopnutzer erwarten dürften, wäre ein grafischer Zugang zu den gespeicherten Snapshots mit der Option, auf einen ausgewählten Punkt zurückzukehren. Dazu gibt es erste Experimente, aber deren Einzug in Ubuntu wird noch dauern.
Nur die Gnome-verwandten Desktops mit Ubiquity-Installer bieten ZFS an. Kubuntu (KDE) und Lubuntu (LXQT) verwenden den Calamares-Installer ohne ZFS-Option.
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Anmeldung bei Windows-Domänen: Eine dritte Neuerung, die für viele Desktopanwender keine große Rolle spielen dürfte, ist die Anmeldung im Active Directory von Windows-Domänen schon bei der Installation. Die Option erscheint beim Punkt „Wer sind Sie?“, also beim Anlegen des Erstbenutzers. Ganz unten gibt es hier das Kästchen „Active Directory verwenden“, das dann zu einem Unterdialog mit den Anmeldedaten führt. Dieser Neuerung der Ubuntu-Hauptversion ist allerdings mit Ubuntu Mate 20.10 nur eine einzige der offiziellen Varianten gefolgt. Die übrigen Editionen lassen diese Option weg.
Storniert: Elternkontrolle und nftables
Zwei Funktionen waren für Ubuntu 20.10 angekündigt, fehlen aber vorerst: „Parental Control“: Dies war für die Gnome-Hauptversion angekündigt und sollte unter „Einstellungen –› Benutzer“ beim Anlegen eines Kontos bestimmte Restriktionen ermöglichen – zeitliche Limits für die Browsernutzung sowie das Verbot, bestimmte Programme zu starten. Diese Funktion ist in Ubuntu 20.10 nicht aktiv.
Nftables: Das einschlägige Tool für Netzwerk-Filterregeln ist bislang iptables , für das es Front-Ends wie ufw oder gufw gibt, das aber bereits seinerseits ein „Front-End“ für die Netfilter-Softwareschicht des Linux-Kernels darstellt. Mit Version 20.10 wollte Ubuntu iptables durch das modernere nftables ersetzen. Da nftables von vornherein als Nachfolger von iptables konzipiert ist, sollte es volle Abwärtskompatibilität mitbringen und folglich keinen neuen Konfigurationsaufwand für Admins erfordern. Aus welchen Gründen dieser Plan gescheitert ist, ist nicht ersichtlich. Das Paket „nftables“ und das zugehörige Tool nft fehlt in allen Ubuntu-Varianten, die alle weiter weiterhin mit iptables arbeiten.
Ubuntu 20.10 mit Gnome 3.38

Ubuntu 20.10 präsentiert in Canonicals Standardedition den Desktop Gnome 3.38 und hier hat sich gegenüber der LTS-Version 20.04 (Gnome 3.36) wieder Einiges getan.
Compositor: Verbesserungen unter der Haube beim Compositor „Mutter“ versprechen flüssigeres Arbeiten und optimierten Multimonitorbetrieb mit unterschiedlichen Bildwiederholfrequenzen. Das heißt, dass der Monitor mit der höheren Frequenz nicht mit Rücksicht auf den anderen heruntergetaktet werden muss.
Anwendungsübersicht: Die bildschirmfüllende Programmübersicht (Win-A oder Klick auf das 9-Punkte-Icon im Dock) verzichtet jetzt auf die Unterscheidung „Häufig“ und „Alle“. Gezeigt werden immer alle Programme, aber die lassen sich ohne Rücksicht auf die alphabetische Sortierung individuell anordnen und bündeln – einfach per Drag & Drop: Wichtiges kann nach vorne und Marginales kann in einen Sammelordner zusammengefasst werden, indem man ein Icon auf ein weiteres zieht. Sammelordner lassen sich individuell benennen.
Sitzungsmenü: Mit das wichtigste Symbol in der Systemleiste ist das Sitzungsmenü (ganz links) mit den Shutdown-Optionen. Dieses übersichtlich aufzuräumen, ist gelungen und war auch überfällig, nachdem die wichtige Stromsparfunktion „Bereitschaft“ einige Gnome-Versionen lang praktisch unauffindbar war.
WLAN-Hotspot: Im Gnome-Control-Center unter „Einstellungen –› WLAN“ und erneut „Einstellungen“ wurde die Option „WLAN-Hotspot einschalten“ verfeinert. Nach Aktivschalten der Funktion erscheint ein QR-Code, um sich umstandslos mit einem Smartphone oder Tablet verbinden zu können.
Log-in per Fingerabdruck: Die Möglichkeiten zum biometrischen Log-in wurden in Ubuntu 20.10 erweitert.
Akkustand: Bei der Anzeige des Notebookakkus reicht manchen eine ungefähre Füllangabe, während andere eine exakte Prozentzahl bevorzugen. Gnome 3.38 bietet jetzt beide Optionen wahlweise.
ZFS im Kurzporträt
Den Wettstreit hochelaborierter Dateisysteme bestimmen in erster Linie BTRFS und ZFS. Ersteres gilt als etwas einfacher und in der Bedienfreundlichkeit fortgeschrittener, was insbesondere Open Suse beweist. Canonical (Ubuntu) hat sich aber auf die Seite von ZFS geschlagen und will mit Ubuntu dazu beitragen, dass ZFS das Standard-Dateisystem der Zukunft wird. Oracles ZFS-Dateisystem kennt nach heutigem Ermessen keine Größenbegrenzungen und kann Festplatten zu Pools oder redundanten Raids zusammenlegen. Am interessantesten für Endanwender sind die eingebauten Snapshots (Systemwiederherstellungspunkte) sowie integrierte Datenkomprimierung und -verschlüsselung. Dies sind nur die für Desktopanwender wichtigsten Eigenschaften dieses Dateisystems, das eigentlich alles kann.
Für Desktopsysteme bleibt ZFS dennoch kontrovers bis kontraproduktiv: ZFS ist komplex und muss im Terminal mit den Tools zfs und zpool verwaltet werden. Außerdem fordert ZFS eine großzügige Cacheverwaltung, deren RAM-Verbrauch von der Festplattenkapazität abhängt: Einige Hundert MB gehen verwaltungstechnisch grundsätzlich weg, ferner aber pro TB Plattenkapazität je ein GB RAM. Ein Desktoprechner mit einer Vier-TB-Platte muss also etwa vier GB RAM für ZFS abzweigen. Solches Szenario wird erst mit mehr als acht GB RAM sinnvoll.
Wer sich bei der Ubuntu-Installation dennoch für ZFS entscheidet, erkennt ZFS am komplizierteren Partitionsschema (etwa nach lsblk), im laufenden Betrieb aber erst auf den zweiten Blick: Jede Installation im Terminal wird durch – mittlerweile deutschsprachige – Infos begleitet (Beispiel):
Anforderung zur Speicherung des aktuellen Systemzustands
Erfolgreich als "autozsys okpszm" gespeichert
ZFS legt also standardmäßig Snapshots an und das Verwaltungstool zfs kann diese auflisten:
zfs list -t snapshot -o name,creation -s creation
Dies zeigt Snapshot-Name und Erstelldatum und sortiert („-s“) nach dem Erstelldatum – neueste zuletzt. Mit
zfs snapshot create [...]
und
zfs snapshot destroy [...]
lassen sich Snapshots auch manuell erstellen oder löschen – allerdings nicht ganz intuitiv, weil ZFS dabei alle Pfadangaben gemäß seiner rpool-Verzeichnisstruktur erwartet. Periodisch landen wichtige Snapshots auch im Grub-Menü – ein Service, den Canonical/Ubuntu federführend mitentwickelte. Damit kann der Systembenutzer über das Bootmenü zu einem früheren Zustand seines Ubuntu-Systems zurückkehren.
Die fünf weiteren offiziellen Ubuntus 20.10
Mit Kubuntu, Xubuntu, Lubuntu, Ubuntu Mate und Ubuntu Budgie gibt es fünf offizielle Ubuntu-Flavours mit anderen Oberflächen. „Offiziell“ bedeutet, dass deren Entwickler mit Canonical zusammenarbeiten und deshalb ihre Derivate gleichzeitig mit Erscheinen der Hauptversion anbieten können (anders als Mint, Zorin, Peppermint und andere). Wie zu Beginn dieses Artikel beschrieben, übernehmen – abgesehen vom neuen Kernel – nicht alle Varianten alle Änderungen der Ubuntu-Basis (ZFS, Domänenanmeldung). Darüber hinaus definieren sich diese Flavours über den jeweiligen Desktop:
Ubuntu 20.10: Alle Downloads im Überblick
Beachten Sie bei den nachfolgend genannten Downloadseiten, dass oft die LTS-Version 20.04 an oberster Stelle angeboten wird, die neue STS-Version 20.10 erst darunter.
• Ubuntu 20.10 (Gnome-Hauptedition, 2,7 GB)
• Ubuntu Mate 20.10 (Mate, 2,5 GB)
• Kubuntu 20.10 (KDE, 2,6 GB) hat unter anderem den Dateimanager Dolphin überarbeitet, um für weitere Dateitypen eine Vorschau bieten zu können und den Fernzugriff auf Remotecomputer zu verbessern.
• Xubuntu 20.10 (XFCE, 1,7 GB) bringt keine nennenswerten Desktopneuerungen.
• Lubuntu 20.10 (LXQT, 1,7 GB) liefert eine Reihe dezenter Komfortverbesserungen beim Dateimanager Pcmanfm, der Systemleiste, bei der Suche im Menü und in der Konfigurationszentrale.
• Ubuntu Budgie 20.10 (Budgie, 2,4 GB) erhält zahlreiche Detailkorrekturen und Bugfixes, die aber allesamt zur Sparte „Marginalien“ zählen.
NEU: Desktop-Ubuntu 20.10 für Raspberry Pi 4: Für den Platinenrechner gab es bislang den schlanken Ubuntu Server ohne Oberfläche. Ubuntu Server 20.04 wird auch weiterhin für alle Raspberry-Modelle 2, 3 und 4 angeboten . Neu ist hingegen, dass das neue Desktop-Ubuntu 20.10 für den ARM-Platinenrechner kompiliert wurde und ebenfalls auf dieser Webseite verfügbar ist. Konsequenterweise gibt es den Ubuntu-Desktop aber nur für das relativ leistungsstarke Modell 4. Der Download des komprimierten Images umfasst 1,6 GB.