Far Cry 6 wird richtig groß: Zum ersten Mal in der Serie erstreckt sich die Open-World über eine ganze Nation. Statt Dörfer mit einer Hand voll Einwohner im Dschungel, gibt es hier eine Hauptstadt mit hunderten Gebäuden, die sich nach Mafia 4 meets GTA 6 anfühlt. Und eine düstere Geschichte trifft auf skurrile Waffen – den Makarena-Werfer Discos Locos etwa oder einen Alligator, das Haustier der neuen Protagonistin Dani. Far Cry 6 im Mega-Preview.

Es ist Nacht in Esperanza. Bunte LEDs beleuchten schummrige Bars mit Namen wie El Senor, vereinzelte Straßenlaternen werfen ein wenig Licht, aber insgesamt ist es ganz schön dunkel in diesen ersten Minuten des Gameplays von Far Cry 6 . Als Dani Rojas streifen wir durch die Hauptstadt, denn erstmals in der Far-Cry-Serie soll es auch richtig urban werden, und hier gibt es richtig knackigen Häuserkampf mit ziemlich kruden, aber schon auch irgendwie brillanten Waffen: Dosen nutzt Dani als Schalldämpfer, wenn sie durch die engen Gassen schleicht, eine Massenerschießung von Zivilisten aufklärt und eher Informationen sammeln will, statt die richtig großen Waffen rauszuholen. Denn auch die haben die Guerillas. Als Panzer auffahren, schießt sie gleich sechs Raketen aus ihrem Raketenrucksack ab.
Ja, richtig gehört, wir nutzen nicht etwa einen klassischen RPG-Raketenwerfer, sondern Dani kniet sich hin, drückt aufs Köpfchen, die ganze Wucht von sechs Raketen geht auf den Feind nieder und lässt Panzer im brennenden Inferno lodern. Was zwar bombastisch ist, aber nicht zwingend effizient, denn, wer will, kann auch eher den Style aus Triple X meets Fast & Furious nachahmen, die Stahlmonster kapern und damit selbst Jeeps von Antón Castillos Armee in die Müllpresse schicken oder auch einfach mit dem Geschütz aufzuräumen. Es gibt aber auch eine Menge Stealth-Waffen, die ebenfalls alle selbst gebastelt sind und von makaber bis witzig reichen. Dani nutzt etwa einen alten CD-Player, in den sie Sägeblätter einspannt, der Makarena spielt und so weniger auffällt – damit lässt sich ganz lautlos eine Patrouille ausschalten. Die KI scheint dabei eher zweckmäßig zu sein und wenig intelligent, sie stören sich nicht daran, wenn jemand mit derart großem Gerät vor ihrem Kontrollposten rumschleicht. Far Cry 6 soll diese Fantasie des Guerilla-Kampfs aufleben lassen, gibt uns ergo Waffen an die Hand, die maximalen Schaden machen, räumt aber auch deutlich mehr Möglichkeiten für Stealth und Social Stealth ein: Wir können Wachposten bestechen oder bezirzen und sogar des Nachts in die Villa von El Presidente einbrechen wie Sam Fisher.

Dani hat dabei auch deutlich mehr Charakter als die Protagonisten von Far Cry 5 und 4, die sehr austauschbar wirkten. Als Kind muss sie mit ansehen, wie ihre Eltern auf einem Schiff auf Befehl des Diktators ermordet werden und erlebt, wie ihre wunderschöne Insel mehr und mehr verkommt. Wo einst Schwimmbäder waren, sind jetzt Foltergefängnisse und die ganze Insel ist durchzogen von schwer bewachten Checkpoints. Sie (oder er, denn genau wie in Assassin’s Creed können wir die Figur wählen, der Name bleibt aber gleich) selbst ist dabei auch selbst ziemlich hart drauf – ähnlich wie in Far Cry 3 brennt sie sich etwa blutende Wunden mit einer Zigarre aus, schreit dabei kurz auf, weiter geht’s. Scheint so als wollte Far Cry 6 gute, alte Open-World-Atmosphäre mit so einem 80er-Jahre Actionheld-Charme vereinen, denn Dani ist vor allem eines: Bad-Ass, weil, na ja, wer schießt sonst Raketen von seinem Rücken ab, setzt die halbe Umgebung in Flammen mit einer Art Jetpack, was sie aber nur wenige Meter über den Boden hebt, um selbigen in einen Feuerteppich zu verwandeln. Und hat einen Alligator als Haustier…
Wenn das Haustier ein Alligator ist…

Wer Lust auf klassische Insel-Open-World hat, der muss sich keine Sorgen machen, denn tatsächlich spielt Far Cry 6 in vier riesigen Gebieten. Nur eines davon ist Esparanza, die Hauptstadt, die allerdings sehr weitläufig zu sein scheint. Sie besteht nicht wie etwa in Far Cry 5 nur aus drei Straßenzügen, sondern hunderten von Häusern, engen Gassen und vielen Bewohnern, die ganz alltägliche Probleme haben - etwa einen Motorschaden. Die Straßen sind auch nicht leer wie in Far Cry 4, sondern belebt wie in etwa Mafia 3. Die anderen Gebiete sind von Dschungel, Gebirgslandschaften, weiten Feldern, majestätischen Festungen auf Hügeln oder auch einfach kleinen Dörfern geprägt, die ganz schön zeigen, wie diese von Kuba inspirierte Insel vor der Machtergreifung des Diktators ausgesehen hat. Ubisoft Toronto zeigt in der Weltpremiere unter anderem ein schönes Schwimmbad, in dem es sich alle früher gut gehen ließen, heute ist es ein Gefängnis und ein Folterlager der Regierung, in dem Menschen verschwinden.

Ubisoft hat sich für einen etwas anderen Story-Ansatz entschieden, in dem der brutale Diktator versucht, seinen Sohn in seine Gedankenwelt reinzuziehen, der sich zunächst wehrt, diesem aber immer mehr erliegt. Wir können uns gut vorstellen, dass Dani versucht, ihn umzustimmen, denn sein Vater ist offensichtlich krank – er legt seinem Sohn im Teenager-Alter eine Granate in die Hände, zieht den Splint: „Du hast die Granate jetzt voll im Griff. Erst wenn du loslässt, macht sie Booom.“ Was man dazu wissen sollte: Als der heutige Präsident ein Kind war, wurde sein Vater vor seinen Augen von Revolutionären exekutiert. „Unser Volk weiß einfach nicht, was Glück bedeutet. Es ist gespalten, von Meinungen, von Gerüchten. Es ist erdrückt von seiner eigenen Freiheit.“ Großartig geschauspielert von keinem Geringeren als Giancarlo Esposito, der schon in Breaking Bad so stark aufspielte und jetzt in The Mandalorian als Moff Gideon zeigt, was er kann. Er ist eine furchteinflößende Figur, eine mit makelloser Leinwandpräsenz, die als imposantes Hindernis für eine echte Revolution erscheint. Antagonisten zu schreiben, das lag Ubisoft schon immer.

Wie der Vater seinen Sohn versucht zu „brainwashen“, wird sicherlich spannend für die Geschichte. Der Diktator glaubt, nur er könne für sein Volk entscheiden und ist bereit, es dafür zu opfern. Als wir in einer Szene auf das Restaurant Paladar Fajardo treffen, foltern gerade die Agenten von Castillos Geheimdienst einen der Informanten der Guerillas und drohen, seinen ohnehin schon blutenden Körper in ein Becken hinabzulassen, in dem sich andere Alligatoren tummeln. Unser eigener Alligator, der lustigerweise sogar ein Jäckchen mit dem Abzeichen der Freiheitskämpfer trägt, kann sich jetzt entweder um die anderen Krokos im Teich kümmern oder die Agenten von El Presidente. Dem Alligator können wir nämlich Ziele zuweisen. Klingt komisch, aber das hat schon in Far Cry 5 mit dem Bär Cheeseburger schon ganz gut geklappt. Es wird interessant zu sehen sein, ob es Ubisoft etwas besser als in Far Cry 5 gelingt diese Comedy-Elemente mit seiner eigentlich recht erwachsenen, düsteren Geschichte zu verheiraten.
Social-Stealth und gepanzerte Chevys mit dicken Waffen

Far Cry 6 scheint nach unserem ersten Eindruck überall mindestens eine Schippe draufzupacken gegenüber seinen Vorgängern und soll viel mehr unterschiedliche Spielweisen ermöglichen. Zum einen lassen sich Basen nicht mehr so leicht mit dem Heli knacken, wie noch in Far Cry 5, weil diese jetzt Raketenabwehrsysteme erhalten, die wir vorher via Stealth ausschalten sollten, sonst geht die Luftlandeoperation schief. Ob wir auch wieder Unterstützung von Piloten-Buddies anfordern dürfen, hat Ubisoft noch nicht verraten, würde uns aber wundern, wenn man diese enorme Stärke aus Far Cry 5 nicht übernimmt. Crafting wird eine sehr große Rolle spielen, denn hier auf der Insel lässt sich wirklich alles anpassen: Da werden aus Bunsenbrennern und Laser-Pointern Rotpunkvisiere gebastelt, die sich auf Sturmgewehre oder MP5s schrauben lassen. Und aus dem schnittigen Sportwagen, den man sich an einem von El Presidentes Ferienhäusern ausgeliehen hat, werden kurzum MGs an den Seiten eingebaut, die versteckt sind – wie bei James Bond.

Design-Fans dürfen sich wohl auch freuen, denn für jede Waffe haben wir bereits zig unterschiedliche Spray-Paints gesehen, die durchaus an Call of Duty: Warzone erinnern. Hier dürfte es also sehr viel zum Sammeln und Ausprobieren geben. Gerade Assassin’s Creed Valhalla hat gezeigt, wie verliebt Ubi in Loot ist. Wie genau das alles funktioniert, hat das Studio aus Toronto noch nicht gezeigt, wir hoffen aber, dass wir nicht wieder ohne Ende Tiere überfahren müssen, nur um eine neue Tasche schneidern zu können. Die könnte man sich ja auch am lokalen Markt kaufen. Interessant gestaltet sich auch das Social Stealth: So können wir etwa Soldaten und deren Kommandeure bestechen oder versuchen, Zwietracht unter ihnen zu sähen, damit wir einfach so durch ihr Sicherheitsnetz schlüpfen können. Dani weiß aber auch ihren weiblichen Charme einzusetzen, etwa als sie einem Posten am Tor zum Palast vorgaukelt, sie würde Weihnachtsbäume in die Residenz bringen.

Generell zeigt sich schon schön, dass Ubisoft sehr viel mehr als in Far Cry 5 mit seiner Hauptfigur spielen möchte – sie ist in Zwischensequenzen etwa aus der Hollywood-Kamera-Perspektive zu sehen, nicht mehr nur aus der Ego-Ansicht wie in den Vorgängern. Dani ist zudem nicht stumm, was uns in Far Cry 5 noch recht stark störte. Sie hat Charakter, etwas zu erzählen, weiß, wie man Menschen für sich gewinnt und liefert sich oft verbale Schlagabtausche, denn auch innerhalb der Armee der Freiheitskämpfer ist nicht ganz klar, wer hier eigentlich der Boss ist und die Karten in der Hand hält. Castillos Armee rüstet zudem mächtig auf: Es gibt Spezialeinheiten, die Schilde vor sich in den Boden rammen können, welches sie vor Beschuss schützt – da muss dann schon der Granatwerfer ran oder ein Molotow-Cocktail. Es gibt Einheiten auf Pferden, die sehr schnell unterwegs sind. In Panzern und Kampfhubschraubern übernehmen wir dann so eine Raketenstellung, werden die Waffen unseres Feindes schnell zu unseren Freunden.

Erster Eindruck: Genau das Far Cry, was wir immer schon wollten
Far Cry fuhr in den letzten Teilen immer mit angezogener Handbremse: Die Protagonisten der letzten beiden Teile waren sehr schwach, die Engine erlaubte keine großen Städte, sondern nur kleine Dörfer mit wenigen Straßen. Far Cry 6 wird jetzt so eine Art Mafia 4 (was wohl auf der E3 enthüllt wird) trifft GTA, wobei man eben nicht nur den urbanen Stealth und Häuserkampf hat, sondern auch tiefe Dschungel, durch die wir schleichen wie Rambo mit unserem Kampfbogen.
Schwierig wird es allerdings für Ubisoft, diese vielen Comedy-Elemente, wie etwa den befreundeten Alligator mit Rebellionsshirt mit der doch sehr düsteren Geschichte zu verheiraten.
Far Cry 6 erscheint am 07. Oktober 2021 für Xbox Series X / X / One, PS5/PS4 sowie den PC.
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