PC-WELT: Wann immer wir Diablo 4 spielen, müssen wir an dieses eine Zitat von Stanley Kubrick denken: „Every Frame a Painting“. Jeder Frame ein Gemälde. Diablo 4 wirkt sehr künstlerisch, hat sehr viele Elemente, die in ihrer Kombination ein harmonisches Bild ergeben und das Spiel wirken lassen, als würden wir in einem Kunstwerk umher wandeln. Wovon habt Ihr Euch inspirieren lassen? Besucht Ihr viele Museen überall auf der Welt, es gibt ja sehr viele Interpretationen der Hölle in unterschiedlichen Kunst-Ären.
Art Director John Mueller: Das ist ein sehr schönes Kompliment. Ich meine, weil es beabsichtigt war. Wir haben eine Design-Säule, die wir die Säule der alten Meister nennen. Als wir das Design von Diablo 4 entwickelt haben, wollten wir, dass es sich wie ein gotisches, mittelalterliches Gemälde anfühlt, welches zum Leben erweckt wird. Nicht wie eine Fotografie oder ein Film. Und so haben wir uns Künstler wie Albert Bierstadt angeschaut, einen naturalistischen Künstler, der Landschaften gemalt hat. Und diese sind sehr düster, sehr episch. Sehr diabolisch.

Jean-Louis André Théodore Géricault’s Kunstwerk, welches im Louvre hängt, diente als eine der Schlüssel-Inspirationen für Art Director John Mueller.
Jean-Louis André Théodore Géricault – La Balsa de La Medusa; Museo del Louvre via Wikipedia
Bewegen wir uns über der Erde, leben dort die Menschen. Die Monster sind eher unerwünschte Besucher. Die überirdische Welt ist das Heiligtum, die Welt, für die wir kämpfen. Gehen wir unter die Erde, ist alles möglich. Tauchen wir ab in die Dungeons, ist das der Eintritt in die Dunkelheit.
Es gibt da dieses absolut faszinierende Gemälde, mein Lieblings-Gemälde namens „Das Floß der Medusa” des französischen Romantikers Théodore Géricault, das in seiner Essenz so sehr Diablo ist wie wenig andere Kunst. Es ist eine sehr kraftvolle Zeichnung einer Welt der Menschen, die zwischen dem ewigen Konflikt von Himmel und Hölle gefangen sind. Und genau das ist der Kern der Diablo-Serie. Es gibt schließlich viele alte Meister, die die Dämonen und Engel in Himmel und Hölle darstellen, mit den gequälten Menschen in der Mitte…
PC-WELT: Und zwischen all dem steht Lilith, die Tochter des Mephisto, die so eine Art Femme Fatale spielt, könnte man fast sagen. Klar teuflisch, aber auch mit so einer gewissen Verführungskunst, weil sie die Lust nach Macht einiger Menschen in Dialogen anstichelt…
Art Director John Mueller: Lilith ist nicht dieser grobschlächtige, riesige Monolith, wie man sich Diablo sonst oft vorstellt. Sondern sie ist eine Figur, die durchaus weiblich wirkt – fast menschlich, aber nicht ganz. Fast dämonisch, aber nicht wirklich. Es war enorm spannend für uns sie zu designen, weil sie diese rebellische Ausgestoßene unter den Dämonen ist, die das Sanctuary als einen Ort geschaffen hat, in der die Dunkelheit ungestört von anderen Dämonen und deren Armeen gedeihen kann.

Zwei enorm spannende Interview-Partner: Game Director Joe Piepiora and Diablo 4s Art Director John Mueller haben uns erzählt, wie die Art-Direction zur Säule für alles andere wurde – Atmosphäre der unterschiedlichen Szenarien, Monster-Design, Story, Musik.
Benjamin Kratsch
PC-WELT: Diablo 4 lässt uns öfter an Game of Thrones denken: Es gibt viele Grauräume, wenige Charaktere, die wir als klassische Helden titulieren würden und sehr, sehr viele, die nett tun, aber düstere Absichten verfolgen…
Game Director Joe Piepiora: Ich denke, es ist ein interessanter Vergleichspunkt, wenn wir uns andere Dark-Fantasy-Geschichten ansehen, die in ihrer Herangehensweise moralisch zweideutig sind. Bei Diablo 4 wussten wir, dass wir sicherstellen müssen, dass wir ein Spiel entwickeln, das der Diablo-Serie treu bleibt. Es ist mittlerweile eine langlebige Reihe, aber wir wollten auch sicherstellen, dass wir ein Werk erschaffen, das sich für neue Abenteurer zugänglich anfühlt. Es erzählt viele kleine Geschichten, hat viele Geheimnisse und Easter Eggs für Fans, aber auch für neue Spieler ist es, glaube ich, leicht einzutauchen. Daher der starke Fokus auf unsere Hauptakteure wie Lilith, die Mutter von Sanctuary.
Wir führen diese Figuren fast wie in einem Theaterstück ein, etwa den Erzengel Inarius, der die Armeen des Himmels gegen die der Hölle geführt und in der Serie gegen Baal, Mephisto und Diablo gekämpft hat. Das ganze Setting von Diablo 4 ist eine Welt, die zwischen dem sehr physischen, realen Kampf zwischen Himmel und Hölle stattfindet, zwischen dem die Menschen gefangen sind, und wir nehmen uns viel Zeit, die Motivation von Lilith zu charakterisieren. Sie ist diese Bewahrerin von Sanctuary, aber sie ist auch eine Dämonin. Sie lässt Schreckliches passieren, um aus ihrer Sicht heraus das Richtige zu tun.

Blizzards Art-Team hat für jedes Szenario ein Haupt-Artwork entworfen, welches die Basis für das Leveldesign stellte. Hier sehen wir fast alles, was für die Dry Steppes, die Trockensteppen atmosphärisch und im Level-Design wichtig ist.
Blizzard
Wer noch keine Xbox Series X hat, die gibt es gerade im Bundle mit Diablo 4 für 549 Euro.
PC-WELT: Habt Ihr Euch auch von der realen Historie inspirieren lassen? Die Cathedral of Light, die von Inarius angeführt werden, erinnern uns an die Formationen und Rüstungen der Römischen Legionen…
Art Director John Mueller: Es hat definitiv etwas mit unserem Ziel zu tun, Gemälde zum Leben zu erwecken. Es gibt viel historische Kunst, die gigantische Schlachtszenen zeigen. Es gibt sicherlich einige Rüstungen gewisser Ären – wie auch die der römischen Legionen, die sich anbieten, weil sie eine gewisse vertraute Epik transportieren. Wir verbinden mit diesen martialischen Schilden und Rüstungen etwas. Und dann gibt es diese faszinierende Komponente, wo tausende von Soldaten aufeinander getroffen sind, was mitunter eine Inspiration ist für unsere großen Schlachten, ohne zu viel verraten zu wollen (er grinst).

Ein moderner Leonardo Da Vinci: Blizzard und der Künstler Adam Miller haben die Chapelle des Jésuites in Cambrai, Frankreich mit einem wundervollen Diablo-4-Fresko verziert.
Blizzard
PC-WELT: John, was war die größte Herausforderung im Design von Diablo 4? Welche Aspekte musstet Ihr überarbeiten oder gar komplett neu denken?
Art Director John Mueller: Die zusammenhängende offene Welt war eine gigantische Herausforderung. Wir wollten die Möglichkeit schaffen, den ganzen Weg vom oberen Ende der Welt bis zum unteren Ende gehen oder reiten zu können, ohne jemals einen Ladebildschirm zu sehen. In früheren Versionen gab es ursprünglich viele Portale, die zum Reisen einladen. Die Entscheidung für eine offene, via Pferd hoch zu Ross frei zu bereisende Welt, hat uns dazu bewegt, sehr viel mehr über das Wesen von Geografie in seinem Kern nachzudenken und wie alles zusammenhängt.

Die Monster sind aus ihrem Szenario geboren – die Drowned etwa haben diese dicken Taue um den Hals, nutzen Teile eines Schiffes als Panzerung und etwa den Stumpf eines Masts als Waffe.
Blizzard
Um ein Beispiel zu nennen: Schauen wir uns die Fractured Peaks an, dann ist das eine Gebirgsregion mit vielen Gletschern und verschiedenen Biomen; in der südlichen Region von Fractured Peaks beginnt es tatsächlich zu schmelzen. Das Wasser, das von den zerklüfteten Gipfeln kommt, fließt in Hawezar hinunter, wodurch die Sümpfe entstehen. Diese Art von lebendiger Weltgeografie war etwas, worüber wir uns vorher noch nie Gedanken machen mussten, aber das war auch unglaublich spannend und eine tolle Herausforderung für das ganze Art-Team.
PC-WELT: In einem eurer eigenen Making-of-Videos habt ihr gesagt, dass Diablo 4s Welt nicht schön sein muss, sondern zu Abenteuern verlocken. Könnt Ihr das näher ausführen?
Art Director John Mueller: Einer meiner Lieblingsorte ist die Küste der Dry Steppes, der Trockensteppen. Ich liebe die Strände, diese voluminöse Farbpalette. Ich liebe die Stimmung dort. Es gibt all diese Entdeckungen, die man macht, wenn man dort herumreist, aber ich würde nicht sagen, dass es schön ist. Jedenfalls nicht so, wie man vielleicht im Urlaub etwas als schön bezeichnet (er lacht).
Uns war wichtig, eine wirklich große Palette an Szenarien und Locations anzubieten, die für sich stehen. Die in der Lage sind, über ihr Art-Design ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Jeder Ort hat seine eigene Lore – mal religiös bedingt, mal durch Katastrophen ausgelöst, Hungersnöte, Kriege. Diese können auf die Hauptstory einzahlen, aber sie müssen es nicht. Es ist ein bisschen wie ein Kunstwerk, in das man sehr viel hineinlesen kann. Oder einfach nur die Atmosphäre genießt, die es ausstrahlt.