Ob eine Ubuntu-Interimsversion mit kurzem Haltbarkeitsdatum allzu große Aufmerksamkeit verdient, sei dahingestellt. Die meisten Nutzer werden sich an die Langzeitversionen mit fünf Jahren Support halten. Ubuntu hat aber am Linux-Desktop fraglos eine Führungsrolle. Daher lohnt sich auch bei STS-Versionen ein genauer Blick, wohin die Reise geht.
Eckdaten zur Version 23.04
Ubuntu 23.04 („Lunar Lobster“) ist am 20. April 2023 erschienen. Wichtiger Namensbestandteil der stets skurrilen Ubuntu-Bezeichnungen ist immer das Attribut – hier also „Lunar“. Dies ist die eigentliche Versionsbezeichnung, die dann auch auf die zugehörigen Standard-Paketquellen verweist.
Die Zwischenversion erhält wie immer nur neun Monate Support bis Januar 2024 und muss ab Oktober 2023 zur nächsten Zwischenversion 23.10 upgraden (siehe dazu den Kasten „Upgrade“).

Ubuntu Unity und Budgie bieten die optisch ansprechendsten Desktops. Bedientechnisch spricht aber mehr für renommierte Ubuntu-Flavours mit Gnome, KDE, Cinnamon und XFCE.
IDG
Dringende Gründe, eine laufende Langzeitversion 22.04 LTS umzustellen, gibt es sicher nicht. Immerhin mögliche Motive für Version 23.04 sind der sehr aktuelle Linux-Kernel 6.2 für neue Hardwarekomponenten oder auch die jüngsten Grafikkomponenten für Spieler (Mesa-Treiber 23.0).
Selbstverständlich erhalten in der neuen Ubuntu-Version auch mitgelieferte Anwendungsprogramme wie Libre Office (7.5.2) oder Systemtools wie Gnome-Disk-Utility (44) eine Auffrischung, was aber kaum ein Upgrade rechtfertigt.
Spannender für Endbenutzer dürften die Neuerungen bei den Desktops sein, die aber sehr unterschiedlich ausfallen, wie der spätere Abschnitt „Editionen und Desktops“ zeigt: Einige Ubuntu-Varianten haben ihren Desktop so deutlich überarbeitet, dass sich der Neueinstieg oder das Upgrade lohnen könnte.
Die Unterstützung für das Canonical-eigene Snap-Format wurde insofern optimiert, als Snap-Updates während der aktiven Ausführung einer Snap-Software geladen und nach Beenden der Software automatisch eingespielt werden. Für Gamer interessant ist ferner die Tatsache, dass das Snap-Paket für die Spieleplattform Steam ab Ubuntu 23.04 mit dem Status „stable“ verfügbar ist (lange nur „beta“).
Die verbesserten Snaps kombiniert Canonical/ Ubuntu mit einem Verbot des konkurrierenden Flatpak-Containerformats: Ab Version 23.04 dürfen offizielle Ubuntus („Flavours“) keine Flatpak-Umgebung mehr ausliefern. Sie werden folglich ab sofort auf keinem Kubuntu, Xubuntu oder Ubuntu Cinnamon etc Flatpaks antreffen. Das Verbot gilt aber natürlich nur für die Distributionen, nicht für den Endbenutzer: Wer das will, kann Flatpak und Flatpak-Software auch künftig manuell installieren und verwenden.
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Neuer Installer: Nur in Ubuntu Gnome

Neuer Installer (nur in der Gnome-Hauptversion): Funktional bringt das neue Setupwerkzeug gar nichts, doch wird die manuelle Partitionierung damit immerhin übersichtlicher.
IDG
Dass Ubuntu seit nunmehr 2006 das grafische Ubiquity (seinerseits ein Front-End für den textbasierten Debian-Installer) für die Systemeinrichtung verwendet, ist letztlich ein Kompliment für den altbewährten Schritt-für-Schritt-Installer. Der schon für Version 22.10 angekündigte Nachfolger wurde nun für Ubuntu 23.10 abgeschlossen, und der macht – genau dasselbe wie der Vorgänger!
Funktional hat sich für private Nutzer absolut nichts geändert. Es handelt sich nur um eine kosmetische Auffrischung mit abgerundeten Fensterecken und luftigeren Optionsabständen. Immerhin bietet der Dialog zur manuellen Partitionierung jetzt mehr Platz für Laufwerke und Partitionen, was die Übersicht bei mehreren Datenträgern verbessert.
Ein sinnvolles Detail in diesem wichtigen Dialog ist ferner das neue Verhalten, dass die Partitionsanzeige nach Löschen einer Partition nicht mehr nach oben springt (zum ersten Gerät „sda“), sondern beim aktuell bearbeiteten Laufwerk bleibt. Das ist sinnvoll, weil an gleicher Stelle in der Regel ein neues Dateisystem eingerichtet werden soll.
Das sind aber letztlich nur kosmetische Verbesserungen, die auf einem Rechner mit nur einem Laufwerk wahrscheinlich gar nicht bemerkt werden. Unterm Strich ist diese Neuerung eher enttäuschend. Die einzige funktionale Neuerung ist nur für Unternehmen interessant, die Ubuntu-Systeme bei der Installation bei Azure-Active-Directory anmelden wollen – also für Microsoft-Kunden mit Microsoft-365-Enterprise-Abo.
Achtung: Der neue Installer tritt aktuell nur in der Gnome-Hauptversion auf. Alle anderen Ubuntu-Derivate bleiben vorerst beim bekannten Ubiquity (oder Calamares).
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Mini.iso: Installer-Comeback

Alternatives Setup mit Mini.iso: Das neue Ubuntu-Mini-ISO kombiniert Download und Installation. Aktuell hat es sechs Ubuntu-Systeme im Angebot.
IDG
Seit Version 18.04 hatte Canonical die Installationsvariante mit dem kleinen Mini.iso eingestellt. Es handelte sich um einen Netinstaller, der alle Pakete aus dem Netz bezog und dabei eine Benutzerauswahl zum gewünschten Desktop sowie einiger weiterer Komponenten erlaubte (ähnlich dem Netinstaller-Abbild von Debian). Das kleine Mini.iso (circa 110 MB) ist jetzt zwar wieder zurück, arbeitet aber deutlich anders als sein Vorgänger.
Das ISO bootet hier ein Minisystem im Stil von Netbook.xyz und bietet aktuell den Download folgender sechs Ubuntu-Systeme (Desktop immer mit Gnome):
- 3 × Ubuntu Server: 22.04.2 LTS, 22.10 oder 23.04
- 3 × Ubuntu Desktop: 22.04.2 LTS, 22.10 oder 23.04
Nach der Auswahl des gewünschten Systems folgt der Download des kompletten Abbilds in den Arbeitsspeicher. Danach und nach einem Prüfsummencheck mountet das Mini.iso das heruntergeladene Image und startet automatisch das Ubuntu-Livesystem inklusive Installer. Die nachfolgende Installation entspricht dem üblichen Prozedere.
Das kleine Mini.iso kombiniert daher nur Download und Standardinstallation. Weder reduziert es die Downloadmenge noch bietet es eine Softwareauswahl, die über die bekannte Alternative „Normal“ oder „Minimal“ hinausginge. Praktisch ist es insofern allemal, als es auf kleinstem Raum jederzeit die Installation aller aktuellen Ubuntu-Varianten erlaubt, sofern als Desktop ein Gnome erwünscht ist. Die Installation per Mini.iso hat aber zwei wichtige Voraussetzungen:
- Das Minisystem funktioniert nur mit Ethernet-Verbindung. Andernfalls bleibt es in Dauerschleife bei dem Versuch, über die Ethernet-Schnittstelle und DHCP eine Verbindung zu erhalten. Eine WLAN-Verbindung ist nicht vorgesehen.
- Der Rechner muss mindestens acht GB RAM besitzen, um das gewählte Image direkt in den Arbeitsspeicher zu laden. Dies gilt zumindest für die angebotenen Desktop-Ubuntus. Für die kleineren Serverausgaben genügen vier GB RAM. Immerhin wird diese Bedingung frühzeitig geprüft: Steht zu wenig RAM bereit, dann beendet sich das Minisystem sofort nach der Systemauswahl des Benutzers mit der Meldung „memory insufficient“.
Siehe auch: Warum Linux sicherer ist als Windows
Neue „Flavours“ mit Cinnamon und Unity

Ubuntu Cinnamon: Dieser Neuzugang bringt einen der beliebtesten Linux-Desktops in den Kreis der offiziellen Ubuntus.
IDG
Die Zahl der offiziellen Desktop-Flavours hat sich auf satte acht erweitert. Nachdem zuletzt mit Version 22.20 der Unity-Desktop den Weg zurück in die offiziellen Ubuntu-Flavours gefunden hatte, ist ab sofort auch der Mint-Desktop Cinnamon als offizielles Ubuntu-Derivat verfügbar. Die Distribution ist mit Cinnamon 5.6 desktoptechnisch auf dem Stand der Dinge und könnte sich als offizielles Ubuntu zum Linux-Mint-Killer entwickeln. Offizielle Ubuntu-Flavours übernehmen die originale Ubuntu-Basis und sind inoffiziellen (wie Linux Mint) damit immer einige Monate Entwicklung voraus.
Spätestens ab der nächsten Ubuntu-Langzeitversion 2024 wird sich zeigen, ob Mint-User tatsächlich treue Mint-User oder doch nur treue Cinnamon-User sind. Klar ist aber, dass Ubuntu Cinnamon die Ubuntu-Vorgaben einhalten muss: Die Snap-Umgebung sowie Snap-Container wie Firefox sind bereits vorinstalliert, die Flatpak-Unterstützung andererseits fehlt (siehe oben).
Hinweis: Zuletzt war der Neuzugang Ubuntu Cinnamon noch nicht endgültig und überall integriert: Die zentrale Ubuntu-Infoseite https://ubuntu.com/desktop/flavours verlinkte bei „Ubuntu Cinnamon“ noch auf eine ältere Community-Remix-Version, die auf Ubuntu 20.04.5 basiert. Das neueste Ubuntu Cinnamon 23.04 war aber hier zu erreichen.
Editionen und Desktops

Hauptedition mit Gnome: Die Neuerungen sind marginal – hier der Dateimanager Nautilus mit ausklappbaren Unterordnern.
IDG
Das primäre „Ubuntu“ (Canonicals Hauptedition) setzt bekanntlich auf einen angepassten Gnome-Desktop. Dessen Version 44 im neuesten Ubuntu hat nur marginalen Feinschliff zu bieten. Die dezenten Neuerungen im Systray-Bereich der Systemleiste, in den „Einstellungen“ (gnome-controlcenter, unter anderem „Maus und Tastfeld“) sowie im Favoritendock dürften selbst langjährigen Gnome-Nutzern kaum auffallen.
Im Gnome-Dateimanager Nautilus lässt sich unter „Einstellungen“ eine ausklappbare Ordneransicht aktivieren, um die Unterordner anzuzeigen (nur für die „Listenansicht“). Das Zusatzpaket „gnometweaks“ („Optimierungen“) bleibt weiter sinnvoll bis wichtig: Hier kann man stufenlos eine exakte Schriftenskalierung einstellen, den Fensterfokus ohne Mausklick anfordern und modale Unterdialoge vom Hauptfenster abkoppeln.
Die Gnome-Hauptversion ist weiterhin die einzige Edition, die standardmäßig den Displayserver Wayland nutzt, der sich aber am Anmeldebildschirm auf Xorg/X11 umschalten lässt.
Xubuntu: Kein anderes Ubuntu belohnt den Einstieg oder Umstieg auf Version 23.04 mehr als Xubuntu. Hier ist nämlich das brandaktuelle XFCE 4.18 an Bord, das sehr viele und zum Teil bemerkenswerte Neuerungen einführt. Hauptprofiteur der Überarbeitung ist der XFCE-Dateimanager Thunar mit zahlreichen Funktionen wie Bildvorschau, farbige Dateiauszeichnungen (unter „Eigenschaften“), rekursive Dateisuche, konfigurierbare Werkzeugleiste oder Fensterteilung mit F3. Die wichtigste Neuerung ist aber gewiss die Undo-Funktion („Bearbeiten –› Rückgängig machen“ für die letzten Dateiaktionen mit Thunar. Die „Einstellungen“ (xfce4-settings-manager) zeigen jetzt standardmäßig ein Suchfeld zum schnellen Auffinden eines Unterpunkts. Sinnvolle, zum Teil verspielte Verbesserungen gibt es auch für die Systemleisten und deren Applets.
Kubuntu: Mit KDE Plasma 5.27 bringt das neueste Kubuntu keine nennenswerten Neuheiten. Politisch interessant ist der Hinweis in den Release Notes, wie man sich Flatpak-Unterstützung manuell in die Softwareverwaltung Discover zurückholen kann:
sudo apt install flatpak plasma-discover-backend-flatpak
flatpak remote-add --if-not-exists flathub https://flathub.org/repo/flathub.flatpakrepo
Damit gehorcht Kubuntu zwar „pro forma“ dem Flatpak-Verbot von Canonical, unterläuft es aber aktiv mit dieser Anleitung.
Lubuntu: Da das jüngste LXQT 1.3.0 aus Zeitgründen nicht mehr integriert werden konnte, gibt es keine signifikanten Desktopänderungen. Nur beim Audioserver hat sich Lubuntu den anderen Ubuntu-Varianten angeschlossen und ersetzt Pulseaudio durch Pipewire.
Ubuntu Budgie: Der Gnome-basierte, aber auf klassische Bedienung getrimmte Budgie-Desktop ist in brandneuer Version 10.7.1 enthalten. Dessen Neuerungen sind überschaubar: Der Ausbau der „Hotcorners“ (aktive Ecken) auf alle acht verfügbaren Bildschirmkanten und Ecken ist eher kontraproduktiv.
Andere Desktops wie Cinnamon haben diese Methode des Programmstarts längst auf realistische vier Ziele reduziert. Gut gelungen ist hingegen die Überarbeitung des „Shufflers“: Diese – nicht von Budgie erfundene, aber hier elaborierte – Desktopfunktion skaliert Fenster nach Ziehen mit der Maus in Ecken oder auf Bildschirmränder. Die Größe des Programmfensters kann zusätzlich durch Drücken der Strg- oder Alt-Taste gesteuert werden – das klingt kompliziert, ist aber nach wenigen Versuchen sehr eingängig.
Ubuntu Cinnamon: Der Ubuntu-Neuling wurde bereits angesprochen. Entscheidend ist hier die Tatsache, dass sich der Desktop und Hauptkomponenten wie der Dateimanager Nemo auf dem Stand von Linux Mint befinden. Ein Linux Mint auf offizieller Ubuntu-Basis ist die Cinnamon-Ausgabe natürlich trotzdem nicht: Es fehlen die vom Mint-Team entwickelten XApps, die durch Gnome-Standards ersetzt sind (etwa Editor Gedit statt Xed), ferner Mint-Spezialitäten wie Warpinator (Filesharing) oder der nützliche Welcome-Dialog, schließlich auch Mint-Themen bei der Fenster- und Maus-Optik.

Ubuntu Mate: Hier gibt es nichts Neues – außer einigen KI-generierten Wallpapers, die mit dem Ubuntu-Versionsnamen „Lunar Lobster“ spielen.
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Ubuntu Mate: Der Mate-Desktop steht schon seit Ubuntu 21.10 auf Version 1.26. Die Release Notes nennen lediglich einige Bugfixes und etliche KI-generierte Hintergründe.
Ubuntu Unity: Der Desktop ist in der neuesten Version 7.7 vom Januar 2023 enthalten. Es handelt sich um optisch ansprechende, aber nur kosmetische Politur für das zentrale Dash und die Systemleiste. Außerdem wurde das Unity-control-center („Einstellungen“) überarbeitet.
Upgrade: 22.10 auf Version 23.04

Ubuntu-Upgrades lösen einen umfangreichen Austausch von Systemdateien aus, funktionieren aber seit Jahren pannenfrei.
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Wer aktuell den STS-Vorgänger 22.10 installiert hat, sollte auf das neue 23.04 umsteigen, da die Zwischenversion 22.10 nur noch bis Juli 2023 unterstützt wird. Ubuntus „Aktualisierungsverwaltung“ bietet dies aktiv an, sofern unter „Anwendungen & Aktualisierungen –› Aktualisierungen“ die Einstellung „Für jede neue Version“ aktiv ist.
Der Umstieg erfordert den Download von etwa 1,2 GB Einzeldateien, worunter gut hundert neue Pakete enthalten sind und etwa tausend Pakete aktualisiert werden. Eine knappe halbe Stunde ist einzurechnen. Sofern unter „/etc“ keine Konfigurationsdateien angepasst wurden, läuft die Aktion automatisch durch, andernfalls müssen Sie bei etlichen Konfigurationsdateien entscheiden, ob Ihre bestehende Konfiguration (zu empfehlen) oder der Ubuntu-Standard gelten soll.
Hinweis: Wer sich heute per Upgrade oder Neuinstallation für Ubuntu 23.04 entscheidet, steht natürlich Ende dieses Jahres vor der nächsten Upgrade-Pflicht – auf die nächsthöhere STS-Version 23.10.