Laptops haben ein Problem: ihren Bildschirm. Es gibt nur einen, und der ist zu klein, zu weit weg und jede nahestehende Person kann draufschauen. Sightful ist der Meinung, dass es dieses Problem mit dem Spacetop gelöst hat, einem Laptop, der den Bildschirm komplett streicht und mithilfe von Augmented Reality ein virtuelles 100-Zoll-Display vor dem Gesicht des Nutzers schweben lässt.
Und wissen Sie was? Es funktioniert!
Es fällt sofort auf, dass etwas anders ist. Klapp-Laptops lassen sich flach und dünn zusammenfalten; das Sightful Spacetop sieht eher wie eine gummierte, quadratische Calzone aus, die in eine Schutzhülle eingewickelt ist, wie man sie auch von einem Apple iPad oder Amazon Kindle kennt. Klappt man die Hülle auf, kommt das zum Vorschein, was das Spacetop so besonders macht: Ein dünnes AR-Headset, welches dort sitzt, wo man das Display des Laptops vermuten würde.
Einfach ausgedrückt: Das Sightful Spacetop wurde für Geschäftsreisende entwickelt, die einen Laptop mit einem riesigen, privaten “Display” haben möchten, das niemand sonst sehen kann. Setzt man die Brille auf, erscheint vor einem ein riesiger, gebogener virtueller Monitor, der nach oben, unten und zu den Seiten reicht.
Sie können Anwendungen in Fenstern anheften und deren Größe ändern: Gmail, YouTube, Word, Microsoft Teams. Das Spacetop ist ein Gerät, das man auf einem Flug benutzen könnte (wenn man sich nicht an den seltsamen Blicken der anderen Passagiere stört), in einer Geschäfts- oder Flughafen-Lounge oder sogar bei der Arbeit in einem Konferenzraum, wo man gerne einen größeren Bildschirm hätte.

Mark Hachman / IDG
Mit einem Preis von 2.000 US-Dollar (um die 1850 Euro + Steuern) ist das Spacetop als Business-Tool konzipiert, mit einem optimierten Arm-Prozessor, einem AOSP-Betriebssystem (Open-Source-Android) und natürlich dem speziellen Headset. Aber Sie müssen schnell zuschlagen: Sightful lädt auf seiner Website nur 1.000 “Early Adopters” zum Kauf ein und lockt sie mit der Möglichkeit, Feedback zu späteren Produkten zu geben.
Die überraschend einfache Hardware von Spacetop
Wir sind nicht der Meinung, dass das Sightful Spacetop den herkömmlichen Laptop überflüssig machen wird. Facebook (jetzt Meta) hat das schon früher behauptet, sowohl mit seinem Konzept des “virtuellen Büros” als auch später mit der (gescheiterten?) virtuellen Büroumgebung von Meta Quest Pro.
Nachdem wir jedoch beide Ansätze ausprobiert haben, ist der Unterschied klar: Die Augmented Glasses von Spacetop sind sowohl leichter als auch schärfer als die von Meta, was bedeutet, dass es weniger Ermüdungserscheinungen gibt. Anders als bei der Quest Pro war der Text immer gut lesbar, und beim Hin- und Herbewegen des Headsets gab es wenig bis gar keine Verzögerung.
Abgesehen von seiner ungewöhnlichen Silhouette unterscheidet sich das Spacetop-Gehäuse nicht allzu sehr von einem herkömmlichen Laptop – zumindest nicht im unteren Bereich. Das Gehäuse misst 10,47 Zoll (etwa 27 Zentimeter) in der Breite und 9,8 Zoll (etwa 25 cm) in der Tiefe und wiegt etwa 1.500 Gramm einschließlich des Headsets – also etwa so viel wie ein herkömmliches Notebook. Die Unterseite ist allerdings mit etwa 4 Zentimetern deutlich dicker. Sightful beauftragte Wistron, einen chinesischen ODM, der Laptops für andere Hersteller produziert, mit dem Bau des Spacetop.
Im Inneren gibt es Platz für zukünftige Verbesserungen: Sightful hat das Spacetop mit einem Snapdragon 865 aus dem Jahr 2019 gebaut und nicht etwa mit dem fortschrittlicheren Snapdragon 8 Gen 2. Zu den Spezifikationen gehören 8 GB RAM und 256 GB Speicherplatz, was für ein Notebook ziemlich Standard ist.
Natürlich ist die drahtlose Kommunikation (5G NR Sub-6, Wi-Fi 6, Bluetooth 5.1) sehr wichtig. Außerdem gibt es eine Webcam mit einer Auflösung von 2560×1920 Pixeln, die etwas besser ist als die anderer Laptops, und einen Fingerabdruckleser. Es gibt sogar zwei 10-Gbit/s-USB-C-Anschlüsse mit DisplayPort 1.4 Unterstützung, sodass Sie ein externes Display anschließen können, wenn Sie es unbedingt brauchen.

Mark Hachman / IDG
Aber warum sollten Sie das tun? Die wichtigste Hardware ist die, die sich an der Vorderseite des Gehäuses befindet: das Headset, das eine Auflösung von 1080p pro Auge bei 72 Hz liefert. Das Headset (146 x 175 x 44 mm, aufgeklappt) wiegt 106 Gramm, was etwa einem Viertel des Gewichts der fast nicht mehr existierenden Microsoft HoloLens entspricht, dem Augmented-Reality-Gerät von Microsoft.
Auch das Spacetop-Headset ist leicht
Der Blick durch die HoloLens war wie ein Blick durch ein Bullauge: Das Sichtfeld (30 Grad horizontal, 17 Grad vertikal) war viel kleiner als das 53 Grad diagonale Sichtfeld, das das Spacetop bietet. Das ist ein guter Kompromiss zwischen der Konzentration auf eine Aufgabe und der Wahrnehmung der Umgebung. Sightful platziert den größten Teil des Bildschirms am oberen Rand des Sichtfelds, sodass man alles, was einem zu Füßen liegt und über das man stolpern könnte, klar und ungehindert sehen kann. VR-Nerds werden es zu schätzen wissen, dass das Spacetop-Headset Augenabstände zwischen 56 mm und 70 mm unterstützt.
Die Auflösung des Spacetop ist etwas geringer als etwa beim Meta Quest, das 1720×1890 Pixel pro Auge und 72Hz bis 120Hz bietet. Aber die Meta Quest-Reihe ist für die virtuelle Realität konzipiert, und das Spacetop bietet Augmented Reality. Bedeutet: die Standardansicht ist wie der Blick durch eine Sonnenbrille, ein netter Trick, um den Hintergrund abzudunkeln, ohne ihn völlig zu verdecken. Das bedeutet immer noch, dass Sie ein “helles” Desktop-Thema bevorzugen werden, um einen Kontrast zwischen den Fenstern und dem Hintergrund herzustellen.

Mark Hachman / IDG
Nein, man kann das Spacetop-Headset nicht mit einer Brille tragen. Um das Manko auszugleichen, hat Sightful ein großzügiges Zugeständnis gemacht: Schicken Sie dem Unternehmen Ihr Rezept, und das Unternehmen wird einen Satz personalisierter Gläser anfertigen, die magnetisch am Spacetop-Rahmen befestigt werden – kostenlos!
Praktische Erfahrungen mit der Sightful Spacetop
Wir hatten ein wenig Zeit, um mit Spacetop herumzuspielen, begleitet von Tamir Berliner, dem Geschäftsführer, und Tomer Kahan, dem technischen Leiter. Tamir Berliner war Mitbegründer von PrimeSense, dessen Technologie uns die Microsoft Kinect und Face ID des iPhone bescherte. Kahan arbeitete bei N-Trig, einem Unternehmen, das später von Microsoft übernommen wurde, um den Surface Pen zu entwickeln. Beide arbeiteten bei Magic Leap, verließen das Unternehmen dann aber, als es sich auf den Unternehmensmarkt umorientierte.
Setzt man das Headset auf, offenbart sich die Spacetop-Umgebung: ein großer, virtueller Bildschirm mit Fenstern in allen Größen, die sich um einen herum wölben. Es ist wie ein riesiges Corsair Xeneon Flex, nur etwa doppelt so groß. Wenn Sie unbedingt einen, zwei oder sogar drei Bildschirme zu Hause haben müssen, könnte Ihnen der Spacetop sehr gut gefallen.
In jedem Fenster hat Berliner wichtige Daten und Informationen untergebracht: ein Gmail-Fenster, einen Kalender, YouTube und mehr. Das Navigieren durch diese Fenster ist dasselbe wie in Windows: Sie verwenden das Trackpad, um einen Cursor herumzuziehen, die Größe der Fenster zu ändern und sie auf dem Bildschirm neu zu positionieren. Im Gegensatz zu Meta gibt es keine albernen Controller; diese Erfahrung fühlt sich so ähnlich an wie bei einem Laptop.

Sightful
Der einzige wesentliche Unterschied liegt in einer Geste: Wenn man mit drei Fingern auf dem Touchpad nach oben und unten wischt, kommt der gewölbte Bildschirm näher oder entfernt sich von uns. Das macht das Erlebnis nicht nur komfortabler, sondern ermöglicht es auch, einen genaueren Blick auf ein bestimmtes Fenster zu erhalten. Als interessante HoloLens-ähnliche Neuerung kann das Display an einer bestimmten Stelle “angeheftet” und dann durch gleichzeitiges Drücken beider Umschalttasten auf den Laptop zurückgerufen werden.
In der Mitte des Bildschirms befindet sich eine kleine “Taskleiste”, über die Sie Fenster hinzufügen und Anwendungen auswählen können. Da es sich um ein Open-Source-Android-Betriebssystem handelt, ist die Auswahl an Apps stark auf Produktivität ausgerichtet (vor allem Büroanwendungen).
Wir haben den virtuellen Arbeitsbereich des Meta Quest Pro bereits getestet, und Spacetop übertrifft ihn bei Weitem. Selbst mit einer eher niedrigen Sehstärke funktionierten die von Sightful bereitgestellten Standard-Korrekturlinsen gut. Der Text war scharf und lesbar, und wir würden jede Unschärfe unseren Augen zuschreiben, nicht der Hardware.
Es gab keine merkliche Verzögerung, wenn wir den Kopf hin- und herbewegten. Obwohl die 75-Hz-Linsen nicht so einfach zu handhaben waren wie ein Bildschirm mit hoher Bildwiederholfrequenz, hatten wir anders als bei der Meta Quest keine Schwindelgefühle. Das liegt zum Teil an der Anordnung der Linsen: Am unteren Ende des Sichtfelds ist ein freier Raum, in dem man die Tastatur sehen kann; Meta hat versucht, einen Teil des VR-Raums abzuschneiden, um denselben Effekt zu erzielen, und das hat nicht funktioniert.
Das Headset ist zwar leicht, fühlt sich aber ein wenig frontlastig an. Kahan erklärte uns, dass das Gerät mit einem Paar kleiner Gewichte geliefert wird, die angeklippt werden können, um das Headset auszubalancieren. Obwohl es sich nie so anfühlte, als ob es herunterfallen würde (ein Nasenclip verhindert das), war es etwas störend.
Könnten wir in der Spacetop-Umgebung stundenlang arbeiten? Das können wir Ihnen ehrlich gesagt nicht sagen, weil wir das Gerät noch nicht über mehrere Stunden im produktiven Einsatz testen konnten.
Es gibt einen netten Trick, den das Spacetop bietet, den man sonst nirgendwo findet. Das kleine Spacetop-Logo kann angetippt werden, um die Benutzeroberfläche komplett auszublenden und in den “Realitätsmodus” zurückzukehren, etwa um einem Kollegen die volle Aufmerksamkeit zu schenken. Das Logo kann sich aber auch ändern und sich in ein Zeichen verwandeln, das andere mit ihrem Telefon scannen können, um Dateien auszutauschen – oder, wie Berliner verrät, um an einer gemeinsamen Whiteboarding-Sitzung teilzunehmen.

Sightful
Das Spacetop verfügt über zwei 10Gbps-USB-C-Anschlüsse mit DisplayPort 1.4 Unterstützung. Wenn also unbedingt einen externen Monitor haben möchten, können Sie diesen Einfach am Spacetop anschließen.
Es gibt einen entscheidenden Schwachpunkt: die Akkulaufzeit. Sie beträgt etwas mehr als fünf Stunden, was für ein ARM-Notebook und für Laptops im Allgemeinen ziemlich wenig ist. Das Spacetop lässt sich jedoch in weniger als zwei Stunden auf 85 Prozent aufladen. Das Headset enthält kleine Lautsprecher, die blechern und schwach klangen. Berliner sagte uns, die geringe Lautstärke diene der Wahrung der Privatsphäre.
Holen Sie sich ein Spacetop, solange Sie können
Wir haben von Spacetop den gleichen Eindruck, den Magic Leap hinterlassen hatte: Das ist eine großartige Technologie, aber mit 2.000 Dollar auch eine hohe Investition. Die Einstellung von Sightful ist jedoch beeindruckend: Anstatt eine unbewiesene Technologie hochzujubeln, konzentriert sich das Unternehmen darauf, den Spacetop als Produktivitätslösung zu verkaufen. Es handelt sich hierbei keineswegs um ein unnützes Gerät.

Mark Hachman / IDG
Denken Sie daran, dass es (im Moment) nur 1.000 Spacetops für alle gibt. Wenn Sie einen haben möchten, müssen Sie sich auf Sightful.com anmelden.
Sightful bringt den Spacetop zu einer Zeit auf den Markt, in der viele Technologieunternehmen und Verbraucher ihre Ausgaben einschränken. Es wird einige Zeit dauern, bis wir mit dem neuen Headset herausfinden, ob die Investition gerechtfertigt ist. Das Spacetop könnte ein absolut neuartiges, potenziell bahnbrechendes Produkt sein, das die Fähigkeit hat, den Laptop-Markt zu revolutionieren, oder nur ein weiteres teures Projekt, das am Status quo scheitert. Wir werden sehen.
Der Original-Artikel erschien hier bei unserer Schwesterpublikation PC-WORLD und wurde von uns übersetzt.