TikTok hat inzwischen alle Social-Media-Kanäle durchdrungen. Videoclips mit dem ikonischen Wasserzeichen finden wir auf Twitter, Reddit, Instagram und bei Facebook sowieso. Selbst private Whatsapp-Chats sind nicht mehr sicher: Irgendwer meint, uns da immer mit einem besonders dämlichen Kurzvideo des Spaßportals beglücken zu müssen. Es gibt kein Entrinnen.
Selbst dem US-Kongress wird das langsam zu viel: Bei einer ziemlich kritischen Befragung musste sich TikTok-Chef Shou Chew jüngst einer langen Liste harter Fragen und mancher Vorwürfe stellen. Die Amerikaner befürchten, dass die chinesische Regierung die gewaltige Marktmacht von TikTok eines Tages ausnutzen könnte – oder das vielleicht schon tut.
Allzu absurd ist das nicht: Aktuell tummeln sich auf dem Portal rund 1,5 Milliarden aktive Nutzer. Ein beispielloser Erfolg. Mit einem Wert von rund 140 Milliarden Dollar kürten Analysten den Mutterkonzern ByteDance im vergangenen Jahr zum wertvollsten nicht börsennotierte Unternehmen der Welt.
Das sind alles gute Nachrichten für den Tech-Konzern, die am Firmensitz in Peking sicher ordentlich gefeiert werden. Für alle TikTok-Genervten sind die News eher schauerlich: Wenn es so weiter geht, dann gibt es bald überhaupt kein Entkommen mehr vor den schrillen, aufdringlichen und furchtbar repetitiven TikTok-Clips.
Wie es die oft völlig belanglosen Videoclips überhaupt geschafft haben, die globale Social-Media-Kultur derart umzukrempeln, bleibt weiterhin rätselhaft: TikTok-Videos sind oft schamlos durchkommerzialisiert, stecken mitunter voller aggressivem oder beleidigendem Humor und haben das Nachahmen gedanklicher Kurzschlüsse zur Stilform erhoben. Dazu ätzen sich die Clips mit ihrer penetranten Aufmachung gerne tief ins Gedächtnis ein – den Entertainment-Müll schleppt man dann noch wochenlang mit sich herum.
Klar, einerseits lieben wir Tiktok. Aber Sie sehen auch, wir wollen Dampf ablassen. Hier lesen Sie, was uns an TikTok am meisten auf die Nerven geht. Es gibt
Peinliche Vierzigjährige
Es ist ja schon peinlich, wenn man Vierzehnjährigen dabei zusieht, wie sie für dümmliche Challenges herumhampeln, sich selbst übersexualisieren oder wenn sie Videos hochladen, für die sie sich in fünf Jahren (völlig zu Recht) in Grund und Boden schämen werden.
Den Gipfel der Fremdscham erstürmt aber eine ganz andere Altersklasse: Nämlich Erwachsene, die eigentlich mit beiden Beinen im Leben stehen sollten. Man kann sich nicht mehr hinter jugendlicher Naivität verstecken, wenn man im mittleren Alter herumzappelt wie ein Teletubby, sich Pastasoße ins Gesicht schmiert oder Gesangseinlagen von sich gibt, die klingen, als würde jemand mit der Dampfwalze über eine Froschfamilie fahren.
TikTok-Musik: Die läuft auch in der Hölle
Nicht, dass wir das aus erster Hand wüssten, die Vermutung liegt aber nahe: Wenn es in der Hölle Lautsprecher gibt, dann spielen die mit Sicherheit Musik von TikTok-Videos. Dass man mit der richtigen Akustik geschickt eine emotionale Untermalung erzeugen kann, ist ja nichts Neues – Hollywood macht das schon seit Jahrzehnten.
In TikTok-Videos wird Sound und Musik aber so manipulativ eingesetzt, dass es einer Gehirnwäsche gleichkommt. Ob theatralische Orchesterschnipsel für die nächste Challenge, gefühlsduselige Klaviernoten, um das Elend von Straßenhunden möglichst pathetisch zu unterstreichen oder missbrauchte Arien von Giuseppe Verdi: Der Hormonausschüttung kann man beim Einsetzen der Musik in TikTok-Videos regelrecht zusehen.
Solche Stimmungsmanipulation hätte George Orwell wahrscheinlich zum nächsten Bestseller veranlasst.
Infantiler Kitsch trifft lebensgefährlichen Stumpfsinn
Dass auf TikTok viele Kinder und Teenager unterwegs sind, muss einen nicht überraschen – es ist per se ja auch nichts Schlechtes. Leider spiegelt sich im Content dann aber oft derart infantiler und gedankenloser Blödsinn wider, dass man sich ein zweites Portal für jene wünscht, die Windeln und Schnuller schon hinter sich haben.
Die einen futtern da löffelweise trockenes Proteinpulver – und landen prompt im Krankenhaus. Andere schaufeln Speisesalz in sich hinein – eine mitunter lebensbedrohliche Challenge: 0,5 bis 1 Gramm Salz pro Kilogramm Körpergewicht können tödlich sein. Das weiß man natürlich nicht, wenn man den ganzen Tag wie ein Affe im Kino auf den eigenen TikTok-Feed starrt. Von der „Blackout-Challenge“ oder dem Abfeilen der eigenen Schneidezähne fangen wir gar nicht erst an.
Dabei gab es Challenges im Internet ja schon, als man bei „TikTok“ noch an schöne Dinge gedacht hat. Einen Specht oder den Besuch freundlicher Nachbarn zum Beispiel.
Erst die chinesische App hat es geschafft, aus einem harmlosen Gag einen aufdringlichen, nervtötenden und mitunter lebensgefährlichen Trend zu machen. Hat man früher noch versucht, möglichst schnell zwei Bananen und eine Dose Sprite zu vertilgen oder sich einen Eimer mit eiskaltem Wasser über den Kopf geschüttet, so haben virale Challenges unter TikTok einen skurrilen und mitunter völlig bekloppten Charakter angenommen. Das nervt nicht nur, manchmal tut das Zuschauen regelrecht weh.
Datenschutz? Guter Witz…
Auf Regierungsgeräten wird TikTok mittlerweile vielerorts verboten, darunter etwa in den USA und Kanada, auch die EU-Kommission hat die App auf ihren Diensthandys untersagt.
Bundeswehr: Tiktok bald auf privaten Handys der Soldaten verboten?
Hintergrund ist die Sorge, dass die von TikTok umfangreich kassierten Nutzerdaten von der totalitären chinesischen Regierung missbraucht werden könnten. Puh, da hat man in Brüssel also nochmal die Kurve gekriegt.
Und wir Normalverbraucher? Wir stehen selbst in der Verantwortung. Aber erklären Sie das mal einem pubertierenden Teenager. Viel Spaß. TikTok kennt den Nachwuchs inzwischen wahrscheinlich eh schon besser als jeder Elternteil: Die App sammelt unter anderem den Browserverlauf, Standorte, die Gerätedaten und das persönliche Nutzungsverhalten. Aber solche Daten sind auf Servern einer totalitären Großmacht ja in guten Händen, oder?
Wiederholung, Wiederholung, Wieder…
Klar: Kreativ zu sein, ist eine echte Herausforderung. Wirklich etwas Neues zu schaffen, ohne dabei ideenlos von anderen abzukupfern, hat schon manchen überfordert. Nachahmung und gedoppelter Content sind dort ja so etwas wie die Grundfesten, die das ganze Portal zusammenhalten.
Der Algorithmus machts möglich: Weil Videos anhand von Beliebtheit und Nutzerbeteiligung gepusht werden, schaukelt sich das Abkupfern quasi von selbst in die Höhe. Hat der Content-Filter ein Video mit hohem Potenzial identifiziert, dann landet es schnell bei Millionen Nutzern im Feed – wo fleißig kopiert und nachgeahmt wird.
So entstehen Kopien von Kopien von Kopien. Die Belanglosigkeit steigt da schnell ins Unermessliche. TikTok kann man ganz gut mit einem Spiegelkabinett vergleichen, in das ein Hund sein Häufchen gesetzt hat. Egal wo man hinsieht, Verzerrung hin oder her: Eigentlich erblickt man überall den gleichen Sch…
Und plötzlich: Genitalien und Hassrede
Laut Regelwerk ist es zwar verboten, das schützt aber nicht besonders zuverlässig: Bei TikTok stolpert man immer wieder über anstößige, obszöne und mitunter ziemlich perverse Videos mit sexuellem Inhalt. Das kann ganz schön eklig und abstoßend werden.
Ein neues Tool soll es Content-Erstellern zwar ermöglichen, unpassende Inhalte zu kennzeichnen. Das hält aber auch niemanden davon ab, so eine Kennzeichnung nicht vorzunehmen. Es kann auch immer wieder passieren, dass man in scheinbar harmlosen Videos plötzlich über Hassrede und Rassismus stolpert – so viel zur „Spaß“-Plattform.
TikTok kann süchtig machen – und krank
Vor allem Jugendliche sind vom Suchtpotential bei TikTok bedroht – die Sogwirkung der Plattform kennen aber auch viele Erwachsene. Die Videoschnipsel sind dort wie Fast Food fürs Gehirn: Der Unterhaltungseffekt setzt beim Start eines Videos genauso schnell ein wie die Entzugserscheinung am Ende – man muss einfach weitergucken. Dazu sind die Clips so kurz, dass ihnen jede noch so verkümmerte Aufmerksamkeitsspanne gewachsen ist.
TikTok kann abhängig machen und ist besonders für die Psyche von jungen Menschen nicht ungefährlich. In Bezug auf mentale Gesundheit schneidet Social Media zwar als Ganzes nicht besonders gut ab. TikTok hat da aber seine ganz eigenen Baustellen: Jugendliche mit exzessiver Nutzung leiden häufiger an Gedächtnisverlust und Angstzuständen. Bei Erwachsenen sind die Auswirkungen zwar seltener so krass, der TikTok-Algorithmus schlägt aber auch Volljährige mühelos in seinen Bann.
Vieles ist fake
TikTok-Videos sind wie Plastik: Künstlich, unnatürlich und nur oberflächlich schön. Im Kampf um Aufmerksamkeit und Follower bleibt die Authentizität oft als Erstes auf der Strecke.
Kein Wunder: Übertriebene, inszenierte und möglichst schrille Videos sind ja der beste Garant, um in der Flut aus belanglosem Content-Müll irgendwie an die Oberfläche zu treiben. Die Bearbeitungs-Tools der App tragen ihren Teil dazu bei: Selbst sachliche Filmchen verwandelt man damit im Handumdrehen in digitalen Sondermüll.
Virale Ausbreitung 2.0
Vor TikTok ist man inzwischen ja nirgendwo mehr sicher. Die albernen Kurzvideos begrüßen uns auch auf allen anderen Social-Media-Kanälen. Das Phänomen der viralen Ausbreitung heben die Chinesen damit auf ein ultimatives Niveau: Die epidemische Verteilung von Content und dem TikTok-Label beschränkt sich nicht mehr auf TikTok selbst, Inhalte wuchern quer durchs Internet.
Den Zeitgeist hat das Netzwerk derart ins Mark getroffen, dass der gleich tot liegen geblieben ist: TikTok wächst und wächst, eine Alternative ist nicht in Sicht.
Selbst Google lässt uns auflaufen, wenn wir nach TikTok-Kontext suchen. Der Name des Portals muss nur Teil einer Wortkette sein und wir werden mit Treffern überhäuft, die auf einen der Myriaden TikTok-Accounts verlinken oder Videos zutage fördern, die man seinen schlimmsten Feinden nicht antun möchte.
Dafür kann man sich bei den Legionen pubertierender Teenager bedanken, die sich solche hirnlosen Inhalte reinziehen, als wäre es Atemluft. Dabei entsteht so viel Traffic, dass die Algorithmen von Google und Co. gar keine andere Wahl haben, als den belanglosen Blödsinn als relevant einzustufen.
Statt Browser-Add-ons zu finden, die TikTok-Content blocken, landen wir bei solchen Websuchen ironischerweise wieder bei irgendwelchen TikTok-Trotteln, die sich beim Schlafen den Mund zukleben oder Hühner in Hustensaft kochen. Wie wäre es dann mal mit einer neuen Challenge: TikTok löschen und nie wieder darüber sprechen?