Hogwarts Legacy ist der wohl erfolgreichste Spiele-Launch der letzten Jahre gelungen. Das in der Welt von Harry Potter angesiedelte Action-RPG hat einen regelrechten Hype ausgelöst. Dabei verlief bei Weitem nicht alles glatt: Vor allem auf dem PC trübten technische Probleme das Erlebnis und auch das Gameplay weist einige Schwächen auf, die wir schon aus anderen Open-World-Titeln kennen.
Doch angesichts des Hypes, der riesigen Fanbase und der liebevoll gestalteten und wirklich gelungenen Spielwelt, rückten all diese Kritikpunkte in den Hintergrund. Hogwarts Legacy gilt jetzt schon als Anwärter für das Spiel des Jahres.
Auf Metacritic erreicht die PS5-Version einen User-Score von 9.0 und eine Kritikerwertung von 84 Punkten, auf Steam bewerten 93 Prozent der Spieler den Titel positiv. Auch mein Kollege Benjamin Kratsch ist begeistert und nennt das Spiel “Die magischste Open-World seit Red Dead Redemption 2”. Ich muss leider widersprechen, denn einige Aspekte des Spiels bereiten mir Sorgen – hauptsächlich im Hinblick auf den wohl schon geplanten Nachfolger.
Hogwarts Legacy für PS5: Die besten Angebote
Die Welt von Harry Potter – nur ein Franchise?
David Haddad ist ein hohes Tier bei Warner Bros. Als Executive Vice President bei Warner Bros Interactive Entertainment ist er auch für die Gaming-Sparte zuständig und hat sich kürzlich in einem Interview auch über die Zukunft von Hogwarts Legacy geäußert. Und auch, wenn der Artikel nicht genau klarmacht, ob Haddad den Satz so selber gesagt hat, wurde er doch sicher von ihm freigegeben:
Warner Bros. sees “Hogwarts Legacy” as a long-term franchise.
David Haddad gegenüber Variety
Ich bin sicher nicht der einzige Gamer, dem bei dem Wort “Franchise” ein Schauer über den Rücken läuft. Denn wenn Spiele zu Franchises werden, das hat die Vergangenheit immer wieder gezeigt, sind oft die Spieler die Leidtragenden. Beispiel gefällig?
Die Folgen von zu viel Erfolg
Assassins Creed ist eine der erfolgreichsten Spielereihen weltweit und hat in den vergangenen zwölf Jahren über 200 Millionen Einheiten verkauft. Assassins Creed Valhalla ist der neueste und inzwischen zwölfte Teil der Hauptreihe, dazu kommen zahlreiche Ableger für Mobil- und Handheld-Geräte, eine Bücherreihe, ein Kinofilm und Ubisoft arbeitet derzeit an einer Animationsserie, die über Netflix erscheinen soll.
Alles begann 2007: Zunächst noch unter dem Radar, feierte die Reihe ihren endgültigen Durchbruch mit dem zweiten Teil und dem neuen Hauptcharakter Ezio Auditore da Firenze. Fortan erschienen neue Assassins-Creed-Teile im jährlichen Rhythmus und Gamer verbrachten unzählige Stunden damit, als Assassine die verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte zu erkunden.
Doch der andauernde Erfolg und die zunehmende Kommerzialisierung hatten ihre Auswirkungen auf die Qualität der Spiele. Um in regelmäßigen und kurzen Abständen neue Titel zu veröffentlichen, setzten die Entwickler auf ein Konzept, das inzwischen als die Ubisoft-Formel bekannt ist.
Schon im ersten Teil der Reihe finden sich Spuren dieses Vorgehens. Um die Spielzeit künstlich zu strecken, wird die Karte mit Sammelitems, Gegnergruppen, Bücherseiten, Truhen und (zumeist wenig kreativen) Rätseln gefüllt – bis zu dem Punkt, an dem sich das Erforschen der Spielwelt so anfühlt, als arbeite man eine To-Do-Liste ab.
Gleichzeitig werden Spielmechaniken von Spiel zu Spiel nur leicht abgeändert übernommen – Innovation Fehlanzeige. Und trotzdem verkauft sich das Spiel alljährlich sehr erfolgreich. Einer Neuausrichtung der Reihe mit Assassins Creed Origins folgten zwei weitere Titel nach dem Copy-Paste-Prinzip.
Und leider ist gerade Hogwarts Legacy anfällig dafür, den gleichen Fehler zu begehen.
Hogwarts Legacy auf dem Scheideweg
Hogwarts Legacy hat viele schlechte Eigenschaften übernommen, die Open-World-Spiele der letzten Jahre plagen. Die Assassins-Creed-Reihe ist nur ein Beispiel von vielen. Und ist in Hogwarts Legacy der Zauber der ersten Stunden erst einmal verflogen, erwischt man sich dabei, ein Karten-Symbol nach dem anderen abzuarbeiten.
Das ist grundsätzlich auch in Ordnung, eine Open-World ist dazu da, erkundet zu werden und lebt letztlich auch davon, dass sie den Spieler durchgängig mit neuen Aufgaben versorgt. Doch die Inhalte sollten abwechslungsreich sein, neugierig machen, auch mal für eine Überraschung sorgen. Richtig machen es Spiele wie The Witcher 3 oder Red Dead Redemption 2, wo an jeder Ecke eine neue Geschichte wartet.
Hogwarts Legacy ist weder ein Witcher 3, noch ist es ein Assassins Creed. Die Entwickler haben sich Mühe gegeben, den Spielern viele kleine Details zum Entdecken zu geben – leider vorrangig in Hogwarts, während den Ländereien manchmal etwas Charakter fehlt.
Die Aufgaben in der Welt bestehen hauptsächlich aus verschiedenen Rätseln, die zwar gut umgesetzt sind, sich auf Dauer aber auch repetitiv anfühlen. Banditenlager, zu fangende Zaubertiere und fliegende Ballons komplettieren das Open-World-Erlebnis. Es ist ein guter Mix, der auch zum Setting passt und zumindest für längere Zeit Spaß macht, in der zweiten Spielhälfte dann aber zur Routine wird.
Das liegt auch daran, dass die Nebenquests viel zu stiefmütterlich behandelt wurden. Wobei hier unterschieden werden muss, denn einige Nebenquests, die eng mit der Hauptgeschichte verbunden sind, bieten eine solide Inszenierung und helfen dabei, der Story einen Rahmen zu geben.
Doch auf der anderen Seite fehlt vielen der Quests, die in der Open World zu finden sind, ganz einfach die Tiefe. Unzählige Male holen wir gestohlene Medaillons aus Banditenlagern oder Spinnennestern, sammeln X Exemplare einer Pflanze oder bringen einfach nur Tränke von A nach B. Das haben andere Entwickler mit kleineren Budgets schon besser gemacht.
In einem möglichen zweiten Teil dürfen Warner Bros. und das Entwicklerstudio Avalanche Software nicht den gleichen Fehler wie viele zuvor machen. Überkommerzialisierung und Franchise-Denken können eine Spielereihe ruinieren und auch Hogwarts Legacy ist davor nicht gefeit. Hogwarts Legacy ist trotz seiner Schwächen ein hervorragendes Spiel, weil es kein Spiel von der Stange ist, sondern mit Liebe zum Detail entwickelt wurde. Und das sollte auch für den Nachfolger das oberste Gebot sein.