Der Rechnerwinzling Raspberry war 2012 als Entwicklerboard und Programmiereinstieg konzipiert, hätte aber in dieser Rolle gewiss keine 40 Millionen Exemplare verkauft. Der Raspberry und seine Konkurrenten haben sich zu preisgünstigen Heimservern entwickelt und sich als attraktive Alternative zu NAS-Geräten etabliert. Dem aktuellen Status quo mit dem Raspberry Pi 4 darf man bescheinigen, dass es wenige Produkte mit einem derart überzeugendem Preis-Leistungs-Verhältnis gibt. Trotzdem wäre es falsch, die Platine als ein Must-have-Produkt zu preisen. Wir nehmen zehn Jahre Raspberry zum Anlass, ein herausragendes Produkt zu porträtieren, dabei aber auch Fehlentwicklungen und Fehleinschätzungen zu benennen.
Der Weg zur aktuellen Version 4
Der Raspberry Pi begann 2012 als ein Arduino-ähnliches Board mit einer Einkern-CPU (700 MHz) und 256 MB RAM. Eine frühe Modellunterscheidung führte zur kleineren A-Reihe ohne Netzwerkadapter und zum etwas größeren Formfaktor der B-Reihe, die von Beginn an einen Ethernet-Port anbot. Wer heute vom Raspberry Pi spricht, meint fast immer ein Raspberry-Modell B. Die kleinere A-Platine wurde mit der Raspberry-Version 3 praktisch (wenn auch nicht offiziell) aufgegeben und durch die winzigen Sondermodelle Raspberry Zero (ab 2015) und Pico (ab 2021) kompensiert. Beim aktuellen Raspberry Pi 4 B ist die Modellkennzeichnung „B“ mittlerweile hinfällig, weil alternativlos.
Die ersten Versionsschritte der Modellreihe B hatten vor allem sukzessive RAM-Erweiterung und CPU-Beschleunigung im Fokus. Beim – unfairen – Vergleich des ersten Raspberry 1 mit einem maximal ausgestatteten Raspberry 4 von heute ergibt sich ein Faktor 32 beim Arbeitsspeicher (256 MB gegenüber acht GB) und sogar ein Faktor 60 bei der CPU-Leistung (0,2 gegenüber 13,5 Gigaflops). Spätestens mit Version 2 (2015), die mit einem GB RAM ausgestattet war und mit übertakteter CPU die Ein-GHz-Hürde nahm, blieb es nicht mehr bei kleinen Daten- und Webserver-Diensten und der Platinenrechner wurde auf Desktoptauglichkeit geprüft.
Die Raspberry-Version 3 im Jahr 2016 brachte mit neuer Vierkern-CPU (ARM Cortex- A53) erneut eine signifikante Leistungssteigerung und hatte nun auch erstmals neben der Ethernet-Schnittstelle einen WLAN-Chip dabei.
Während es also bei der Leistungsfähigkeit (CPU, RAM) und Alltagstauglichkeit (WLAN) kontinuierlich voranging, stagnierten die I/O-Schnittstellen über viele Jahre: Für das von vielen Nutzern bevorzugte Einsatzgebiet als Homeserver blieb es bis 2018 beim relativ langsamen Fast Ethernet (100 MBit/s) und bei USB 2.0.
Das Versionsupgrade Raspberry Pi 3 B+ im Jahre 2018 war ein halbgarer Kompromiss, denn der lang erhoffte Gigabit-Ethernet-Port wurde an USB 2.0 gekoppelt, was die möglichen 1000 MBit/s auf USB-2.0-Geschwindigkeit drosselte, also auf etwa 300 MBit/s (circa 30 MB/s).

Keine Frage: Als Bastlerplatine mit seinen flexiblen Möglichkeiten, die GPIO-Pins selbst zu programmieren oder einfach fertige HAT-Erweiterungsplatinen (Hardware Attached on Top) aufzustecken, war der Raspberry Pi auch schon vor Version 4 ein faszinierendes und dabei preisgünstiges Produkt. Auch alle Serveroptionen, die mit durchschnittlichem Datendurchsatz auskommen, wie etwa Intranet-Webserver oder kleine Clouddienste, konnte die Platine schon mit seinen Vorgängerversionen bedienen. Nicht zu vergessen sind die erstaunlichen Fähigkeiten als Videospieler, die der Raspberry Pi seit jeher dem Broadcom-Videocore-Chip verdankt: Als Mediaplayer, Streamingdienst, aber auch bei der Desktop-Grafikausgabe ist der Raspberry besser als viele Platinenkonkurrenten mit scheinbar leistungsstärkeren Komponenten.
Trotz allem blieb vor dem aktuellen Raspberry Pi 4 (seit Juni 2019) so manches Serverprojekt in einem zwar tolerierbaren, aber gefühlt defizitären Bereich. Erst der Raspberry Pi 4 mit Gigabit-Ethernet und USB 3.0, verbesserter CPU und GPU sowie skalierbarem RAM von zwei bis acht GB ist gewissermaßen die Einlösung (fast) aller Versprechen, die ältere Raspberry-Versionen noch überfordert hatten.
Der Raspberry Pi 4: Leistung und Preis
Seit fast drei Jahren ist der tadellose Raspberry Pi 4 auf dem Markt. Zum Nachfolger mit der Versionsziffer 5 gibt es nach wie vor weder konkrete Ankündigungen, geschweige denn einen Erscheinungstermin. Tatsächlich muss man schon sehr kritisch suchen, wo sich das aktuelle Modell noch signifikant verbessern ließe: Gut – der WLAN-Chip ist nur mittelmäßig, aber durchaus alltagstauglich. SATA ist auf der Platine schon aus Platzgründen kaum realisierbar, außerdem gibt es bereits HAT-Lösungen zum Aufstecken und natürlich USB-to-SATA-Kabelverbindungen. Daher spricht viel dafür, dass sich Version 5 nach dem großen Wurf des Vorgängers wieder mit einer moderaten Leistungsevolution bescheiden wird.
Der aktuelle Raspberry Pi 4 kann jede Rolle als Homeserver übernehmen, auch mehrere gleichzeitig – etwa als Samba-Datenserver und als Webserver. Seine Tauglichkeit als Desktopsystem bleibt hingegen eingeschränkt: Einen Film mit VLC ansehen oder mit dem Browser ins Web gehen – das geht durchaus flüssig. Multitasking – also etwa im Hintergrund das System zu aktualisieren und gleichzeitig Medien zu nutzen –, überfordert die Platine hingegen. Die Aussage von Eben Upton, Gründer der Raspberry Pi Foundation, dass der Raspberry Pi 4 als Allzweck-PC tauge, ist daher eher kritisch zu bewerten.
Daher halten wir auch das für den Desktopeinsatz spezialisierte Sondermodell Raspberry Pi 400 tendenziell für einen Irrweg: Der Pi 400 integriert die Platine in eine Tastatur und muss dann nur noch durch einen Monitor zur vollwertigen Arbeitsstation ergänzt werden.

©Otto
Halten wir fest: Der Raspberry Pi 4 taugt notfalls als Allzweck-PC oder als Zweitsystem, ist uneingeschränkt als NAS-Datenserver, als Webserver und als Medienlieferant zu empfehlen und eröffnet mit Kameraschnittstelle und HAT-Erweiterungen zahlreiche Spezialisierungen (etwa Wettersensoren, Gebäudeüberwachung, Hi-Fi, SATA, DVB-TV, Power-over-Ethernet, Mini-Display). Der Stromverbrauch ist legendär gering und liegt selbst unter Hochlast nur bei etwa fünf Watt.
Was darf eine derart flexible Hardware kosten? Wir fragen deshalb, weil mittlerweile Bundles angeboten werden, die locker über 200 Euro liegen. Was Sie wirklich in jedem Fall brauchen, ist aber nur Folgendes:
- die Platine selbst (vier GB sollten genügen)
- das passende Netzteil (Netzteile älterer Pi-Modelle passen nicht)
- eine schnelle SD-Karte (UHS) mit mindestens 16 GB
- ein Gehäuse mit Kühlfunktion (optimal: Aluminiumgehäuse „Flirc“)
Eventuell kommt noch ein Micro-HDMI-Kabel hinzu, falls für die Ersteinrichtung oder dauerhaft ein Monitor benötigt wird. Bundles mit diesen Komponenten gibt es im Prinzip noch unter 100 Euro, dies aber selten in der wünschenswerten Qualität aller Teile. Ein Raspberry mit dem notwendigen und dabei hochwertigen Zubehör ist daher heute nicht mehr ganz das 60-, 70-Euro-Schnäppchen wie vor zehn Jahren, sondern liegt eher bei 120 bis 150 Euro. Damit bleibt das Preis-Leistungs-Verhältnis dieser Platine aber weiterhin unübertroffen.
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