Das Tool Pi Kiss ist ein vorinstallierter Bestandteil von Twister-OS, einem erweiterten Debian-Betriebssystem für den Raspberry Pi. Es ist aber auch auf dem angestammten Raspberry-Pi-OS nachrüstbar und nimmt per Menü im Textmodus viele Handgriffe ab, so wie auch das bekanntere raspi-config. Pi Kiss kann Serverdienste mit sinnvollen Standards installieren, die oft gut versteckten Konfigurations-Scripts von Debian-Diensten aufrufen und die Modelle 3 und 4 mit wenigen Handgriffen übertakten. Bei dieser Art von Tuning ist auf gute Kühlung zu achten, denn sonst wird das System instabil und schlicht zu heiß. In raspbi-config ist die Übertaktung deshalb bei den Modellen 3 und 4 nicht mehr enthalten, aber mittels Pi Kiss dennoch wieder leicht möglich. Auch bei anderen angebotenen Aktionen wie dem Aufräumen von installierten Paketen ist Umsicht gefragt, denn es handelt sich hier um Funktionen für fortgeschrittene Anwender, die eventuell zu viel verändern oder löschen.
Installation von Pi Kiss

Die Projekt-Webseite auf https://github.com/jmcerrejon/PiKISS vermittelt mit etlichen Screenshots und einem Video einen ersten Eindruck vom Programm, das keine grafische Oberfläche braucht und im Terminal läuft, also auch über SSH. Der Entwickler hat ein Bash-Script zur einfachen Installation auf Github schon vorbereitet.
Der Befehl
wget -O inst.sh https://git.io/JfAPE
lädt es als „inst.sh“ zur Ansicht und Überprüfung herunter. Die Eingabe
bash inst.sh
startet dann die Einrichtung, welche das sudo-Passwort des Benutzers abfragt. Bei einem Start überprüft Pi Kiss stets, ob eine neue Version vorliegt, und kann sich selbst aktualisieren. Dabei kontrolliert Pi Kiss auch, ob alle Hilfsprogramme wie „dialog“ installiert sind und rüstet diese bei Bedarf aus den Paketquellen nach. Für sich selbst erstellt es den neuen Ordner „~/piKiss“ im Home-Verzeichnis, in welchem alle Daten liegen und aus dem das Tweaktool aufgerufen wird:
cd ~/piKiss
./piKiss.sh
Das Tool kann nur aus diesem Verzeichnis oder über seine Desktopverknüpfung gestartet werden und dies nur mit einem Benutzerkonto, das über sudo-Recht verfügt.
Übersicht: Die wichtigsten Tweaks

Neben Tuning ist ein zweiter großer Aspekt die Installation von Paketen und Serverdiensten, die entweder nicht in den Standard-Paketquellen von Raspberry-Pi-OS liegen oder viele manuelle Handgriffe verlangen. Einige Funktionen sind dabei als einfache Shell-Scripts umgesetzt, andere führen in textbasierte Untermenüs mit weiteren Abfragen zur Umsetzung einer Aktion oder zur Einrichtung eines Dienstes. Die folgenden Punkte sind nur eine Auswahl der wichtigsten Schalter und Funktionen, denn für eine systematische Auflistung sind es insgesamt zu viele.
Im Untermenü „Tweaks“ hat der Entwickler Hardware- und Systemoptimierungen untergebracht. Der erste Punkt „Others“ startet eine Abfolge von Fragen, ob bestimmte Tweaks und Aktionen ausgeführt werden sollen. Hier können zum Stromsparen der Ethernet-Adapter und IPv6 abgeschaltet werden (beides kaum empfehlenswert), das Script kann die Leistung ARM-Prozessors über den „Governor“ beschränken oder das System übertakten. Für die verschiedenen Modelle bieten die Tweaks jeweils die maximale sichere und stabile Taktfrequenz an, beim Raspberry Pi 4 beispielsweise zwei GHz.

Eine weiterer sinnvoller Tweak ist der Austausch der Bash-Shell mit der „Dash“ von Debian, die weitgehend identisch, aber etwas ressourcenschonender ist. Ebenfalls leistungsrelevant sind die Optionen, eine Swapdatei zu erstellen oder zu entfernen. Die Änderung der Einhängepunkte mit den vorgeschlagenen Parametern „,noatime, nodiratime“ ist auf langsamen SD-Karten von Vorteil, weil dann die Zugriffszeiten auf Dateien und Ordner nicht mehr aktualisiert werden, sondern nur noch die Zeit der letzten Änderung. Nützlich ist auch die Optimierung „Reduce shutdown timeout“, welche Systemd dazu veranlasst, auf hängende Prozesse nur noch fünf Sekunden zu warten und nicht mehrere Minuten, wie es der Standard vorgibt.
Was sich auf den meisten Raspberry-Pi-Systemen positiv auswirkt: Das Einschalten von Zram im Tweaks-Menü. Dabei wird für jeden CPU-Kern ein komprimierter Auslagerungsbereich im RAM angelegt. Effektiv kann dieser Tweak den verfügbaren Arbeitsspeicher inklusive Swap fast verdoppeln, ohne dabei tatsächlich auf langsame SD-Karten etwas auslagern zu müssen.
Pakete, Spiele und Serverdienste
Die weiteren Menükategorien dienen dazu, Programme, Spiele und Server nachzuinstallieren. Unter „Games“ gibt es eine ansehnliche Auswahl an Spielen, von welchen aber einige zusätzlich Spieledaten verlangen, falls diese nicht unter eine Freeware- oder Open-Source-Lizenz stehen. Nennenswerte Ausnahmen sind die Ausgaben von Decent 1 und 2 sowie Dune 2, die auf den Sharewareversionen basieren, die auch gleich heruntergeladen werden.
Eine potenziell bessere Grafikleistung gewinnt Raspberry-Pi-OS mit einer neueren Version der Bibliothek Mesa zur Ausgabe von hardwarebeschleunigter Grafik per Open GL und Vulkan. Unter „Configure –› Vulkan“ kann Mesa in der aktuell neuesten Version 20.3 neu kompiliert werden, was auf einem Raspberry Pi 4 etwa eine Viertelstunde dauert. Interessant für Vergleiche sind die Benchmarks unter „Info –› Bmark“, um nach dem Übertakten die Prozessorleistung zu messen oder um die Geschwindigkeit von SD-Karten zu ermitteln. Bei unseren Tests stießen wir auch auf Einträge, die nicht funktionierten: Beispielsweise verweist der Punkt „Info –› Lynis“ auf eine obsolete, nicht mehr vorhandene Version des Sicherheitsscanners. Pi Kiss wird weiter aktiv entwickelt und sieht etwa monatlich eine größere Runde an Fehlerbehebungen und Aktualisierungen.
Backup: Zurück zu den Standards
Pi Kiss greift tief in Raspberry-Pi-OS ein und ändert etwa Paketzusammenstellung und Hardwarekonfiguration. Ein zu weit übertakteter Raspberry Pi 4 wird ohne adäquate Kühlung nicht lange laufen, sondern sich abschalten. Dabei ist es unwahrscheinlich, dass die Platine Schaden nimmt, aber es wäre schade, wenn ein minutiös eingerichtetes System damit weitgehend unbrauchbar wird. Damit Pi Kiss nicht zum Todeskuss gerät, empfehlen wir ein Backup der SD-Karte mit Raspberry-Pi-OS. Auch bei einigen Aktionen in den Kategorien „Server“, „Info“ und „Games“, die zum Teil recht große Paketsammlungen auf das System laden und Serverdienste starten, empfehlen wir ein vorheriges Backup, um erst danach mit Pi Kiss zu experimentieren. Denn das Tool macht seine Aktionen nicht einfach wieder per Menü rückgängig.
Der USB Imager ist das perfekte Werkzeug für Speicherkarten oder USB-Sticks. Denn es kann die erzeugten Backups platzsparend gepackt speichern und wieder zurückschreiben.