Milliardäre haben offenbar neben zu viel Geld auch zu viel Zeit, anders ist Elon Musks neuestes Projekt nicht zu erklären. Autos, Raketen, Tunnel und Gehirn-Chips reichen dem reichsten Mann der Welt nicht länger aus, Elon Musk hat sich für schlappe 44.000.000.000 US-Dollar nun die Gelegenheit erkauft, eine weitere seiner vielen Visionen für die Zukunft der Menschheit in die Tat umzusetzen. Daran konnte auch die sogenannte „Giftpille“, ein verzweifelter Versuch des Twitter-Verwaltungsrats, die Übernahme von Musk zu verhindern, nichts ändern.
Vielleicht ist das Aufkaufen eines Kommunikationskanals auch ein geheimer Initiationsritus, um endgültig in den Elite-Club der Milliardäre aufgenommen zu werden. Schließlich kann Amazon-Gründer Jeff Bezos die „Washington Post“ sein Eigen nennen, auch das „Time Magazine“ oder die „Los Angeles Times“ sind mittlerweile in der Hand von Milliardären.
Im Vergleich dazu gelang Elon Musk jedoch der weitaus bessere Deal, immerhin gehört ihm jetzt eine Plattform mit mehr als 315 Millionen Nutzern. Während Facebook zwar vom wirtschaftlichen Standpunkt aus weitaus lukrativer ist als Twitter (Facebook erzielte 2021 einen Umsatz von 117 Milliarden US-Dollar, Twitter laut Statista dagegen „nur“ fünf Milliarden), hat Twitter einen ganz anderen Vorteil. Auf Twitter geschieht aktuelles Weltgeschehen in sämtlichen Branchen, das man live mitverfolgen kann: Politik, Journalismus, Wissenschaft. Egal, ob Invasionskrieg gegen die Ukraine, Corona-Pandemie, Bundesliga-Spiele oder Trash-TV: Auf Twitter hat alles seinen Platz und seine Community, jeder kann zu jedem Thema tweeten, was ihm auf der Zunge liegt.
Erste Veränderungen bereits angekündigt
Auch wenn Noch-Twitter-Chef Parag Agrawal versicherte, dass es mit der Übernahme von Musk keine Entlassungen bei den rund 7.500 Angestellten geben würde, wisse man bei Twitter allerdings noch nicht so recht, in welche Richtung sich das Unternehmen entwickeln wird. Viele Mitarbeiter befürchten etwa, dass der neue Twitter-Chef eine ähnliche Strategie wie zuvor bei Tesla verfolgt und den Hauptsitz von San Francisco nach Texas verlegen wird.
Elon Musk hat jedoch bereits ein paar Änderungen angekündigt, die nicht alle schlecht klingen. Darunter etwa die Offenlegung des Twitter-Algorithmus, der festlegt, welche Tweets in der Timeline der User angezeigt werden. Musk vergleicht Twitter mit einem Marktplatz, auf dem jeder seine Meinung sagen kann. Die Frage ist eben, ob Musk als Besitzer dieses Marktplatzes nicht seine Macht missbraucht und sich die Marktschreier selbst aussucht. Immerhin will er die Twitter-Spam-Bots ein für alle Mal auf den Mond schießen:
If our twitter bid succeeds, we will defeat the spam bots or die trying!
— Elon Musk (@elonmusk) April 21, 2022
Musk will auch einen Bearbeitungs-Button einführen, mit dem es möglich sein soll, Tweets auch nach ihrer Veröffentlichung zu bearbeiten. Dies könne auch Teil eines Abo-Modells in Form eines Premium-Features sein. Nachdem Twitter vor ein paar Jahren bereits die Länge der Tweets von 140 auf 280 Zeichen anhob, könnte mit Musk eine Limitierung komplett entfallen.
Manche solcher Änderungen ließ Musk im Vorfeld auf Twitter zur Abstimmung frei. Es ist jedoch fraglich, ob Musk seinen Followern in Zukunft immer ein Mitbestimmungsrecht einräumt oder ob dies nur ein gelungener Marketing-Streich war. Und weiß Musk, dass seine Gefolgschaft auf Twitter nicht wirklich repräsentativ ist und die mehrheitliche Meinung der Twitter-Nutzer nicht widerspiegelt?
Wird Twitter das neue Facebook?
Hält man sich lange genug auf Twitter auf, werden einem irgendwann genauso toxische Inhalte in die Timeline gespült wie auf Facebook: Beleidigungen, Hate-Speech und Internet-Trolle findet man auch in auf 280 Zeichen limitierten Tweets. Die vermeintliche Internet-Anonymität holt das schlechteste aus den Menschen heraus. Der wohlgemeinte Rat „Erst denken, dann reden“ wird von vielen Nutzern und Nutzerinnen in den ach so sozialen Netzwerken offenbar nicht wirklich beherzigt. Im Gegenteil, hier gilt scheinbar: „Erst tweeten, dann denken – und anschließend vielleicht entschuldigen“. Immerhin will Musk die “Authentifizierung aller Menschen”, was vielleicht zu etwas weniger Hass im Netz führt. Wie genau das geschehen soll, ist bisher aber noch nicht bekannt.
??♥️ Yesss!!! ♥️?? pic.twitter.com/0T9HzUHuh6
— Elon Musk (@elonmusk) April 25, 2022
Auf dem Weg zu einer Plattform für Redefreiheit sind Moderatoren enorm wichtig. Bei Twitter gibt es rund 500 Inhalte-Moderatoren, von denen Musk jedoch kein großer Fan ist. Aufgabe solcher Moderatoren ist es unter anderem, Nutzer, die sich nicht an die Richtlinien halten, zu sperren oder fragwürdige Informationen zur Corona-Pandemie mit Warnhinweisen zu versehen. „Die meisten der bestehenden Moderationsrichtlinien, die Gewaltandrohung, Belästigung oder das Spamming verbieten, wolle er abschaffen, so Musk“, berichtet BR24 .
Sollten diese Moderationsrichtlinien tatsächlich abgeschafft werden, könne dies sogar regelrecht gefährlich werden: “Ohne Bedingungen für Musks Twitter-Erwerb, ohne die Gemeinschaftsstandards der Plattform und ohne die Möglichkeit, Nutzer zu sperren, die gegen diese Standards verstoßen, könnte Twitter einen gefährlichen Präzedenzfall für andere Social-Media-Unternehmen schaffen”, erklärt Bridget Todd, Direktorin der Frauenrechtsorganisation UltraViolet, gegenüber der New York Times . “Das ist ein sehr gefährlicher Weg.” Mark Zuckerberg wird sicherlich gespannt beobachten, was bei Twitter in den nächsten Wochen passiert.
“Ich hoffe, dass selbst meine schlimmsten Kritiker auf Twitter bleiben.“
Der Verkauf von Twitter wird im Netz zurzeit viel diskutiert. Manche sehen in Elon Musk den Twitter-Messias, der das wahre Potenzial eines sozialen Netzwerkes entfalten kann. Viele beobachten die Übernahme auch kritisch und halten es für keine gute Idee, einer einzigen Person so viel Macht zu geben. Noch können diese Sorgen auch auf Twitter gepostet werden. Dagegen scheint Musk auch erstmal keine Einwände zu haben:
I hope that even my worst critics remain on Twitter, because that is what free speech means
— Elon Musk (@elonmusk) April 25, 2022
Auch Twitter-Mitbegründer Jack Dorsey glaubt an das Gute in Elon: “Im Prinzip glaube ich nicht, dass jemand Twitter besitzen oder leiten sollte“, so Dorsey . „Es soll ein öffentliches Gut auf Protokollebene sein, kein Unternehmen. Für das Problem, ein Unternehmen zu sein, ist Elon jedoch die einzige Lösung, der ich vertraue. Ich vertraue auf seine Mission, das Licht des Bewusstseins zu erweitern.“
Einschätzung der Redaktion
Nach einem Bearbeiten-Button flehen Nutzer Twitter seit Jahren an, daran ist aus User-Sicht nichts auszusetzen. MissverständlicheTweets oder Rechtschreibfehler können durch den Autoren schnell gerade gerückt werden. Die Idee mit der Authentifizierung der Nutzer scheint momentan doch recht unrealistisch: Zum Einen hat Musk nicht erklärt, wie genau diese Authentifizierung bei einem weltweiten Netzwerk funktionieren soll. Zum Anderen wird dies das Problem von Bots nicht bekämpfen, denn die Botfabriken bedienen sich nicht nur der neuen Accounts, sondern der gekaperten Konten von echten Nutzern. Die obligatorische Verifizierung wird außerdem Minderheiten, Menschen mit unpopulären Meinungen oder Menschen mit geleakten Informationen in Gefahr bringen. Sie werden sich zweimal überlegen, ob sie etwas auf der Plattform kund tun, da der aufgebrachte Mob dann nicht mehr nur durchs Internet, sondern vor der eigener Wohnung oder Arbeitsstätte hetzt.
Ein wichtiger Marker für Musk als Twitter-Inhaber wird seine Entscheidung sein, ob Donald Trump auf die Plattform zurückkehren darf oder nicht. Der 45. US-Präsident hat die Grenzen einer weltweiten Informationsplattform bis auf Hässlichste ausgereizt. Seine Popularität und Reichweite hat er dazu genutzt, um “alternative Fakten” zu verbreiten, zu lügen und gegen seine Wiedersachen zu hetzten. Seine letzte Amtshandlung war ein Versuch, die Ergebnisse der Wahlen in den USA mit dem Mob im Kapitol zu löschen. Mit der Twitter-Sperre wurde aber dem US-Präsidenten eine riesige Plattform genommen, die seine Lügen, Hass und Hetze hundertmal multiplizierte. Seine Versuche, eine eigene vergleichbare Plattform zu schaffen, scheiterten bislang. Wird Musk Trump auf Twitter wieder willkommen heißen, wird die Welt um eine Instanz der Propaganda, Verdrehungen und des Hasses reicher.