Dass Landstraßen die tödlichsten Straßen Deutschlands sind, ist keine neue Erkenntnis (siehe weiter unten). Doch eine aktuelle Dekra-Untersuchung hat ergeben, dass besonders junge Autofahrer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren auf Landstraßen schwer verunglücken – und zwar EU-weit.
Demnach sind nicht nur EU-weit über 50 Prozent der Verkehrstoten auf Landstraßen zu verzeichnen. Sondern bei jungen Menschen liegt der Landstraßen-Anteil an den Verkehrstoten sogar bei zwei Dritteln. Als Gründe nennt Dekra-Experte Walter Niewöhner “überhöhte Geschwindigkeit und Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss sowie Selbstüberschätzung”. Außerdem würden junge Autofahrer den Straßenverlauf mit möglicherweise engen Kurven oft nicht richtig einschätzen und ihre Fahrweise dementsprechend nicht passen.
Neben der Fahrzeugtechnik und dem Faktor Mensch würde auch die Infrastruktur eine wichtige Rolle spielen. Dabei gehe es nicht nur um Neubauprojekte, sondern insbesondere auch um die gezielte Erhöhung des Sicherheitsniveaus bestehender Straßen. Dazu zählen “Aspekte wie Zustand der Fahrbahndecke, Vorhersehbarkeit der Straßenführung, Erkennbarkeit der Fahrbahn, Seitenraumgestaltung, Fahrbahnmarkierungen, Gestaltung von Kreuzungs- und Einmündungsbereichen oder Schaffung von Ausweich- und Überholmöglichkeiten”, wie Niewöhner erklärt.
Die Dekra nennt folgende konkreten Unfallszenarien für die Landes- und Kreisstraßen in Baden-Württemberg: “In 25,3 % der Fälle waren junge Personen außerorts (ohne Autobahnen) in Unfälle mit einem einbiegenden oder kreuzenden Fahrzeug verwickelt (25- bis 64-Jährige in 33,3 % der Fälle). Unfälle im Längsverkehr mit Fahrzeugen in gleicher oder entgegengesetzter Richtung verursachten junge Personen in 26,4 % der Fälle (25- bis 64-Jährige in 27,5 % der Fälle). Unangepasste Geschwindigkeit oder Überschreiten der zulässigen Geschwindigkeit wurde jungen Personen je nach Art der Unfallursache und Straßenkategorie anteilig bis zu fünfmal so häufig zugewiesen wie den 25- bis 64-Jährigen. Etwa jeder dritte von einer jungen Person verursachte Unfall ereignete sich in der Nacht – bei den 25- bis 64-Jährigen war es ‘nur’ jeder vierte Unfall.”
Landstraßen waren immer schon besonders gefährlich: Blick zurück
Trotz aller Verbesserungen bei der Crash-Sicherheit und zahlreicher elektronischer Helfer – ABS, ESP, Spurhaltesysteme und Spurverlassensassistenten, Notbremssysteme, ACC, Müdigkeitswarner etc. – bleibt ein Problem also seit Jahren ungelöst: Die hohe Sterberate auf Deutschlands Landstraßen. Denn seit in Deutschland Statistiken zu Verkehrsunfällen geführt werden, liegen die Land- und Bundesstraßen vorne. Autobahn und selbst der Stadtverkehr fordern deutlich weniger Menschenleben. Hier einige Beispiele für die Tödlichkeit von Landstraßen:
2019: So wenig Verkehrstote wie nie zuvor, aber…
Die meisten Autofahrer sterben auf Landstraßen
Gefährliche Überholmanöver
Neben Fahrten mit zu hoher Geschwindigkeit und/oder unter Alkoholeinfluss sind es vor allem unüberlegte Überholmanöver, die jedes Jahr viele Menschenleben fordern. Die Dekra schreibt dazu: „Riskante Überholmanöver waren im Jahr 2020 die Ursache von Verkehrsunfällen, bei denen mehr als 16.000 Personen verletzt und 277 getötet wurden. Oft waren dabei Fehleinschätzungen, Fahrlässigkeit und Leichtsinn im Spiel. Im Jahr 2020 starb knapp ein Drittel aller auf deutschen Landstraßen getöteten Menschen bei einem Unfall mit dem Gegenverkehr.“
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Benötigte Strecke wird unterschätzt
Die Dekra sieht vor allem ein Problem: Autofahrer unterschätzen oft, wie viel Strecke man zum Überholen braucht: „Vielen ist nicht bewusst, dass insgesamt ungefähr doppelt so viel Strecke benötigt wird wie für den reinen Überholvorgang“, erklärt Stefanie Ritter, Unfallforscherin bei der Dekra. Ritter nennt ein Beispiel: Zum Überholen eines 60 km/h fahrenden Lkw braucht man dort von Überholbeginn an eine freie Strecke von knapp 600 Metern.
Auto- und Motorradfahrern drohen jetzt tödliche Unfälle mit Mähdreschern
Verschmutzte Blinker
Die Dekra-Expertin weist zudem auf ein Problem hin, das auch die Kameras und Radarsensoren moderner PKWs überfordert: „Größte Vorsicht ist beim Überholen von landwirtschaftlichen Fahrzeugen geboten. Vor allem dann, wenn deren Blinkleuchten verschmutzt oder durch Arbeitsgeräte verdeckt und für den nachfolgenden Verkehr nicht erkennbar sind; ein Traktor könnte somit ‚unangekündigt’ abbiegen. Und manchmal wird es durch überbreite oder beladene Fahrzeuge auf schmalen Straßen so eng, dass zum Überholen nicht genügend Sicherheitsabstand bleibt.“
So überholen Sie richtig:
- Vor dem Ausscheren nach hinten schauen und prüfen, ob nicht schon ein nachfolgendes Fahrzeug zum Überholen angesetzt und Vorrang hat
- Die Strecke vor Ihnen genau im Blick behalten: Ist sie frei von Gegenverkehr? Kann ich sie voll einsehen? Wie verhalten sich die zu Überholenden? Ist die freie Strecke zum Überholen lang genug?
- Blinken vor dem Ausscheren
Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Kurven oder Kuppen die Sicht nehmen sowie im Bereich von Kreuzungen und Einmündungen. Vom “Kolonnenspringen” rät die Dekra ab.
So entwickelten sich die Verkehrstotenzahlen in den letzten Jahren:
Weniger Verkehrstote als je zuvor – mit einer Ausnahme
Verkehrstote 2020: Fußgänger & Radfahrer flop, Auto- & Motofahrer top
2019: So wenig Verkehrstote wie nie zuvor, aber…
Mehr Verkehrs-Tote wegen Handys – aktueller Fall vor Gericht
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So wenig Tote wie nie zuvor im Straßenverkehr