Kfz-Versicherungen sind nicht billig. Vor allem, wenn man sich eine Vollkasko mit geringer Selbstbeteiligung wünscht. Als sich der Autor dieses Beitrags Anfang des Jahres nach langer Zeit wieder ein Fahrzeug zulegte, stand auch die Wahl einer Kfz-Versicherung an. Da ich mit der Allianz schon gute Erfahrungen gemacht habe, lasse ich mir von dort ein Angebot machen. Rund 700 Euro soll es kosten. Billiger wird es mit einem Telematik-Tarif. Wer diesen wählt, bekommt im ersten Jahr schon mal 10 Prozent Begrüßungsrabatt. Wer außerdem noch vorsichtig fährt, erhält zusätzlich bis zu 30 Prozent Nachlass auf den Versicherungsbeitrag. In meinem Fall ergibt das gut 400 statt 700 Euro. Ein verlockendes Angebot. Eine kurze Recherche meinerseits zeigt: Ich benötige ein kleines Kästchen von der Versicherung, dass in meinem Auto platziert wird. Davon hatte ich schon mal gehört. So ein Kästchen kann die Beschleunigung beim Losfahren und Bremsen sowie in einer Kurve messen. Ich denke mir: Das kann die Versicherung ruhig wissen. Schließlich bin ich ein äußerster defensiver Fahrer.
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Überraschung: App-Überwachung statt Blackbox
Nachdem ich den besagten Telematik-Tarif abgeschlossen hatte, landet kurze Zeit später das kleine Kästchen der Versicherung in meinem Briefkasten. Es läuft mit einer Batterie. Und hier beginne ich mich zu wundern: Eine Box, die die Beschleunigung meines Fahrzeugs aufzeichnen und per Mobilfunk ins Internet senden kann, soll derart stromsparend sein? Des Rätsels Lösung: Das Kästchen der Allianz ist nichts anderes als ein kleiner Bluetooth-Sender. Er dient der Allianz-Telematik-App, die ich auf meinem Smartphone installieren muss, als Erkennungspunkt. So weiß die App, dass ich mich in meinem Auto befinde und sie die aktuelle Autofahrt aufzeichnen soll. Das funktioniert vollkommen automatisch. Ich steige in mein Auto ein und die Allianz-App erkennt das Signal der kleinen Box. Die Aufzeichnung beginnt, sobald es mit mehr als Schrittgeschwindigkeit vorwärts geht. Sie endet, wenn die Verbindung zum Kästchen abreist, oder längere Zeit stillstand herrscht.

Das funktioniert besser als erwartet: Als ich in der zweiten Woche meines neuen Tarifs das Auto morgens stehen lasse und stattdessen den Bus zur Arbeit nehme, protokolliert die Allianz-App auch die Busfahrt. Denn ich war auf dem Weg zur Bushaltestelle an meinem Auto vorbeigegangen. Ich kann den Busfahrer aber beruhigen: Er hat fast die volle Punktzahl auf meiner App geschafft. Meinen Bonus hat er nicht gefährdet. Auch eine Tramfahrt will die App aufzeichnen. Nach etwa einem Monat löst sich die ungewollte Verbindung von App zu meinem parkenden Auto auf geheimnisvolle Weise, und so werden keine weiteren Busfahrten aufgezeichnet.
Die Überwachung fühlt sich ungewohnt stark an
Ich startete in den Telematik-Tarif in der Annahme, dass nur Beschleunigungswerte aufgezeichnet werden. Und war dann überrascht von dem, was die Telematik-App auf meinem Smartphone alles aufzeichnet – nämlich alles. Datum, Uhrzeit, Startpunkt, Geschwindigkeit, die exakte Route, sowie alle Beschleunigungswerte. Es wird ein exaktes Bewegungsprofil von mir erstellt.

Obschon ich seit Jahren Google Maps und auch Tracking-Apps für den Sport benutze, fühlt sich die Aufzeichnung aller meiner Autofahrten doch extremer an. Noch dazu in dieser Genauigkeit. Fahre ich versehentlich mal etwas zu schnell, etwa rund 40 km/h in einer 30-Zone, wird das in der App mit zahlreichen Warnzeichen bemängelt. Diese Warnzeichen tauchen auf der gefahrenen Route überall dort auf, wo die Versicherung an meinem Fahrstil etwas zu bemängeln hat beziehungsweise dort, wo ich vom Bonus-gerechtem Fahrstil abweiche. Das ist neben der überhöhten Geschwindigkeit auch bei Kurven oder in Bremssituationen der Fall. Big Brother im Auto. So hatte ich mir den Telematik-Tarif nicht vorgestellt. Als ich die App zu Hause präsentiere, ist die Reaktion eindeutig: „Diese App kommt mir nicht auf mein Handy! Dann siehst du ja, wo ich überall war. Und die Versicherung auch.“ Diese Weigerung meiner Kfz-Mitbenutzerin könnte auch schon das Aus für den Versicherungs-Bonus bedeuten. Denn der Telematik-Tarif sieht vor, dass sich alle Fahrer des Autos der Überwachung unterwerfen. Laut Vertragsbedingungen darf die Telematik-App nur in „unzumutbaren“ Fällen deaktiviert werden. Bleibt die Frage, was man so für unzumutbar hält.
Das leisten Telematik-Tarife der KFZ-Versicherung
Bei einem Telematik-Tarif wird der Fahrstil des Versicherten überwacht. Fährt er defensiv, mit moderater Beschleunigung, bremst nur gemäßigt, weil er vorausschauend fährt und geht auch nicht zu rasant in die Kurve, sammelt der Fahrer Punkte. Mit einer hohen Punktzahl kann er sich einen Preisnachlass (Bonus) bei den Versicherungsgebühren erarbeiten. Zwischen 10 und 30 Prozent Ermäßigung sind drin. Ein rasanter, also für den Versicherer unerwünschter Fahrstil führt in der Regel aber nicht zu einer Preissteigerung. Lediglich Fahranfänger könnten von so einem Malus im Tarif betroffen sein.
Das protokollieren Telematik-Apps und Telematik-Boxen
Die Punktesysteme der verschiedenen Versicherer unterscheiden sich etwas. Die meisten berücksichtigen für die Bewertung des Fahrstils aber die folgenden Punkte, wenn auch in unterschiedlich starker Gewichtung.
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Geschwindigkeit: Wer das Tempolimit überzieht, erhält weniger Punkte.
Bremsen: Abruptes Bremsen gibt Minuspunkte. Ob Sie bremsen müssen, weil Ihnen jemand die Vorfahrt nimmt oder weil Sie ein rüpelhafter Fahrer sin, spielt keine Rolle. Scharfes Bremsen ist per se schlecht für den Bonus.
Beschleunigen: Starkes Beschleunigen gilt als riskant und führt zu Punktabzug.
Straßentyp und Strecke: Innerorts passieren mehr Unfälle als auf der Autobahn. Entsprechend weniger Punkte lassen sich hier sammeln. Und auch wer häufig Unfallschwerpunkte passiert, riskiert seine Boni.
Nachtfahrten / Rush-Hour-Zeiten: Sie erhöhen das Unfallrisiko und verringern im schlechtesten Fall den Bonus.
Kurventempo: Wer rasant in die Kurve geht, verringert seine Aussicht auf einen Bonus.

Wie genau ein Versicherer diese Aspekte zu einem Punktestand für eine einzelne Fahrt zusammenmixt, ist für den Versicherungsnehmer oft erstmal unklar. Angaben dazu finden sich meist nur in schwer zugänglichen PDF-Dokumenten auf den Servern der Versicherer. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Geschwindigkeitsüberschreitungen weit weniger am Bonus nagen, als ich das erwartet hätte. Obwohl ich innerorts versehentlich mal mit rund 20 km/h über dem Tempolimit unterwegs war, habe ich dennoch eine „Goldene Medaille“ für diese Fahrt bekommen. Das ist die Voraussetzung für den vollen Bonus. Das gilt auch für Autobahnfahrten mit hohem Tempo. Ein starkes Bremsen reißt dagegen die Punktestand in den Keller. Dieser Kategorie kommt meist eine Gewichtung von 30 bis 50 Prozent bei der Fahrstilbewertung zu.

Datenschutz: Versicherer verweisen aufs Procedere
Sie selbst können in Ihrer App auf einer Landkarte genau sehen, wann Sie wohin in welchem Stil gefahren sind. Dass diese Daten auch zum Kfz-Versicherer fließen, löst bei vielen Autofahrern Entsetzen aus. Die Versicherer dagegen beteuern, ein Datenschutz-taugliches System entwickelt zu haben. Wie dieses genau aussieht, unterscheidet sich bei den einzelnen Unternehmen, üblich scheint Folgendes zu sein:
Die Handy-App beziehungsweise die Telematik-Box (Letzteres wird allerdings kaum noch angeboten) übermittelt die gesammelten Daten per Mobilfunk an den Kfz-Versicherer. Dieser pseudonymisiert die Daten und schickt sie an einen Datenverarbeiter weiter. Der kennt weder den Namen des Versicherungsnehmers noch dessen Autokennzeichen. Der Datenverarbeiter ermittelt aus jeder Fahrt einen Score (eine Punktebewertung) und schickt ihn an den Kfz-Versicherer zurück. Der de-pseudonymisiert den Score, sendet ihn aufs Smartphone des Teilnehmers und speichert ihn in seiner Akte. Daten wie die Strecke sind im Score auf dem Server des Versicherers nicht enthalten. Für die Versicherer ist damit der Datenschutz gewährleistet.
Als datenschutzsensibler Verbraucher kann man mit gutem Recht Zweifel an dem Procedere haben. Um einen Punkt bei diesem Verfahren herauszugreifen: Pseudonymisierte Daten sind meist viel leichter zu knacken als vorgegeben wird. Die Firma, die den Score errechnet, erhält die genauen Wege des Kfz-Versicherten. Wenn dieser etwa von Montag bis Freitag um 8:30 Uhr eine Fahrt beginnt und um 17:30 eine zweite Fahrt am selben Punkt beendet, dann startet diese Person sehr wahrscheinlich morgens von seinem Wohnort zu seiner Arbeit, die ein typsicher 9-to-5-Job ist. Sollte der Startpunkt ein Einfamilienhaus sein, ist die Person schon fast ermittelt.
Wie dramatisch ist das Datenschutzproblem?
In meinem Freundes- und Bekanntenkreis hat die Telematik-App überwiegend Entsetzen ausgelöst. Nur wenige wiesen darauf hin, dass jedes Android-Smartphone auch ohne Telematik-App bereits zahlreiche Standortdaten an Google und installierte Apps sendet.
Grundsätzlich muss man sagen, dass es in Deutschland und der EU strenge Datenschutzvorschriften gibt. Und man kann davon ausgehen, dass sich die Kfz-Versicherer daran halten. Damit sollte es also eigentlich kein Datenschutzproblem geben. Dass es sich trotzdem schlecht anfühlt, ist wohl eine Einstellungs- oder noch mehr eine Vertrauensfrage: Glaube ich, dass die Verarbeitung meiner Fahrdaten im Internet gut genug geschützt ist?
Es steht aber noch eine andere wichtige Frage im Raum: „Wem gehören die Daten im Auto? Die Frage existiert schon länger, denn moderne Autos (und ihre Hersteller) zeichnen bereits seit Jahren sehr viele Daten zu den Fahrten des Kfz-Lenkers auf. Die Daten aus der Telematik-App kommen hier eigentlich noch dazu. Die rechtliche Antwort auf diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt. Wir wollten wissen, ob die Polizei die Daten der Telematik-App bei einer Verkehrskontrolle einfordern darf, etwa um eine vermutete Geschwindigkeitsübertretung zu ermitteln. Und was passiert, wenn ich selbst Verursacher eines Unfalls bin? Muss ich mit den Daten aus der Telematik-App meinen eigenen Fehler zugeben? Antworteten liefert das Interview unten auf dieser Seite.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Telematik-Tarife im Moment beim Sparen helfen. Ein Abschlag von 30 Prozent bei der Kfz-Versicherung lohnt sich besonders bei teuren Tarifen, etwa für junge Autofahrer. Man erkauft sich den Rabatt aber mit sehr persönlichen Informationen. Wieder einmal. Und: Sollten sich Telematik-Tarife durchsetzen und von der Mehrheit der Autofahrer genutzt werden, dann müssten die Versicherer entweder den Rabatt reduzieren oder die Versicherung für all jene, die keine Telematik zulassen, um 30 Prozent teurer machen. Das ist keine schöne Vorstellung.
Telematik-Tarife mit rechtlichen Chancen und Risiken
Ein Telematik-Tarif der Kfz-Versicherung führt dazu, dass Ihr Fahrverhalten durch eine Blackbox oder Ihr Handy sehr genau aufgezeichnet wird. Diese Daten können Ihnen etwa bei einem Unfall helfen – oder auch schaden. Wir fragen Rechtsanwalt Christian Solmecke nach den rechtlichen Fallstricken der Telematik-Daten.
PC-WELT: Darf die Polizei bei einer Verkehrskontrolle oder bei einem Unfall die Daten der Telematik einsehen, etwa um eine vermutete Geschwindigkeitsübertretung festzustellen?
Solmecke: Die Polizei darf grundsätzlich zur Strafverfolgung die Sicherstellung und Herausgabe von Fahrzeugdaten bzw. -datenträgern anordnen. Es handelt sich dabei aber um einen schweren Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Person. Solche Maßnahmen sind daher nur rechtmäßig, wenn wichtige Rechtsgüter wie Leib oder Leben gefährdet oder verletzt sind. Bei einer einfachen Geschwindigkeitsüberschreitung wäre so ein Eingriff daher unverhältnismäßig.
PC-WELT: Kann ich die Daten aus der Telematik nach einem Unfall in einem Rechtsstreit vor Gericht verwenden?
Solmecke: Es ist noch nicht gerichtlich geklärt, wem genau die Daten aus der Telematik gehören. Die Tendenz geht aber in Richtung Fahrer. Dieser dürfte dann auch entsprechend die Daten etwa als Grundlage eines Sachverständigengutachtens als Beweismittel in ein Gerichtsverfahren einbringen. Beweiserhebungs- oder Verwertungsprobleme wie bei Dashcam-Aufnahmen gibt es an dieser Stelle nicht, da nur die eigenen Daten und nicht die Daten Dritter verwertet werden.
PC-WELT: Kann meine Versicherung nach einem Autounfall die ermittelten Daten gegen den anderen Unfallbeteiligten oder auch gegen mich verwenden?
Solmecke: Die genauen Befugnisse der Versicherung werden von dem konkreten Vertrag abhängen, der mit dem Versicherungsnehmer geschlossen wurde. In diesem steht, wie die Fahrzeugdaten verarbeitet und gespeichert werden. Grundsätzlich müsste der Fahrer vorher der Verarbeitung seiner Fahrzeugdaten zum Zwecke der Unfallaufklärung zustimmen. Der Versicherungsnehmer hat gegenüber seiner Versicherung aber auch eine Aufklärungsobliegenheit. Er muss seiner Versicherung dabei helfen, das Geschehen aufzuklären. Das bedeutet, dass wenn diese ein berechtigtes Interesse daran hat, die Telematik-Daten auszuwerten, etwa weil sich der Unfall anders nicht aufklären lässt, muss der Versicherte kooperieren, um dieser Obliegenheit nachzukommen.