„ Für mich ist das eine Technologiefrage. Aus Games heraus können unglaublich viele spannende Anwendungen entwickelt werden, in Richtung automatisiertes Fahren, für die Luftfahrt, für so viele Industriezweige“ , erzählt uns FDP-Vorsitzender Christian Lindner im Rahmen des Game-Changer-Events des Spieleverbands GAME, dem wichtigsten Verband der deutschen Games-Branche. „Wir brauchen dieses Skillset in Deutschland, und es ist wichtig für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Wir bemühen uns, dieses Thema Gaming und auch esports stärker in den Bundestag hineinzutragen, aber das Bewusstsein ist noch nicht ausgeprägt genug. Wir müssen als Politiker verstehen, dass Computer- und Videospiele nicht so eine ominöse Sache sind, sondern ein Wirtschaftsfaktor. Etwa wenn wir nach Kanada schauen, wo hunderttausende Arbeitsplätze entstanden sind durch eine gezielte Förderung. Ich glaube, es ist ganz wichtig, hier auch perspektivisch zu denken – wie schaffen wir Jobs in Bereichen, für die junge Menschen Leidenschaft empfinden? Ich möchte, dass ein junger Spiele-Programmierer oder Designer oder Autor nicht zuerst an CD Projekt RED denkt. Oder Ubisoft Montreal, wenn er über seine Zukunft nachdenkt, sondern auch an Firmen in München, Berlin, Hamburg oder Köln.“

©Ubisoft
35.000 Menschen machen das jetzt schon, Lindner wünscht sich eine deutlich höhere Zahl in naher Zukunft. Lindner selbst spielt mit seinen Kollegen im offiziellen FDP-Kanal öfter Super Mario Kart, „weil daran alle Spaß haben und ich die Kollegen so sanft an das Thema ranführe“. Linder selbst spielt vor allem Simulationen: „Ich spiele viel Gran Turismo oder zuletzt den Microsoft Flugsimulator, aber das sind recht komplexe Titel.“ Zudem ist er ein großer Fan des esports und hat schon einige Turniere in FIFA, Gran Turismo, Dota 2 oder League of Legends besucht. Eine Passion, die leider nicht alle Politiker teilen – München etwa hätte die Europameisterschaft in League of Legends haben können, der Stadtrat lehnte jedoch ab, obwohl die Kosten minimal gewesen wären: 160.000 Euro waren veranschlagt.

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„ Das ist eine unglaubliche Energie, eine Passion, das müssen wir fördern. Ich vergleiche das gerne mit der Rolle, die der Motorsport für den Automobilbau spielt. Häufig werden neue Antriebsarten, neue Motoren, neue Reifen für den Motorsport entwickelt und finden so den Weg in die Autos, die wir selbst auch fahren können. Genauso kann der Gamesbereich ein Beschleuniger sein für den ganzen IT-Sektor. Und deshalb wollen wir, dass Deutschland im Bereich Gaming in die Weltspitze aufrückt. Und dafür müssen sich ein paar Dinge ändern – wir haben zu wenig Risikokapital, zum einen. Aber es ist leicht, auf VCs zu schimpfen, wenn die öffentliche Förderung viel zu bürokratisch ist.“ Die Spielebranche gilt als größter Wachstumsmarkt überhaupt, bis zu 30 Prozent wird die Gaming-Industrie laut Juniper Research bis 2023 wachsen und dann die Marke von 200 Milliarden US-Dollar oder 270 Milliarden EURO Umsatz knacken. 3,5 Milliarden Euro werden bereits jetzt in Deutschland umgesetzt, eine gute Milliarde an Steuereinnahmen verbucht der Bund durch hiesige Spiele-Firmen jährlich. „ Ich verstehe nicht, warum wir Spiele nicht im gleichen Maße fördern wie Filme und andere Kulturgüter.“

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„ Es gibt inzwischen ein bisschen etwas“ , sagt Christian Lindner – 250 Millionen Euro will die Bundesregierung in lokale Studios und Publisher in den nächsten Jahren investieren, die ersten Millionen sind bereits an Studios geflossen. Die bislang höchste Summe erhielt das Münchner Studio Mimimi Games, die mit Shadow Tactics und Desperados 3 große Erfolge feiern konnten, auch international. 2,2 Millionen Euro erhält das Studio vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Laut Informationen von gameswirtschaft.de erhalten weitere Teams höhere Zahlungen, etwa Promotion Software aus Tübingen, die sich für 913.000 Euro für ihr Echtzeit-Strategiespiel Emergency One freuen dürfen, bei der wir als Einsatzleiter Feuerwehr, Sanitäter, Polizei und andere Rettungs- und Spezialkräfte koordinieren. „Aber das ist nicht viel, wenn ich das vergleiche mit dem, was wir für Filmförderung investieren zum Beispiel.“ In der Tat erhalten deutsche Filme sehr viel Förderung vom Staat, 125 Millionen Euro etwa im Jahr 2019. 15 Millionen Euro extra will man dieses Jahr für High-End-Serienproduktionen ausgeben, damit ARD, ZDF & Co. nicht zu sehr von Netflix, Amazon Prime und Disney+ abgehängt werden. Zudem besteht für Spielestudios die Herausforderung, dass die Regierung nur Gelder zur Verfügung steht, wenn man selbst denselben Betrag aus eigenem Umsatz oder via Investoren zur Verfügung stellen kann.

©BMVI
Wer also eine Million möchte vom Bund, der muss auch selbst erstmal über eine Million Euro Kapital verfügen. Sollten wirklich die 250 Millionen Euro bis 2023 ausgegeben werden, würde die Gamesbranche mit der Filmindustrie gleichziehen, allerdings wird das BMVI dafür einige Prozesse umstellen müssen. Aktuell scheint man mit wenigen Branchenexperten zu arbeiten, die Sachbearbeiter kennen in der Regel die Spieleindustrie nicht, was zu sehr vielen Nachfragen führte, man verstehe etwa nicht, was ein Level-Designer so mache oder warum die Hersteller von Spiele-Engines, wie Epic Games, anteilig an den Verkäufen beteiligt werden möchten. Warum das BMVI sich keine Berater an Bord holt, die die Branche verstehen, Chancen und Risiken einschätzen können, konnte Andreas Scheuer, Bundesminister für Verkehr und Digitale Infrastruktur bisher nicht abschließend beantworten. Man arbeite aktiv an einer „Beschleunigung der Prozesse und schnelleren Verfahren“. Deutschland hat das Luxus-Problem, dass 250 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Aber das BMVI sich schwer tut, diese effizient zu verteilen

Das BMVI sitzt jetzt auf einem gigantischen Budget, welches aber auch verteilt werden muss. Minister Scheuer hat jetzt im März 2021 ein neues Games-Referat innerhalb seines Ministeriums etabliert, welches vom Regierungsdirektor Stefan Zaß verantwortet wird, der bislang das Referat für Künstliche Intelligenz und Digitalisierung in der Mobilität leitete. Aktuell in der Debatte ist ja auch ein eigenes Digitalministerium, das Bundesministerium für digitale Innovationen und Transformation. Das scheint schlüssig, schließlich hat Scheuers Ministerium mit Infrastrukturfragen der Bahn, von Autobahnen und Telefonnetzen eigentlich schon ziemlich viel zu tun. Zudem beaufsichtigt das BMVI jeden einzelnen Verband in den einzelnen Städten, die den ÖPNV, den Öffentlichen Nahverkehr, steuern. Scheuer ist zudem verantwortlich für den Klimaschutz, Elektromobilität, Güterverkehr- und Logistik, maritime Sicherheit sowie EU-Verkehrspolitik und Weltraumpolitik der EU. Der Mann dürfte einer der meistbeschäftigen Minister überhaupt sein, ein Digitalministerium würde seinem Team viel Arbeit abnehmen und könnte sich vor allem auch aus mehr Digital-Experten zusammensetzen.

©Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Das BMVI versucht sich zwar der Branche anzunähern, erlaubt sind jetzt etwa zusätzliche Publisher-Vorschüsse, Early-Access-Einkünfte, Vorbestellungen und Einnahmen aus Crowdfunding-Kampagnen, etwa via Kickstarter. Was bleibt, ist einer der größten Kritikpunkte überhaupt: Studios dürfen mit ihren Projekten erst anfangen, wenn die Förderung bewilligt wurde. Bis also das Geld vom Bund fließt, muss man seine eigenen Mittel bemühen, um Mitarbeiter zu bezahlen – je länger sich diese Bewilligung hinzieht, desto teurer kann es werden für den Antragsteller. Es wäre hilfreich, wenn die Teams der Genehmigungskommission, die die Anfragen prüfen und bewilligen, sich auch von Experten aus der Gamesbranche beraten lassen würden. Unterstützung holte man sich 2020 etwa vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Ähm, warum so kompliziert? Das DLR arbeitet zwar auch mit 3D-Modellen, aber das war’s dann auch schon, was die Gemeinsamkeiten mit Spielestudios angeht. Auch das BMVI könnte sich ja ob seiner Randbedingungen beraten lassen, denn nicht jedes Studio verfügt über derart hohe Rücklagen. „Wir müssen die Prozesse dringend entbürokratisieren“, fordert Spitzenpolitiker Christian Lindner. „Wir müssen hier als Bundestag deutlich bessere Rahmenbedingungen schaffen.“ „ Esports ist ein Sport und muss auch so anerkannt werden“
„ Für mich gibt es da gar keine Frage: esports ist Sport und sollte auch so anerkannt werden. Auch psychologisch finde ich es wichtig, dass esports als regulärer Sport anerkannt wird, inklusive der Gemeinnützigkeit von Vereinen. Das könnte auch Symbolcharakter haben für eine ganze Branche, wo wir unsere Chancen bisher als Land nicht nutzen.“ Spannend: Für Christian Lindner sollte es hier keine Abgrenzung zwischen Genres geben: „Das halte ich nicht für zielführend. Wir dürfen nicht sagen, ja aber die bösen Shooter. Sie sind genauso Teil des esports wie FIFA und müssen auch genauso anerkannt werden. Ich glaube eine solche Form der Zensur würde uns schwächen, denn auch diese Spiele wurden ja bereits sehr erfolgreich in Deutschland entwickelt und sollen auch in Zukunft entwickelt werden.“ Für Lindner sind Spiele klar Kunst und sollten eben auch so behandelt werden. „Genauso wie im Film hat jeder sein Genre. Ich habe früher viele MMOs gespielt, Ultima Online, wo man ja auch Waffen und Magie benutzt. Genauso wie wir diese in vielen Filmen sehen, in der Literatur davon lesen, in Gemälden Schlachten gezeichnet werden.“
„Alles ist Teil kultureller Ausdrucksform, also Kunst. Und zu einer kulturellen Ausdrucksform zählt für mich auch, dass sie sich mit Zeitgeschichte kritisch auseinandersetzt. Und das ist ja enorm stark in Games zu sehen: In den neueren Civilization-Teilen sind Umweltschäden und Klimawandel ein Thema, womit ich mich als Regent auseinandersetzen muss. Hier hat sich also die Spieleengine so weiterentwickelt, dass sich ökologische Sensibilität zeigt. Wie bedeutsam dieses Thema ist, wie viele Wechselwirkungen es gibt. Und das ist nicht nur leerreich, sondern das macht auch richtig viel Spaß. Es ist eine Form politischer Bildung, wie man sie auch in der Schule sicherlich nutzen könnte. Ich finde es wichtig, dass wir uns dem öffnen, weil Gaming so viel Potenzial für Bildung bürgt und auch für etwas sensibilisieren kann. In Civilization sehe ich, was passiert, wenn ich den Klimawandel ignoriere und das dürfte den oder anderen durchaus wachrütteln und gleichzeitig bietet das Spiel sogar Lösungen an. Diese Intelligenz von Spielen fasziniert mich.“ Weitere lesenswerte Portraits: Mit Fortritte zum 100 Millionen-Dollar-Imperium: Die irre Geschichte von Ninja Interview: Ryan Reynolds über seine Rolle als GTA-6-NPC in Free Guy Carlos Rodriguez und G2 esports: Auf dem Weg zum Eine-Milliarde-Dollar-Team