Mit dreifacher Lichtgeschwindigkeit zischt die Milano durch das Sternenmeer der Galaxie. Das Schiff der Guardians of the Galaxy schaltet in den Kampfmodus, Rocket am Steuer, zieht nach unten, schickt seine Hadron Rockets auf die Reise und die feindlichen Schiffe explodieren in Feuerbällen…während Bonny Tylers „I need a Hero“ aus den Boxen brüllt. Einfach großartig, wie Square Enix und Eidos Montreal diese Atmosphäre des wohl skurrilsten Marvel-Films aller Zeiten einfangen. Gamora schnellt nach oben, zieht ihre Switchblade durch, haut den ersten Gegner um, Peter lädt seine Quad-Blaster durch und heizt Aliens ein, die auch aus James Camerons Avatar gesprungen sein könnten – und die Musik wechselt auf Joan Jetts “Bad Reputation”. Die Weltpremiere des zweiten großen Marvel-Spiels nach The Avengers drückt bei uns alle Knöpfe, die sie drücken muss. Es hat einfach diesen Charme, diesen Humor, diesen Vibe, der schon die Filme einzigartig machte. Wenn Gamora ihre Klinge an den Hals von Drax hält und Peter nur ganz trocken sagt: „Wir töten keine Teammitglieder, steht in deinem Vertrag. Ich weiß, es ist manchmal schwer, aber Vertrag ist Vertrag.“
Es ist schwer, Guardians of the Galaxy nicht zu lieben. Weil es anders ist, bunter, verrückter, charmanter und witziger als das, was Marvel sonst produziert. Es ist kein Superhelden-Märchen wie The Avengers, die ständig die Welt retten müssen. Sondern ein interstellarer Western über eine bunt zusammengewürfelte Truppe von sympathischen Söldnern, die eigentlich nur Kasse machen wollen, aber ständig in irgendwelchen Schlamassel reingezogen werden. Sich stets der Herausforderung stellen und nicht selten zu Helden werden. Sie reiten dem Planeten Xandar zu Hilfe, als Ronan ihn auslöschen will. Nur eben in ihrem vierkufigen Raumschiff der M-Class, statt auf einem vierbeinigen Wallach. Mit Vin Diesel in der wohl witzigsten Rolle seines Lebens – „Marvel rief an und fragte, ob ich einen Baum spielen will?“, erzählte er mal auf einer Pressekonferenz. Dieser kleine Baum namens Groot kann nur drei Sätze sagen: „I am Groot“ oder „Ich bin Groot“, damit aber alles ausdrücken, was er ausdrücken will.

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Sein Best-Buddy Rocket wäre gerne total furchterregend und tut so, als wäre er ständig sauer, ist aber eigentlich ein ziemlich sympathischer kleiner Kerl, der unfassbar gut animiert ist. Und noch besser vertont von Bradley Cooper. Mit einer großartig aufgelegten Zoe Saldana, die Gamora als Space-Black-Widow spielt – ganz ähnlich wie Scarlett Johansson wurde ihr Charakter als Kampfmaschine geformt und gedrillt, womit sie mehr und mehr hadert. Und Chris Pratt kann eigentlich alles spielen, als Space-Cowboy meets Indiana Jones Peter Quill schießt er aber mehr One-Liner raus, als Rocket Munition hat. Das Spiel Guardians of the Galaxy passt auch perfekt in Disneys Großoffensive, den Gaming-Markt zu erobern. Denn klammheimlich hat Disney gerade die E3 gewonnen: Avatar: Frontier of Pandora war Ubisofts berühmtes „One More Thing“. Johnny Depp alias Jack Sparrow in Sea of Thieves die größte Überraschung. Und Guardians of the Galaxy eine der stärksten Weltpremieren auf der E3. Großartig, wie Eidos Montreal dieses Spiel genau so atmen lässt, so wie es der Film tut. Zu viele Spiele verlieren sich in purer Action, aber die ist es nicht, die Guardians of the Galaxy ausmachte.

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Natürlich sind die CGI-Gefechte fantastisch, das kann Marvel einfach. Aber der Charme kommt aus den skurrilen Momenten, im Film wie im Spiel. Da werden die Guardians of the Galaxy in den ersten Gameplay-Szenen festgenommen und der Sicherheitschef meint nur so: „Ihr seid also die Gardeners of the Galaxy“ – die Gärtner der Galaxie. Rocket rastet aus und will ihm an die Gurgel, Peter meint nur ganz trocken – Guardians, nicht Gardeners. Wir lassen Groot den Papierkram ausfüllen.“ Es ist ein Running-Joke, das keiner Quills Helden-Namen richtig ausspricht. „Space-Lord?“, „Star Prince?“ – „Star-Lord“, es heißt Star-Lord“, sagt dann Peter. Die Idee dahinter stammt von Chris Pratt selbst, der war nämlich vor seiner Action-Karriere eher im Comedy-Bereich unterwegs mit Parks and Recreation.
„Wir sollten Rocket verkaufen. Der mag es, Leute zu töten, das braucht man ja immer“

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Oder wenn sie an Bord ihres Schiffes, der Milano debattieren. Das Team muss Geld auftreiben, um Schulden zu tilgen und überlegt, auf wen man denn am ehesten verzichten könnte. „Wir könnten doch Rocket verkaufen, seine Seele ist düster, er ist grausam und mag es, Leute umzubringen, das braucht man ja immer“, meint Drax. Spannend: Jetzt taucht ein Dialog-Menü auf, was an Mass Effect erinnert. Als Peter Quill alias Star-Lord müssen wir entscheiden:
- a) „Ich glaube Groot ist das etwas überzeugendere Monster. Wir verkaufen ihn“
- b) „Wir verkaufen Rocket. Er ist definitiv gefährlicher und angsterzeugender“
Generell fährt Guardians of the Galaxy zumindest dezent auf dieser Mass-Effect-6 Schiene, weil wir viel Zeit mit den Charakteren im Schiff verbringen, es wichtig ist wie diese zu uns stehen, wir sie auch gegen uns aufbringen können. Und anders als etwa in Crystal Dynamics The Avengers ausschließlich Star-Lord spielen, nicht die anderen Charaktere, was eine durchaus interessante Entscheidung ist. Und wie gut sieht das bitte aus auf der PlayStation 5: Messerscharfe Texturen, CGI wie direkt aus den Filmen, inklusive super detaillierter kleiner Härchen auf Rocket, der im Spiel aus irgendwelchen Gründen einen Ziegenbart trägt. Jede der Figuren ist gestochen scharf gezeichnet, auch Raytracing wird eingesetzt auf PC und Next-Gen-Konsolen. Zudem sind wir super happy, dass wir endlich mal wieder eine gut geschriebene, richtig schön durchinszenierte Singleplayer-Story erleben und anders als in Crystal Dynamics Marvel-Spiel The Avengers keinen Game-As-A-Service-Ansatz, der jetzt zwar auf der einen Seite neue Aspekte herausarbeitet, etwa Wakanda und Black Panther in das Spiel einführt. Aber die Story und das Gameplay auch etwas verwässerte. Das Spiel wirkte langgestreckt, man merkt bei diesen Games-as-A-Service-Titeln einfach fast immer, dass der Entwickler verzweifelt versucht, uns hier und da Geld aus den Rippen zu leiern.

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Guardians of the Galaxy hingegen ist ein Singleplayer-Epos, dessen Geschichte komplett aus der Sicht von Star-Lord erzählt wird, den wir auch ausschließlich spielen. Wobei natürlich die anderen nicht minder wichtig sind, Rocket riesige Waffen zückt und alle jede Menge One-Liner rausschießen, gerne auch mal ganz unschuldig. „Die Wolken ziehen sich zu, das könnte ihren Gemütszustand negativ beeinflussen, meint Drax, als die Truppe auf den Planeten Seknarf 9 zufliegt, wo Lady Hellbender herrscht. „Drax, so funktionieren Frauen nicht“, kommentiert Gamora kurz und bündig. „Schade, dachte ich hätte dazugelernt“, schmollt Drax, der ja auch in den Filmen gerade erst lernt, wie das eigentlich so funktioniert mit der Liebe, Gefühlen und so. Generell ist ja Drax dieser super muskulöse Kylosixaner, der auch noch den Untertitel „Der Zerstörer“ trägt – er ist aber eigentlich ein ziemlich gutmütiger, man könnte fast sagen naiver Typ, der den Subtext von Unterhaltungen oft nicht versteht und eher knuffig daherkommt. Als sie auf dem Planeten landen, auf dem es wie aus Eimern regnet und sich riesige Alien-Mutanten-Tiere vor ihnen aufbauen, sagt er: „Wir kommen doch als friedliche Händler, oder Gamora? Die sehen uns doch als Freunde an.“ „Mist, ich habe mein offizielles Händler-Outfit vergessen Drax. Müssen wohl doch die Klingen ran.“ „Schade“.
Na huch, das ist ja ganz schön wie Mass Effect: Wir geben Rocket, Drax, Gamora und Groot Befehle

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Die Gruppe erreicht eine große Fläche voller breiter Plattformen, die hohen Pilzen ähneln und zur Festung führen. Wir klettern drauf, doch das Gewicht ist offensichtlich zu groß, unser Team purzelt runter und wacht auf etwas auf, was sich schwer definieren lässt. Skurrile gelatineartige Würfel mit der Fähigkeit, metallische Stacheln aus ihrem Kern herauszustechen, greifen die Guardians an und wir bekommen unseren ersten Einblick in die neuen Kampfsysteme. Denn wir steuern zwar Star-Lord, laden unsere Quad-Blaster durch, zünden die Düsen an unseren Stiefeln und schießen so aus der Luft, gerne auch mal mit eingebautem Salto, geben wir unserem Squad Befehle. Hierfür wird jetzt die Zeit verlangsamt, und wir können die unterschiedlichen Spezialfähigkeiten jeder Figur anschauen und auswählen: Gamora kann etwa einen schweren tödlichen Schlag setzen, Drax seinen Kathatian Charge anwenden, um Extra-Schaden durch seinen Rammangriff zu bewirken und Groot den Wackelpudding-Alien mit seinen Ästen festhalten, damit wir ihn als Star-Lord leichter unter Feuer nehmen können. Und Rocket – nun, Rocket macht, was Rocket am besten kann: Er feuert eine riesige Cluster Ark Grenade aus seinem selbstgebastelten Raketen-Granatwerfer-Mörser namens Hadron Enforcer ab.

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Nach dem Kampf suchen die Guardians den Eingang zu Lady Hellbenders Festung. „Können die nicht einfach ein Schild aufstellen, wo sich ihre verdammte Festung befindet“, beschwert sich Rocket, der etwas säuerlich ist, weil er eigentlich gerne noch mehr seiner neuen Waffenkreationen ausprobieren wollte. Die Crew erreicht eine Brücke, der Auslösemechanismus befindet sich aber auf der anderen Seite. Drax hebt Rocket hoch: „Ich werde den kleinen Kerl hier rüberwerfen, dann kann er die Brücke aktivieren.“ „Ich aktiviere gleich ein Loch in dein Gesicht“, schimpft Rocket, während er an der monströsen Hand von Dax baumelt. Als Star-Lord entscheiden wir jetzt, ob Drax werfen soll. Oder nicht. Und das beeinflusst unsere Beziehung zu den Beiden – Drax fühlt sich bestätigt und unsere Beziehung wird dadurch gestärkt. Rocket hingegen ist ganz schön pissed, was sich nicht nur an seiner anschließenden Schimpftirade zeigt, sondern auch oben links in einer rot umrandeten Einblendung. Star-Lord versucht daraufhin, ihn etwas zu beschwichtigen, indem er ihm fünf Prozent mehr vom nächsten Job anbietet. „Ich will zehn“, schmollt unser Lieblings-Waschbär-Pilot.
Erstes Fazit: Es wird Zeit für richtig gute Marvel-Spiel
Es ist fast schon grotesk, wie schwer sich die Gamingbranche tut, Marvel-Spiele zu entwickeln. Hallo, Iron-Man? Da muss man doch nicht so einen drittklassigen VR-Quatsch raushauen, den keiner spielt, sondern warum nicht einfach die Geschichte der drei Filme inszenieren? Bitte machen. Auch haben wir die Hoffnung, dass sich Eidos Montreal mit Guardians of the Galaxy näher am MCU-Original hält, statt in die wilden Comics abzudriften, was Crystal Dynamics mit The Avengers zu häufig tat. Bislang drückt Guardians of the Galaxy aber genau die richtigen Knöpfe bei uns: Es sieht fantastisch aus, die Gags zünden, die Figuren sind genauso geschrieben wie in den Filmen. Und es ist kein Game-as-Service-Geschwurbel, sondern ein Singleplayer-Epos im Mass-Effect-Stil
Guardians of the Galaxy erscheint am 26. Oktober 2021 für Xbox Series X, PS5, PC und die Old-Gen.
Lesenwertes:
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