Assassin’s Creed Valhalla ist ein starkes Action-Rollenspiele, weil Ubisoft sein Werk atmen lässt. Weil es Fokus hat, große Geschichten erzählt, großartig geschriebene Charaktere hat. Weil es die Dramatik und Wucht der TV-Show Vikings auffährt, aber uns trotzdem nicht nur zum großen Kriegerfürsten verdammt, sondern spielen lässt, wie wir es wollen. Valhalla versteht, was wir uns eigentlich wünschen von einem Assassin’s Creed: kreativ sein, schleichen, taktieren. Wir wollen entscheiden, wie wir eine Mission angehen, eine Zielperson ausschalten, eine Schlacht vorbereiten. Wo Ubisoft Montreal in den letzten Teilen der Reihe mitunter zu viel herumeierte, uns zu häufig zu unnützem Grind zwang und jede Mechanik in die Rüstung spezialisierter Quests quetschte, lassen sie Assassin’s Creed Valhalla atmen und uns einfach mal machen – das ist Valhallas größte Stärke.

Wenn wir im Schutze der Nacht eine Festung infiltrieren, mit fiesen Finten die Wachen austricksen, deren Katapulte und Verteidigungsmechanismen außer Kraft setzen und dabei immer auf Messers Schneide tanzen, weil jeder surrende Pfeil entdeckt werden und zum Alarm führen könnte. Dann ist das großes Assassin’s Creed. Dann erlebt diese Serie Sternstunden, die wir schon länger nicht mehr so hatten. Bitte nicht falsch verstehen: Odyssey und Origins waren tolle Spiele, aber gerade letzteres versank förmlich im Grind. Das Abenteuer war kein Abenteuer mehr, es war das pure Perfektionieren von Mechanik. Für Valhalla ist es wichtig, dass wir mit dem richtigen Timing jetzt wieder direkt Gegner ausschalten können, denn nur so funktioniert Stealth. Schön auch das wir Schlafpfeile einsetzen können, wollen wir die gegnerischen Bogenschützen nicht blutig niedermeucheln.
Auch ist es die richtige Entscheidung von Ubisoft, den Raben mehr als Brücke zur Mythologie seiner Welt und als Story-Device zu verwenden, als guten Kumpel auf unseren Reisen. Und weniger als Drohne, wie sie Sam Fisher verwenden würde. Denn der Adler machte Origins und Odyssey viel zu mechanisch – ständig scannten wir einfach Festungen und arbeiteten Checkpoints ab, statt situativ zu reagieren.
Ein gutes Assassin’s Creed muss uns überraschen und ja, das heißt auch, dass Stealth nicht immer funktioniert. Aber wenn es klappt, dann ist es großartig, weil wir unseren Triumph richtig auskosten. Wir müssen die Verteidigungsanlagen des Feindes nicht sabotieren, aber wenn wir diese Extra-Meile gehen, machen wir uns den Sturmangriff im Morgengrauen leichter und verändern so die Spielerfahrung. Die übrigens besonders auf der Xbox Series X mit butterweichen, weitestgehend durchgehenden 60 Bildern pro Sekunde in nativem 4K hübsch scharfe Bilder zeichnet. Die Playstation-5-Variante stand uns noch nicht zur Verfügung, wir werden entsprechende Impressionen im Rahmen unseres großen PS5-Tests nachreichen.
Assassin’s Creed Valhalla hat Fokus und die Story-Struktur einer TV-Serie

Für Valhalla baut Ubisoft große Teile seiner Formel um und entschlackt seine Story-Struktur. Das ist wichtig, denn es ist schade, wie wenige Spieler eigentlich das Ende von Origins und Odyssey erlebten. Oder zumindest bis zum zweiten Drittel spielten, denn diese Titel ließen sich zu viel Zeit, bis die eigentliche Geschichte Fahrt aufnahm. Valhalla ist hier anders, weil es eher im Stil eines The Witcher 3 in jedem Areal eine andere in sich abgeschlossene Story erzählt.
Valhallas größte und interessanteste Neuerung sind nämlich die Königreiche, die von verschiedenen Königen, Herren, Bischöfen und Adligen regiert werden. Als Eivor entscheiden wir, auf welches dieser Königreiche wir uns konzentrieren wollen. Wir lernen diese Charaktere kennen, tüfteln für sie Bündnisse aus, arbeiten an Allianzen. Wir sind deutlich mehr Taktierer, als einfach nur ausführender Schlächter. Manchmal geht es darum, mit dem Regenten zusammenzuarbeiten. In anderen Fällen müssen wir eine Monarchie stürzen oder einem jungen König helfen, seine Feinde im Inneren zu überleben. Mitunter arbeiten wir Hand in Hand mit englischen Regenten gegen einen anderen Stamm der Nordmänner, weil es Eivors Bestreben ist, die Völker zu einen, nicht einfach nur die Briten zu vertreiben.

Jedes dieser Königreiche braucht so um die drei bis fünf Stunden, fühlt sich ergo wie eine halbe Staffel einer TV-Show an. Das ist ein smartes Konstrukt, weil wir früh Erfolge feiern, früh in die Geschichte eintauchen und uns anders als in den Vorgängern selten fragen: Wann geht es denn endlich richtig rund? Die einzelnen Episoden verweben die Geschichten dieser Königreiche mit Assassinen, Relikten, Geheimnissen und mächtigen Feinden, die sich gerne mal als Freunde präsentieren und uns dann im Dunkel der Nacht das Messer in den Rücken stoßen – nicht zwingend physisch, sondern eher im übertragenen Sinne.
Ähnlich wie in Vikings gibt es viel Verrat, muss man sich oft fragen, wer Freund, wer Feind ist. Wechseln die Seiten und mischt sich überall The Order of the Ancient ein – jener Orden, der später mal zu den Templern reifen sollte, die über enorme politische Macht verfügen und anscheinend in jedem Königreich ihre Spitzel und Schergen haben. Auch ist Eivor als Charakter spannend – er oder sie sind zeitgleich blutrünstige Schlächter, egoistische Herrscher, haben aber auch eine soziale Seite. Eivor hilft den Schwachen, nachdem er ihnen viel genommen hat. Ohne zu viel spoilern zu wollen, ist Reue ein großes Sichwort. Und wie bei einer guten TV-Show enden diese Staffeln regelmäßig mit einem narrativen Höhepunkt, der sich befriedigend anfühlt. Nordmänner sind ziemlich durchgeknallt und Valhalla spielt köstlich damit in seinen Nebenquests

Valhalla ändert die Formel seiner Nebenquests grundlegend: Die langwierigen Nebenquests von Origins und Odyssey, die uns gerne auf eine mehrstufige Reise durch einen großen Teil der Spielwelt schickten, sind größtenteils verschwunden und wurden durch kleinere Missionen ersetzt, die häufig eher witziger Natur sind. Nordmänner sind ziemlich durchgeknallte Vögel und Valhalla spielt herrlich mit der wilden Natur dieses Volkes – etwa möchte es ein Pärchen im Bett mal wieder richtig knallen lassen, aber er kann nur, wenn Gefahr droht und nach einer Schlacht, weshalb wir uns etwas einfallen lassen müssen.
Ein paar Quests sind ziemlich dämlich, die sollte man eher auslassen, etwa gibt es da diese kauzige alte Frau, die einen mächtigen Pfurz loslassen will. Ausfälle gibt’s ja immer, wenn man tausende dieser kleinen Aufgaben braucht in einem Spiel. Viele sind aber auch sehr gelungen: Zum Beispiel fanden wir auf einem Berghang in Norwegen einen Wikinger, der schlafwandelte und uns brauchte, um zurück in sein Lager zu gelangen.

In England stoßen wir auf Nonnen, die versuchten, aus dem Land zu fliehen und Schutz brauchen. Es gibt herrlich ulkige Drogen-Trips, die stellenweise komplett irre inszeniert sind, etwa wenn wir gerade einen durchgezogen haben und auf einen Typen treffen, der von seinen großen Heldentaten schwadroniert. Im nächsten Moment stolpert er direkt in das schwer bewachte Lager des Feindes – helfen wir ihm, könnte er sich als nützlich erweisen, da er rein zufällig der Schwager eines Mannes ist, den wir erst einige Stunden später kennenlernen.
Und ja, es gibt unendlich viele Rätsel, die häufig sehr schwierig zu lösen sind, weil es uns Valhalla gerne mal unnötig knifflig macht, einen Schatz in der Dunkelheit zu finden. Das sind Momente, da möchte das Spiel gerne mehr Tomb Raider sein, als seine Mechaniken zulassen. Wir hatten noch keine Gelegenheit, die Playstation-5-Variante zu spielen, aber hier könnten die neuartigen Video-Hilfen der PS5 durchaus nützlich sein. Etwas zu blutrünstiger Kampf und ohne Ende RPG-Systeme

Brutale Kämpfe sind ein Markenzeichen der Reihe und Valhalla baut hier auf das solide Fundament seiner Vorgänger auf. Die schiere gottähnliche Kraft wurde im Vergleich zu Assassin‘s Creed Odyssey abgeschwächt, aber Eivor ist immer noch ein Kraftpaket. Kämpfe fühlen sich eher wie chaotische Schlägereien an, denn ein Tanz mit der Klinge. Die Nordmänner haben in erster Linie Muskelkraft und kämpfen mehr im Eins-gegen-Eins, weniger im Verband wie die englischen Elitetruppen. Eivor kann es leicht mit einer Menge von Feinden aufnehmen, und die Vielfalt der verschiedenen Gegnertypen lässt uns gerade genug nachdenken, um zu verhindern, dass sich der Kampf in reines Button-Mashing verwandelt.
Valhalla ist sicherlich eine Spur weniger taktisch als Odyssey, lässt sich aber so spielen – wir können etwa Punkte darauf verteilen, dass jeder gekonterte Angriff dem Feind Lebenspunkte abzieht und unzählige Angriffsmanöver freischalten.

Etwa das Schleudern von zwei Äxten, Rammen mit dem Speer und zig andere Variationen, die unserem Geschmack nach eine Nuance zu blutrünstig sind, aber letztlich ins England des frühen Mittelalters passen. Im Nahkampf hat man sich nun mal damals massakriert.
Mitunter gibt es ein paar Probleme mit den Animationen, weil diese nicht immer zum richtigen Moment abgespult werden. Das ist aber nichts, was die nächsten Patches nicht beheben könnten und kommt eher selten vor.
Ein riesiger Fähigkeitsbaum gibt uns viel Freiheit beim Aufbau unseres Charakters, mit einer guten Auswahl an passiven und aktiven Boni. Wir finden und kaufen verschiedene Waffen: Schwerter, Beile, Äxte, Speere etc., werten diese mit Runen auf und lassen sie immer weiter erstarken. Das gleiche gilt für Rüstungen. Wem eine Rüstung besonders gut gefällt, der kann sie theoretisch so lange veredeln, bis sie auch in High-Level-Gebieten gute Dienste tut.
Auffällig: Es gibt in Valhalla erstaunlich wenig Loot, gerade im direkten Vergleich zu seinen Vorgängern. Einen Shop finden wir auch wieder, wo ziemlich coole Rüstung-Sets für Eivor, sein Pferd und Rabe angeboten werden, etwa das Draugr-Set, was sein Ross in eine Art schnaubenden Nazgul mit glühenden Augen verwandelt. Allerdings zu völlig abstrusen Preisen – ob Sie 20 Euro für Kosmetika ausgeben wollen, muss jeder selbst entscheiden. Raventhorpe erdet die Geschichte in unserem eigenen Dorf

Durch Erkundung erhalten wir starke neue Ausrüstung und Fähigkeiten, mit denen wir The Order of the Ancient jagen und mächtige Klöster sowie Festungen überfallen. Die Ressourcen re-investieren wir in unsere eigene Siedlung Ravensthorpe. Ist das kriegsentscheidend und ändert Asssassin’s Creed in seinen Grundfesten? Nein, aber es erdet die Geschichte und es ist eine schön Idee, weil wir so unser Volk kennenlernen. Der Schmied ist kein anonymer Kerl, der einfach nur Gold gegen Arbeit taucht, sondern jeder hat seine Geschichte zu erzählen, was gerade am Lagerfeuer am Abend so gewisse Züge von Red Dead Redemption 2 aufflammen lässt.
Natürlich können wir rein mechanisch gesehen über Gebäude neue Features freischalten: Durch den Bau einer Kaserne erhalten wir Zugriff auf Wikinger-Lieutenants, die wir mit unseren Freunden teilen können. Und wenn wir das Haus des Sehers upgraden, können wir in fantastischen Visionen etwa nach Asgard reisen, das Reich der Götter. Das ist wichtig für den Titel, denn Ubisoft Montreal stand mit England vor einigen großen Herausforderungen: England ist nicht Ägypten.

Es ist nicht besonders schön, nicht besonders prächtig, hat wenige beeindruckende Bauwerke. Es hat keine Pyramiden, keine Tempel oder die Grandes von Alexandria – England hatte zu dieser Zeit schlicht keine Großstädte. Dennoch gelingt es Ubisoft, seine Landschaften vielfältig wirken zu lassen, weil wir an Mooren entlang waten und grünlich leuchtenden Sümpfen. Weil sich überall Architektur und Statuen der Römer zeigen, die hier mit ihren Legionen gegen die Pikten kämpften und tausende von Männern ihren Tod fanden.
Diese römische Geschichte wird sogar verstärkt, weil einer unserer Dorfbewohner begeistert Memorabilien der Legionen sammelt und viele Geschichten zu erzählen hat. Eines der großen Highlights ist sicherlich der Besuch Asgards und anderer Orte, die tief in der nordischen Mythologie verankert sind. Aber auch die geheimnisvolle Aura dieser Lande, die häufig im Nebel liegen und dieses Gefühl erzeugen hier gerade Michael Crichtons Der 13. Krieger zu erleben. Review-Fazit:
Assassin’s Creed Valhalla ist eine Wucht: Es ist smart erzählt, verzichtet auf das Spannen endloser Story-Bögen wie seine Vorgänger und fühlt sich fokussierter in seiner Narration rund um Freundschaft, Liebe, Allianzen und Verrat an. Der Kampf ist brutal und blutrünstig, was dem ein oder anderen zu viel sein mag. Wer jedoch die letzten ACs bereits mochte, der wird auch hier seine Freude finden, gerade ob des wirklich gigantischen Rollenspiel-Baums, der auch nach 40, 50, 60 Stunden noch seine Überraschungen bereithält. Natürlich ist es kein fehlerloses Spiel, einige Rätsel in den Katakomben wirken verkopft, und Ubisoft muss mit Patches noch an dem ein oder anderen Bug arbeiten. Insgesamt ist Valhalla aber sicherlich eines der besten Assassin’s Creeds der letzten Jahre, weil es uns kreativ sein lässt. Weil wir bei Nacht Belagerungsmaschinen des Feindes sabotieren und ihre Generäle ausschalten können, um die Schlacht bei Sonnenaufgang vorzubereiten. Das aber nicht müssen – genau diese Freiheit braucht ein gutes Assassin’s Creed. Pro:
- Norwegen und England sind atmosphärisch sehr stark eingefangen
- Asgard als großes Setting-Highlight
- Enorm weitläufiger Rollenspiel-Baum mit hunderten Fähigkeiten
- Wenig Grind, stattdessen ein offeneres Spielgefühl als in den letzten Teilen
- Größtenteils gut geschriebene Figuren
- Das Dorf Raventhorpe als gelungene Erweiterung
- Deutlich mehr kreative Freiheit im Gameplay als in Odyssey
Contra:
- Zu wenig Loot, Odyssey war hier deutlich gönnerhafter
- Bugs treten etwas zu oft auf, hier müssen Patches her
- Animationen im Kampfsystem werden mitunter fehlerhaft ausgelöst
- Beginn von Quests erfordert oft minutenlanges Reiten zum Zielort
- Köpfe fliegen, Arme werden abgehackt – Valhalla ist sehr brutal