Assassin’s Creed Valhalla ist eine Wucht. Ein Epos, welches sich endlich persönlich anfühlt. Die nächste Generation von Open-World. Und das ist wirklich wichtig, denn Ubisoft ist traditionell nicht gut darin, Welten zu bevölkern. Unvergessen sind all diese merkwürdigen, immer gleich aussehenden Figuren, die im Dorf in Far Cry 4 abhingen. Lieblos, mit leblosen Augen, mit merkwürdiger Mimik. Die hatten auch alle nichts zu tun, die saßen einfach auf dem Boden oder vielleicht mal einer Couch. Das wirkte komisch. Schon mal ein Dorf besucht, in dem alle in ihrer Wohnung hocken und darauf warten, dass Sie eintreten? Den Spieler zum Zentrum seines Universums zu machen, das ist Last-Gen. Eine Welt zu bauen, die sich echt anfühlt, mit Figuren, die sich schon mit uns unterhalten wollen, aber auch ganz schön busy sind, ihr eigenes Leben führen – das ist Next-Gen. In Red Dead Redemption 2 hat im Camp jeder etwas zu tun, nicht selten laufen wir neben einer Person her, weil sie kochen, Pferde füttern müssen oder ihre Waffen säubern. Das sind Menschen, die warten nicht auf der Stelle, dass wir sie irgendwann anreden. In Ravensthorphe, jener Siedlung, die wir kurz vor dem großen Test zu Assassin’s Creed zu Valhalla besuchen und aufbauen, ist das auch so.
Das 2020er Assassin’s Creed fühlt sich streckenweise an wie Red Dead Redemption 2. Weil es persönlicher ist und das ist wichtig, um Geschichten zu erzählen. Große und kleine. Wenn wir in dieses Dorf investieren, wenn wir für es kämpfen und bluten, dann haben wir diese emotionale Bindung. Wenn in RDR2 einer aus unserem Clan stirbt, dann ist das ein Familienmitglied. Eine Person, die wir liebgewonnen haben. Und wird ein Kind krank in Valhalla, dann ist das nicht einfach nur eine Quest, es ist die Tochter des Krämers Yanli, der aus China nach England kam. Der uns von seiner beschwerlichen Reise erzählte, von Repressionen seiner Regierung, von der brutalen Welt, aus der er entflohen ist. Und das ist wichtig, das ist zentral für ein Rollenspiel. Das wir uns für die Figuren interessieren, die hier leben. Das wir sie kennenlernen, vielleicht sogar mit ihnen leiden. Diese persönliche Komponente ist auch wichtig für die Atmosphäre und Geschichte, die immer im Graubereich wandelt – wir sind hier nicht der große Krieger, der Held, der Luke Skywalker der Wikinger.

Wir sind aber auch nicht der brutale Invasor, der einfach nur aus Geldgier in England einfällt. Wir bewegen uns irgendwo dazwischen. Die kleinen Geschichten, die am Lagerfeuer erzählt werden, die hauchen der Gruppe dieser Menschen Leben ein. Das macht Ubisoft wie Rockstar Games, wo wir auch in Red Dead Redemption 2 all diese kruden Charaktere in aller Tiefe kennenlernen. Ja, natürlich hat jeder in dieser Siedlung seine Aufgabe: Es gibt den Tätowierer, den Schmied, den Krämer, den Pferde-Verkäufer. Aber das sind eben keine anonymen Pixelfiguren, die uns völlig egal sind und nur da sind, um uns zu dienen, sondern sie fühlen sich wie Menschen an. Das ist ja durchaus auch etwas, was kleine Dörfer ausmacht: Der Autor dieser Zeilen entstammt aus einer 6000-Seelen-Gemeinde, wo sich alle kennen. Man wusste, wer einem da am Sonntagmorgen die Brötchen verkauft, was in der Großstadt nicht mehr selbstverständlich ist. Und so lernt Eivor als eine Art Bürgermeister, als Anführer seines Volks den Pferde-Wirt gut kennen – Rowan, ein blitzgescheiter Bursche, der die Tiere wahrlich liebt und dem es wichtig ist, dass sie gut behandelt werden. Der gar Bedenken hegt, schließlich ist Eivor ein Krieger und Pferde brauchen lange, um sich an das Getöse und die Lautstärke einer Schlacht zu gewöhnen.
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Das Wikinger-Dorf: Als würden wir eine Stadt in Anno hochziehen

Natürlich hat jeder Anbieter in diesem Dorf einen Job, einen mechanischen Nutzen – Rowan hilft uns, unser Pferd zu trainieren, ihm zu lehren besser zu schwimmen, schneller zu sprinten und verhilft ihm zu mehr Ausdauer. Aber das fühlt sich nicht so komisch nach Videospiel an, wie das oft ist. Das ist nicht einfach nur eine krude RPG-Mechanik, die sich in Open-Worlds so häufig falsch anfühlt, sondern wir ziehen mit Rowan los und schauen ihm bei seiner Kunst zu. Er ist jemand, der die Tiere liebt und sehr zärtlich und verzeihend ihre Skills trainiert. Er ist es auch, der sich um unser Ross nach einer Schlacht kümmert, es tränkt, füttert und seine Wunden heilt, während wir durchs Dorf laufen. Das fühlt sich gut und richtig an, es ist wichtig für Ubisoft, dass man jetzt diese nächste Generation von Open-Worlds kreiert. Auch mit dem Schmied hält man einen Schwatz, lernt sich kennen – er ist begeistert davon, etwas Neues schmieden zu können, seine Kunst zeigen zu dürfen.

Schön auch, dass nicht jede Figur einfach nur Mittel zum Zweck ist. Es laufen auch schräge Vögel herum, wie einer, der sich wie ein Römer verkleidet und eine Art Museum unterhält – so genau wissen wir das noch nicht, aber vermutlich war sein Vater römischer Legionär, schließlich kämpften Roms Legionen verbissen um die Kontrolle der englischen Grenzregionen. Oder ein römischer Adliger, Octavius trägt Toga und einen Lorbeerkranz, das Kennzeichen eines Konsuls. Die Siedlung ist ohnehin enorm wichtig – von hier starten wir in jede Mission und gehen auf große Fahrt, was wir über eine Art Kampagnen-Karte im Haupthaus planen. Auch das ergibt mehr Sinn als in früheren Teilen – wir klauen etwa Rohstoffe und Gold aus wohlhabenden Städten Englands, um es in unser eigenes Dorf zu investieren. Je besser die Infrastruktur, desto mehr Menschen sollen sich hier ansiedeln, fast ein bisschen wie in einem Anno, was ja ebenfalls von Ubisoft stammt. Die Siedlung lässt sich auch ziemlich stark ausbauen – ein Kartograph etwa bietet Schatzkarten an und sorgt dafür, dass es leichter für uns ist, die Truppenbewegungen des englischen Königs zu verfolgen. Die Fischerhütte sorgt für Nahrung, die Seherin schaltet Vision-Quests frei, die uns an mythische Orte der Wikinger-Religion führen – Asgard, die Stadt der Götter etwa und Jotunheim – die Welt der Riesen, der in Utgard liegt. Bei Midgard gleich links, also östlicher Hand.
Authentisch schöne Welt und jeder hat seine Schwächen

Reiten wir raus oder gehen auf große Fahrt in den Wikinger-Booten, zeigt sich die Schönheit der Welt. Schon Assassin’s Creed Odyssey und Origins waren ja atemberaubend schön, auch Valhalla spielt hier groß auf: Volumetrische Wolken absorbieren die klaren Himmelstöne blau, orange und violett des Spiels. Fällt Regen, entweder wenn Sonnenlicht durch die Wolken späht oder mitten in einer blitzgefüllten Nacht, funkeln seine Partikel, um das verfügbare Licht zu reflektieren. Wasserwellenmuster verwenden subtile 3D-Tricks, um sich organischer und echter anzufühlen. Toll auch, wie viel Liebe in Details geflossen ist: Das Laub, was vom Wind aufgepeitscht wird, das realistisch zu schwanken und mit Füßen zu treten scheint, unabhängig davon, ob es vom Wind oder Ihren Schritten beeinflusst wird. Es macht Freude, die Aussichtstürme der Serie zu besteigen, um die wunderschön modellierte Welt von AC Valhalla einzuatmen.
Die Welt ist authentisch, was auf den Stealth-Aspekt einzahlt: Wir vermummen uns mit der Kutte eines Mönchs und gelangen so durch die Stadttore etwa. Schnellen aus dem Heu, ziehen eine Wache rein, tun so als wäre nichts gewesen. Wir bezahlen Bettler dafür, Ablenkungsmanöver zu starten und setzen uns zu ein paar Hütchenspielern auf deren Bank, um den Soldaten des Königs zu entgehen. One-Hit-Attentate kehren zurück und jeder Gegner hat seine Schwachstellen, die es herauszufinden gilt: One-Hit-Kills mit der versteckten Klinge basieren auf Timing. Es gibt ein neues Betäubungssystem, bei dem Paraden und schwere Angriffe Feinde in einen niedergeschlagenen Zustand bringen, jetzt können wir zum Finisher ansetzen. Spannend für Bogenschützen: Zielen wir mit dem Bogen, werden Schwachstellen des Feindes auf Wunsch hervorgehoben – treffen wir, erhöht das den Schaden und lässt den Gegner nach hinten taumeln, auch jetzt könnten wir einen Finisher ansetzen, den er schwerer kontern kann – so das Timing stimmt.
Harte Bosskämpfe, die Köpfchen statt reiner Muskelkraft erfordern

Die Bosse sind tief in der Geschichte und Mythologie der Wikinger und Geschichte Englands verwurzelt. Etwa die Töchter Lerions namens Cordelia, Regan und Goneril, die das Erbe ihres Vaters schützen wollen, der von den Menschen in Ostanglien verraten wurde. Oder die Drengr von Ragnar Lothbrok, einem berühmten Wikinger, der ungefähr zehn Jahre vor Assassins Creed Valhalla nach England kam. Er verursachte viel Ärger, machte sich viele Feinde und wurde in ein Loch voller Giftschlangen geworfen, als man ihn zum Tode verurteilte. Der Sage nach hinterließ er sechs Drengr – große Krieger, die in einem glorreichen Kampf sterben wollen, denn nur dann dürfen sie ihren geliebten Ragnar im Totenreich der Wikinger, in Valhalla wiedersehen. In diesen Kämpfen, etwa gegen Thor The Fish Monger, müssen wir zeigen, was wir alles gelernt haben.

Was diese Bosskämpfe auszeichnet, ist, dass jeder ein Thema hat – die einen teleportieren, die anderen nutzen Stürme und Blitze, die das Wasser elektrisieren als Fallen. Die Zeloten, Ritter der Order of the Ancients, werfen explodierende Fässer, was den Kampf stärker in die Distanz verlagert. Die Level-Tore der letzten Teile fallen übrigens komplett weg: Fans von Origins und Odyssey beschwerten sich, dass das Levelsystem es unmöglich machte, Feinde weit über Ihrem Level herauszufordern. Hier basiert unser Level einfach auf der Anzahl der Skillpunkte, die wir ausgegeben haben. Alle Feinde und Regionen haben zwar vorgeschlagene, aber nicht festgesetzte Level – wir können also durchaus Zwischen-Bosse herausfordern, die ein sehr viel höheres Level haben, als wir. Wir müssen nur schlauer sein.
Siehe auch: Assassin’s Creed Valhalla: Ein blutiges Epos wie The Witcher 3
Wikinger hatten eine besondere Verbindung zu ihrer Ausrüstung

Origins und Odyssey hatten ziemliche Probleme mit der Beständigkeit der Ausrüstung, besonders wenn wir aufgestiegen sind. Gefühlt sammelte man ständig eine Tonne Waffen und Rüstungsteile, die man dann zerlegen und verkaufen musste. Wir konnten zwar Equipment auch auf unser neues Level bringen, aber das hat sich zu selten gelohnt. Die meisten Rüstungen und Waffen waren nach ein paar Level-Aufstiegen nicht mehr sinnvoll. Assassin’s Creed Valhalla ändert das: Das neue Rüstungssystem bietet weniger Ausrüstungsgegenstände, aber mehr Möglichkeiten, diese zu verbessern. Erstens haben bestimmte Ausrüstungsgegenstände Runenschlitze, in die wir Runen anbringen können, die Boni und Buffs freischalten. Als nächstes können wir das Equipment selbst mit speziellen Ressourcen aufrüsten – Materialien, die sich aber nur in gut gesicherten Armee-Lagern des Feindes findet.

Wer viel wagt, der viel gewinnt. Jedes Ausrüstungsstück hat eine andere Aufrüstungsgrenze, die teilweise von der Qualität abhängt. Schließlich können wir unseren Schmied Gunnar dafür bezahlen, um etwa einen Schild mit Bronze zu beschlagen oder härteren Materialien. So lassen sich auch mehr Runen-Slots freischalten und das Aussehen verändern. In Kombination mit der geringeren Drop-Rate an Ausrüstung – diese bekommen wir in erster Linie durch Quests und finden sie in Schatztruhen, entscheiden wir uns öfter die aktuelle Waffe zu behalten. Was auch Teil der Geschichte ist – es gibt etwa eine bestimmte Axt, die einen sentimentalen Wert für unseren Charakter hat, die wir also gerne behalten und immer weiter upgraden möchten. Ein Mann. Ein Bart. Eine Axt.
