Das Feld vor uns verwandelt sich in eine Mischung aus Matsch und Blut, als die Armeen in Chivarly 2 zum ersten Mal aufeinanderprallen. Als würden wir hier Game of Thrones als Spiel erleben, werden wir in eine Schlacht geworfen, die epische Ausmaße annimmt: Triboke und Katapulte zermalmen die Feste, tausend Pfeile gehen auf die Belagerer hernieder. Zunächst erleben wir aber nur kleine Scharmützel, im Wald vor der Burg. Unser Zug arbeitet sich durch die Büsche, als plötzlich brennende Pfeile auf uns niederprasseln und die Männer links und rechts aufspießen. Viele Soldaten stürzen in den Schlamm, Kameraden trampeln über ihre Leiber und erreichen die Lichtung, wo das Gemetzel seinen Lauf nehmen sollte: Katapulte und Triboke feuern unentwegt auf die Festung vor uns, große Gesteinsbrocken schlagen im Mauerwerk ein. Einige unglückliche Bogenschützen werden von den Zinnen geschleudert und fallen in den Tod. Vereinzelt wird Mauerwerk zerstört, ein Turm wankt, begräbt eine ganze Mannschaft, die gerade erst zum Schutz herangezogen wurde.
Der Feind wagt den Ausbruch, vielleicht 20 bis 30 Mann stürmen aus einem Seitentor, fallen uns in die Flanke und Chivalry 2 zeigt, wie es seine extrem brutalen, enorm blutigen Kämpfe kombiniert mit Missions-Zielen, die durchaus ein bisschen in Richtung Battlefield 1 und dessen Grand Operations gehen. Wir sind als Soldat nur ein kleines, austauschbares Zahnrad in einem riesigen Bollwerk, welches über die feindliche Festung herfällt. Unser Kommandant gibt Befehl, das geöffnete Seitentor zu nutzen, um eine Bresche in die gegnerischen Verteidigungsanlagen zu schlagen. Zwar dürfte es uns nicht gelingen, mit unserer kleinen Einheit die gesamte Armee des Feindes zu besiegen, wohl aber seine Verteidigung zu schwächen – wir schlagen uns also durch bis zum Aufgang auf den Wall, wo sich mehrere Triboke auf vorgeschobenen Türmen befinden. Gelingt es uns, diese zu zerstören, können unsere Katapult-Mannschaften näher heranrücken und so schneller ein Loch in die Mauer sprengen, damit unsere Armee in die Festung strömen kann.
Age of Empires 4 im Preview: Wunderhübsch, taktisch, lebendig
Ein blutiges, aber auch taktisches Spektakel in Etappen

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Zum Start wählen wir aus vier Kernklassen: Knight (Ritter), Vanguard (schwer gepanzerter Pikenier), Footman (klassischer Fußsoldat) sowie Bogenschütze und natürlich einem riesigen Arsenal an Waffen: Äxte, Streithämmer, Streitkolben, Lanzen, Piken, Langschwertern, die mit beiden Händen geführt werden, Schwertern in Kombination mit Schild und auch als Bogenschütze haben wir die Wahl zwischen Kurz- oder Langbogen (der eine lässt sich schneller abfeuern, der andere hat mehr Reichweite) und diversen Armbrüsten, die sich mit Pfeilen laden lassen, die eher weiter fliegen oder kürzer, dafür mehr Durchschlagkraft haben, etwa um Rüstungen zu durchschlagen. Besonders interessant ist das Etappen-System von Chivalry 2: Wir starten in einem recht düsteren Wald bei Nacht, unsere Route wird nur von Fackeln beleuchtet und unser Job ist es, einen Verband aus Kutschen zu beschützen. Wie in so ziemlich jedem Film, zischt sogleich ein Pfeil heran, durchschlägt den Kopf unseres Nebenmannes und der Kampf entbrennt: Feindliche Soldaten in roter Rüstung stürmen aus dem Gebüsch, hacken mit ihren Äxten und Schwertern auf unsere Bodyguard-Einheit ein.

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Das Kämpfen ist deutlich anspruchsvoller, als man es diesem blutigen Gemetzel zutrauen würde, aber Gott sei Dank respawnen wir sehr schnell, das Widerbeleben dauert lediglich etwa zwei Sekunden. Denn es braucht schon ein wenig, um die vielen Facetten kennenzulernen. Ja, prinzipiell können Sie auf die KI natürlich einfach einschlagen, damit die Schlachten wuchtig und groß sind, gibt’s genug Opfer und nur wenige Gegner. Was jedoch überrascht ist, wie viel Schwertsimulator in Chivalry 2 steckt. Wir können einen Schlag nur durch das Wischen mit der linken Maustaste ausführen, aber auch beide Seitentasten der Maus nutzen und das mit der Tastatur kombinieren – es gibt nämlich nicht nur die Möglichkeit, sich zu ducken, wegzurollen, nach allen Seiten zu parieren oder eine Schwertrolle zu machen, sondern auch eine Art Spartan-Kick im Stil von Assassin’s Creed: Odyssey. Weil unsere Gegner zum großen Teil schwer gepanzert sind, lassen sich diese relativ leicht aus der Balance bringen – einmal am Boden, sind sie ein leichtes Opfer. Ein erstaunlich tiergehender Schwertkampfsimulator

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Auf dem ersten Blick würde man Chivalry 2 nie die Tiefe zutrauen, die es im Kampf entwickeln kann. Es geht darum, in eine Art Tanz zu gehen und den ganzen Körper in den Schwung eines Schwertes einzubeziehen, was gar nicht so einfach ist. Wie ein Boxer müssen wir um unseren Gegner tanzen, einen Schlag setzen, wieder auf Defensive schalten, unsere Deckung wahren – entweder mit dem Schild oder indem wir das Schwert in die richtige Position bringen. Ziehen wir die Maus in Richtung unseres Schwunges, wird dieser deutlich kräftiger, weil wir die ganze Dynamik mitnehmen. WASD steuert unsere Füße, die Maus die Hüften (also die Bewegung der Maus) und die Maustasten unsere Arme und die Angriffsart. Im Kampf bringen wir die Füße in Reichweite des Gegners, klicken dann mit der linken Maustaste, um unseren rechten Arm in Schwung zu bringen und bewegen dann die Maus nach links, damit sich der Oberkörper dreht, was uns mehr Kraft aus der Bewegung heraus gibt.
Das ist erstaunlich fordernd, gerade weil Chivalry 2 Chaos pur ist. Es gibt zwar auch klassische Duelle, die sich wunderbar zum Üben eigenen, etwa auf Ritterturnieren unter den wachsamen Augen des Königs und der Königin. Aber bis wir einen Schwerttanz mit der Eleganz und Präzision von Henry Cavill als Geralt von Riva in Netflix The Witcher Saga aufziehen konnten, verging schon etwas Zeit. Zudem sollten wir schon darauf achten, wen wir eigentlich angreifen wollen und was unser Ziel ist: Hier wollen wir den VIP in der Kutsche beschützen, in anderen Situationen geht es darum, ein Torhaus zu blockieren, damit unsere Kollegen einen Tribok auf den Mauern zerstören können. Lust auf cineastisch-blutigen Schwerttanz: Die Netflix-Serie The Witcher ist empfehlenswert Battlefield als mittelalterliche Schlacht

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Die Art, wie Tripwire Interactive und die Torn Banner Studios Missionsziele ihre Schlacht inszenieren, aber auch strukturieren, erinnert uns stark an Battlefield 1. Auch dort gab es die Grand Operations, die sich in Etappen gliederten. In Chivalry 2 ist das Ganze noch epischer, weil wir mal als Ritter hoch zu Ross mit der Kavallerie durch eine feindliche Blockade brechen müssen, um unsere Artillerie zu erreichen. Mal als Kanonier einer Geschützmannschaft, Katapulte laden und abfeuern müssen, wobei wir genau zielen müssen – je länger wir brauchen, eine Bresche zu sprengen, desto mehr Soldaten werden wir vorher verlieren. Das hier ist kein Spiel, bei dem jemand auf einen Befehl zum Sturmangriff wartet, man wirft sich lieber mit Kriegsgebrüll in die Schlacht. Lustig: Diese Motivationsschreie im Stil von „Für den König“ oder „Schlachtet Sie alle nieder“, je nachdem welche Seite wir spielen, lassen sich einfach per Tastendruck auslösen.
Ursprünglich dachten wir, dass wir damit den Befehl geben würden, uns zu folgen. Doch sind wir letztlich auch nur ein normaler Soldat, der solange seiner Sache dient, bis ihn ein Pfeil oder Axt durchbohrt.

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Die Inszenierung ist enorm gut gelungen, hier kommt richtige Schlachten-Atmosphäre auf, die mal an die Schlamm-Scharmützel aus Battle of the Bastards von Game of Thrones erinnert, mal an den Angriff auf Helm’s Klamm. Ständig surren Pfeile durch die Luft und durchschlagen Kameraden, permanent zischen große Gesteinsbrocken auf uns zu, wenn wir als Bogenschütze auf der anderen Seite die Mauer versuchen zu halten. Coole Idee: Durchbrechen die Angreifer das Tor, müssen Sie den König töten. Und das ist nicht etwa eine KI-gesteuerte Figur, sondern ein Spieler – der beste Spieler der Verteidigungsmannschaft wird zum König gekrönt, bekommt besonders prunkvolle, widerstandsfähige Rüstung und ein paar Spezialwaffen, die nur eines Monarchen würdig sind. Für den König! Für England!

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Fazit:
Dieses Jahr war für Fans großer Schlachten schon ein Fest, schließlich hat TaleWorlds gerade erst mit Bannerlords abgeliefert. Aber alle Achtung – Chivalry setzt gerade in Sachen Schwertkampfsimulation und Spieltiefe in seinen Mechaniken nochmal ordentlich einen drauf und mixt seinen eher Skill basierten Kampf mit Monty-Python-Humor. Als uns etwa ein Arm abgeschlagen wird, steht da geschrieben „Nur eine Fleischwunde“. Sehr gespannt sind wir auf die Eroberungen von Festungen, die in Phasen ablaufen, sich nach Battlefield 1s Grand Operations anfühlen und noch etwas mehr Feinheiten mitbringen als Bannerlord, etwa weil es mehr Belagerungswaffen gibt. Chivalry 2 erscheint noch 2020 für PC, Xbox Series X, Playstation 5, Xbox One und PS4.