Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass von einer kleinen Platine zum Preis von 50 oder 60 Euro keine echte PC-Leistung zu erwarten ist. Der Raspberry Pi wurde als Bastelplatine geboren und kann sich inzwischen uneingeschränkt als Dateiserver, Mediencenter oder HDMI-Zuspieler für das TV-Gerät bewähren. Nachdem der Raspberry Pi 4 nun aber bis zu vier GB RAM und eine Quadcore- CPU mit 1,5 GHz mitbringt, wird er gerne mit älteren Notebooks und PCs ähnlicher Ausstattung verglichen, die ja ihrerseits als Hardware für den Desktopbetrieb konzipiert waren. Das verkennt aber die Tatsache, dass ARM-CPUs mit vergleichbarer Kernzahl und Taktung nicht annähernd die Leistung der x86-CPUs (von Intel und AMD) erreichen. Trotzdem ist der Einsatz des Raspberry 4 als Desktopsystem realistisch, sofern man diese Rolle eindeutig festlegt, seine Multitaskingansprüche nicht übertreibt – und vor allem das Betriebssystem auf eine schnelle SD-Karte schreibt.
Raspberry Pi 4: Die neuen Features im Überblick
SD-Karte und Betriebssystem
Die eindeutig wichtigste Maßnahme für einen flüssigen Raspberry-Desktop ist eine richtig schnelle Micro-SD-Karte, die Lesegeschwindigkeiten von etwa 100 MB/s erreicht. Eingefrorene Fenster, langsamer Bootvorgang, zähe Installationen, für die man schnell den kleinen Raspberry Pi 4 verantwortlich machen könnte, sind allesamt Folgen einer unzureichenden SD-Karte. Der Leistungsunterschied des Pi 4 mit einem Raspbian auf einer Class-10-Karte (Class 10 ohne weitere Attribute bedeutet lediglich zehn MB/s) und einer Class-10-UHS-Karte (100 MB/s und mehr – UHS I, II und III) ist dramatisch. Die schnellsten SD-Karten beginnen mit Kapazitäten von 32 GB und tragen den Zusatz „SDXC“, „UHS“ oder „Ultra“. Eine Empfehlung sind etwa Sandisk-SDXC-Karten mit der Bezeichnung „Extreme“. Der Preis solcher SD-Karten kann je nach Kapazität dann allerdings den Preis der Raspberry-Platine erreichen.
Beim Betriebssystem gibt es derzeit noch kaum Alternativen: Das Raspbian „Buster“ mit seinem bescheidenen Desktop „Pixel“ dürfte aber so und so die angemessene Wahl bleiben, selbst wenn früher oder später Alternativen wie Ubuntu Mate bereitstehen. Wem der Pixel-Desktop zu karg ist, kann sich über Metapakete wie „mate-desktopenvironment“ oder „lxqt“ auch in Raspbian immer noch einen anderen Desktop nachrüsten. Von den drei Raspbian-Varianten empfehlen wir „Raspbian Buster with desktop“, das mit Browser Chromium und VLC-Mediaplayer nicht viel, aber doch die wesentlichste Software mitbringt. Gezielte Nachinstallation sind jederzeit im Terminal über „apt install“ möglich, während das grafische Tool „Recommended Software“ (rp-prefapps) mit seinem sehr begrenztem Angebot eher überflüssig erscheint.

Mit einer flotten SD-Karte erzielt der Raspberry Pi 4 mit Raspbian respektable Bootzeiten: In 17 Sekunden sind wir beim Anmeldebildschirm und bei gewählter Auto-Anmeldung („Raspberry-Pi-Konfiguration –› System –› Automatisch Anmeldung“) dauert der Start bis zum vollständigen Desktop ganze 21 Sekunden.
Beim Desktopbetrieb mit Raspbian „Buster“ und typischer Anwendungssoftware wie Browser, VLC, Gimp, Libre Office ist es unwahrscheinlich, dass das System jemals mehr als ein GB RAM benötigt. Die Maximalausstattung des neuen Platinenmodells mit vier GB RAM ist daher definitiv nicht notwendig, schon die mittlere Variante mit zwei GB RAM bietet genügend Reserven.
Um den Desktopbetrieb zu optimieren, lohnen sich etliche Optionen und Kontrollen in der Systemkonfiguration: Unter „Einstellungen –› Raspberry-Pi-Konfiguration“ muss unter „System“ der „Boot“ zum „Desktop“ erfolgen. Unter „Schnittstellen“ sollten, soweit möglich, alle Dienste deaktiviert sein und unter „Leistung“ können Sie den „GPUSpeicher“ auf 128 (MB) erhöhen. Wer die Platine konsequent auf den Desktopeinsatz fokussiert, wird außerdem auf die Installation von Serverdiensten wie Samba, Open SSH oder Apache verzichten.
Software und Desktop

Besondere Softwarediät müssen Sie dem Raspberry Pi 4 nicht auferlegen. Auch anspruchsvollere Software wie Libre Office oder Gimp ist in wenigen Sekunden gestartet. Der in Raspbian vorinstallierte Browser Chromium ist gegenüber dem etwas trägeren Firefox die vermutlich beste Wahl für den Raspberry. Nach dem Browserstart ist das Verhalten auch mit etlichen geöffneten Tabs jederzeit flüssig. Eine noch etwas flinkere Alternative wäre der Browser Vivaldi, von dem es auf https://vivaldi.com/de/ auch ein DEB-Paket für die ARM-Architektur gibt. Das bleibt aber eher Geschmackssache ohne Not. Ein Ausweichen auf wirklich minimalistische Browser wie Midori hat der Raspberry Pi 4 definitiv nicht nötig, zumal solche Alternativen in der Regel nur RAM sparen, aber beim Seitenaufbau eher langsamer sind. Raspbians schlichter Pixel-Desktop bietet durchaus mehr Anpassungsmöglichkeiten als das Hauptmenü unter „Einstelllungen“ standardmäßig preisgibt. Es lohnt sich, dies mit dem „Main Menu Editor“ zu korrigieren. Hier finden Sie in der Kategorie „Einstellungen“ weitere Tools wie „Erscheinungsbild anpassen“ oder „Openbox Konfiguration Manager“, die standardmäßig deaktiviert sind, aber nach Klick auf das Kästchen „Anzeigen“ im Hauptmenü erscheinen.
Raspberry Pi: Jede Menge Einsatzmöglichkeiten
Pi 4 als Desktop-PC: Das Fazit
Eben Upton, Gründer und Leiter der Raspberry Pi Foundation, hat die Frage, ob der neue Raspberry Pi 4 desktoptauglich sei, klipp und klar folgendermaßen beantwortet: „ Yes, it is suitable for use as a general-purpose desktop PC “.
Der Raspberry Pi 4 als Allzweck-PC? Wir hatten erhebliche Zweifel, doch beim aktuellen Raspberry ist solche Nutzung in der Tat realistisch, vorausgesetzt, man spart weder bei der SD-Karte noch beim Gehäuse. Als Surfstation, als Zweitdesktop oder als Übungsrechner für Schulen ist die Platine uneingeschränkt zu empfehlen und absolviert sogar Multitasking mit Installationen oder Datentransfers neben laufendem Browser ohne Murren.
Flirc löst die Hitzeprobleme lautlos
Neben allem Jubel über den Raspberry Pi 4 stand schnell die Sorge über eine allzu heiße neue Himbeere. Mit dem Kommando „vcgencmd measure_temp“ gemessene 70 Grad und darüber sind im Desktopbetrieb keine Ausnahme, sondern eher die Regel.
Doch das Hitzeproblem ist mit kleiner Investition zu beheben – und zwar lautlos ohne lästige Lüfter: Das Aluminiumgehäuse „ Flirc Raspberry Pi 4 Case “ (20 Euro) konnten wir im Dauerbetrieb testen. Es sorgt dafür, dass der Raspberry Pi 4 auch bei Hochlast keine 70 Grad mehr erreicht und im Normalbetrieb bei etwa 55 bis 60 Grad bleibt. Das ist immer noch hübsch warm, aber tolerierbar. Das auch optisch ansprechende Gehäuse führt eine quadratische Einbuchtung im Deckel exakt auf SOC und CPU der Platine und kann damit die Abwärme großzügig auf die gesamte Deckelfläche ableiten.
Diese einfache Maßnahme wirkt erwiesenermaßen effizienter als die kleinen Kühlkörper für das SOC, wie sie ebenfalls im Elektronikfachhandel angeboten werden.