Der Fall eines Rentners aus Bayern zeigt, wie schnell man versehentlich in die Mühlen der Justiz geraten kann. Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz schildert den Fall in seinem Jahresbericht 2019.
Der Fall: Ein 78 Jahre alter Rentner entdeckt auf einem belebten Spielplatz eine Hüpfburg. Er fotografiert diese, um das Bild später seinem Enkel zu zeigen. Eltern bemerken das, stellen ihn zur Rede, er verstrickt sich den Eltern zufolge in Widersprüche. Die wütenden Eltern rufen die Polizei.
Die polizeilichen Maßnahmen: Die Polizeibeamten stellen die Identität des Rentners fest, befragen ihn und stellen das Mobiltelefon sicher, mit dem er die Fotos erstellt hat. Der Rentner wird im Anschluss daran zur “Abwehr einer konkreten Gefahr” erkennungsdienstlich behandelt. Die Beamten machen einen Mundhöhlenabstrich zur Feststellung eines DNA-Identifizierungsmusters. Die dabei dem Betroffenen ausgehändigte Rechtsbelehrung verwies laut Datenschutzbeauftragten auf eine nicht zutreffende Rechtsgrundlage nach der Strafprozessordnung. Denn der Datenschutzbeauftragte stellte fest, dass von dem Rentner keine konkrete Gefahr ausging. Das wäre aber eine der möglichen Voraussetzungen für die von den Polizeibeamten durchgeführten Maßnahmen gewesen. Der Datenschutzbeauftragte sieht auch keinen der sonst vom Gesetzgeber vorgegebenen Gründe für die erfolgten polizeilichen Maßnahmen als gegeben an. Die Beamten hätten keinen strafrechtlichen Tatvorwurf erhoben und es lagen keinerlei belastende Vorerkenntnisse über den Betroffenen vor.
Erst mehrere Stunden nach dem eigentlichen Geschehen konnte der 78-Jährige schließlich nach einer “eindringlichen Ansprache” die Polizeidienststelle wieder verlassen. Doch damit waren die Probleme für den Rentner noch nicht vorbei. Denn die Beamten schickten die über den Rentner gewonnenen Informationen an ein für Sexualdelikte zuständiges Kommissariat. Dort kam man zwar zu dem Schluss, dass keine Hinweise auf eine sexuelle Motivation des Rentners vorlagen. Doch der Vorfall wurde auf Landes- und sogar Bundesebene zur “polizeilichen Gefahrenabwehr” gespeichert.
Das sichergestellte Smartphone erhielt der Betroffene circa einen Monat später wieder zurück, wie der Datenschutzbeauftragte schreibt. Doch: „Mit seinem Einverständnis wurde eine Videosequenz von dem Telefon gelöscht, obwohl weder rechtlich problematische Daten noch Aufnahmen der besagten Kinder von der Hüpfburg darauf erkennbar waren.“
Der Rentner wandte sich jetzt mit einem Auskunfts- und Löschungsantrag an das Bayerische Landeskriminalamt. Doch dieses lehnte ein Datenlöschung “unter anderem mit der Begründung ab, es bestehe die konkrete Gefahr, dass er weitere Hemmschwellen abbauen und aus einer sexuellen Motivation heraus Kinder fotografieren werde. Ihm wurde mitgeteilt, dass seine von der Polizei erhobenen Daten geeignet wären, ihn im Rahmen möglicher zukünftiger Verfahren in den Kreis von Beteiligten oder auch Verdächtigen einzuordnen oder auch auszuschließen. Aus Sicht des Landeskriminalamts sei die Speicherung der Daten aus der erkennungsdienstlichen Behandlung angemessen und verhältnismäßig“, wie der Datenschutzbeauftragte schreibt.
Der Datenschutzbeauftragte greift ein: Jetzt wandte sich der Rentner an den Landesbeauftragten für Datenschutz. Dieser schritt ein. Der Datenschutzbeauftragte stellt fest: Zwar war „eine erste Abklärung des Sachverhalts geboten, um die Rechte der Kinder auf dem Spielplatz zu wahren. Als sich dann jedoch frühzeitig herausstellte, dass der Betroffene keine gezielten Aufnahmen von Kindern gefertigt hatte und auch sonst nichts auf eine sexuelle Motivation des Rentners hindeutete, hätte die Polizei die Situation allerdings sofort neu bewerten müssen. Obwohl ab diesem Zeitpunkt keine ‚Gefahr‘ im polizeirechtlichen Sinne begründbar war, wich die Polizei nicht mehr von ihrem eingeschlagenen Weg ab. Stattdessen unterstellte sie dem Betroffenen selbst nach dessen Löschungsantrag und offenkundig im Widerspruch zur Aktenlage weiterhin ein sexuelles Interesse an Kindern.“
Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz forderte von der Polizei „die gespeicherten personenbezogenen Daten unverzüglich zu löschen und die zu dem Betroffenen geführten Akten zu vernichten“. Dem kam die Polizei schließlich im vollen Umfang nach.