Die The Witcher TV-Serie von Netflix ist kein Game of Thrones. Sie hat nicht diesen unterkühlten, düsteren, schmutzigen Look. Sie ist weniger HBO, mehr Hollywood, das auf übersaturierte Szenen und kräftige Farben steht. Auch ist es dafür zu viel Fantasy – wer die Spiele kennt und liebt, weiß, auf welch Ausgeburten der nordischen Mythologie der Hexenmeister so Tag für Tag trifft. Dennoch werden GoT-Fans hier voll abgeholt: Es gibt einflussreiche Häuser, es geht um Macht, Krieg und Sex. Die Charaktere sind oft Scheusale, völlig ohne Moral und Anstand – einer der Protagonisten hat die gleichen kalten Augen und regiert genauso brutal wie King Geoffrey. Doch wer die Spiele kennt, der weiß auch, dass Geralt ein ganz besonderer Held ist. Einer, der gerne sarkastische Sprüche klopft. The Witcher ist bei weitem nicht so verzweifelt und düster wie Game of Thrones. Es ist auch kein Der Herr der Ringe. Es ist groß, stark geschauspielert, insbesondere Henry Cavill macht einen exzellenten Job als Geralt. Er treibt den Hauptplot voran, während sich viele, viele Story-Stränge aufspannen, was an Tolkien erinnert. Aber es geht deutlich mehr zur Sache – wo Tolkien die Exposition liebt (gerade in seinen Büchern), aber letztlich auch Peter Jackson in den Filmen viel Zeit damit verbringt, Welten zu bauen für den Zuschauer, wird hier schon etwas schneller und heftiger gefightet und geschlachtet. Vielleicht ist das einer der Hauptgründe, warum Hollywood-Autorin Lauren S. Hissrich (The West Wing, Marvel’s Daredevil, Drive) die goldene Mitte zwischen Spielen und Büchern sucht. Die Spiele von CD Projekt RED sind sehr persönlich und komplett auf Geralt fokussiert: Wir können Dörfer vor dem Brandschatzen retten, doch der Krieg und die Politik spielt sich eher im Hintergrund ab. In Netflixs The Witcher hingegen erleben wir große Schlachten, in denen ganze Heere mit mehreren tausend Mann aufeinander prallen. Das ist durchaus eine Idee, die CD Projekt für The Witcher 4 aufgreifen könnte. Es gibt dem Gesamtkunstwerk mehr Epik.
The Witcher 3: Neuer Rekord dank Netflix-Serien-Start
Cavill ist Geralt. Und Geralt ist eine zur Perfektion gedrillte Kampfmaschine

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Henry Cavill ist einer von uns – drei Mal hat er The Witcher 3 durchgespielt, als Vorbereitung auf diese Rolle, die seiner Karriere einen Aufschwung geben dürfte. Als Superman kann man schließlich kaum zeigen, was man schauspielerisch drauf hat. Er streift den Superhelden-Anzug ab und verschmilzt förmlich mit Geralt von Riva: Er spielt diese verbitterte, vom vielen Morden abgestumpfte Figur, die sich aber durchaus seine Gedanken über das Leid seiner Welt macht, in Perfektion. Geralt ist eine schwierige Figur, die innerlich zerrissen ist. Oft nimmt er Mordaufträge an und fragt sich hinterher, ob er richtig entschieden hat. Cavill spielt den Hexer auch so geschmeidig und anmutig, wie in den Spielen. Für ihn sind seine Schwerter nicht einfach nur Waffen, sondern Kunstwerkzeug. Seine Gegner sind auch keine Gegner, sondern meist nur Opfer. Mühelos tötet er 10 Soldaten in 20 bis 30 Sekunden. Hier muss die Kameraarbeit gelobt werden: In einem durchgehenden Shot blockt Geralt einen Armbrustbolzen, hebt ihn auf, rammt ihn einem Soldaten in den Mund und reißt ihn so lange nach unten, bis dessen Kopf in zwei Hälften zerplatzt. Bisschen übertrieben, bisschen sehr viel Splatter, aber Brutalität kommt gerade bei der US-Zielgruppe gut an, und uns soll sie nicht stören. Bücher und Spiele waren auch nie zimperlich.
Was verblüfft und so richtig Laune macht: Geralt ist schon so ein bisschen wie Deadpool – er reißt seine Sprüche vor einem Kampf, bleibt immer cool und lässig. Einem Typ, den er eigentlich schon mit seinen Dolchen an die Wand getackert hat, schlägt er den Kopf ab – einfach weil diese Person in einer Szene gewisse Dinge mit einer anderen getan hat, über die wir aus Spoiler-Gründen den Mantel des Schweigens hüllen. Cavill spielt Geralt, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht – beeindruckend. Viele Sorgen machten sich Fans über die Stimme, weil Cavill nun mal nicht so spricht wie der legendäre Doug Cockle aus den Spielen. Nun, er kann. Er spricht Geralt mit der tiefen Stimmgewalt, die wir aus The Witcher 3 kennen und lieben. Mit allen spricht er so, nur mit Roach, seinem loyalen Pferd, redet er wie ein normaler Mensch. Eine zynische Welt, die Game-of-Thrones-Fans lieben werden

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Es ist eine zynische Welt, die auf einer Geschichte brutaler Kolonialisierung, endloser Kriege und Magie beruht, die nicht auf Göttern und Religion fußt und deren Magier keine strahlenden Ritter oder Helden sind, sondern eigentlich nur das Chaos nutzen, um den schnellen Taler zu machen. Geralt ist zwar Teil der Hexer-Gilde, die schon irgendwie auch einem Kodex unterliegen. Aber im Grunde ist er eher ein Söldner und Auftragsmörder. Oder doch nicht? Die Serie spielt mit seinem Mythos, und das passt gut zu Büchern und Spielen. Denn auch dort reifte Geralt von Riva von einem Auftragsmörder zu einer Person, die sich um sein Umfeld kümmert, die Armen schützte. Respektive in den Spielen können wir oft entscheiden, was ihre enorme Stärke ausmacht. In The Witcher 3 müssen Sie regelmäßig schwierige Entscheidungen treffen, weil sie nie alle retten können. Und es wird gevögelt, Holla-die-Wald-Fee. Spätestens seit Game of Thrones ist Sex ja nicht mehr der Höhepunkt einer Beziehung zwischen zwei Charakteren, sondern passiert einfach ständig. Da draußen geht gerade die Welt unter, der Feind steht vor den Toren – lass mal schnell noch eine Nummer schieben. Welch Frau er rettet, die muss er auch betten – so ungefähr Geralts Motto. Daraus ergeben sich oft fast schon Comedy-artige Einlagen, etwa wenn der Hexer gerade zu Gange ist, ihn irgendein Strolch ermorden will, und er sich des lästigen Problems mit einem „Fuck, nicht schon wieder“ annimmt. Geralt ist wie James Bond, sicherlich weniger Gentleman, genauso viel Auftragskiller, aber eine ganze Ecke emotionaler. Geralt kann kämpfen, und wird ständig in irgendeinen Schlamassel reingezogen, weil, auch wenn er es nicht gerne zugibt, er ein gutes Herz hat. Harte Schale, weicher Kern. Jetzt nicht so Bubbi-weich wie John Snow, der mehr aus Versehen in die Rolle des Anführers stolpert.

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Schon eher als knallharter Alleingänger, der aber nicht anders kann als zu helfen, egal ob ein Dorf von einer nordischen Kreatur immer wieder angegriffen wird, dessen er Spuren verfolgt und letztlich im Duell erlegt. Oder Jaskier und Yennefer immer und immer wieder aus der Bredouille raushaut. Das ist vom Drehbuch her alles sehr schön gelöst, gerade auch die Charakterentwicklung von Yennefer: Gepeinigt durch ihren Buckel von Geburt an, ist sie unsicher, eher ein Trampel und nimmt uns mit auf diese Reise zur Magierin in Ausbildung. Eine faszinierende Figur, weil sie deutlich, deutlich älter ist, als sie aussieht – ohne hier zu viel verraten zu wollen. Ihre Schauspielerin hat die wohl anspruchsvollste Rolle in der Serie, denn Yennefer ist nicht gerade sympathisch. Sie ist machthungrig, egoistisch, man könnte meinen, sie wurde von George R.R. Martin geschrieben. Ihre Charakterentwicklung ist mitunter etwas zu sprunghaft. Dass The Witcher so brutal aufs Tempo tritt, ist generell ein Problem.
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Ein Ensemble-Stück mit vielen High-, aber auch ein paar Low-Lights

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The Witcher ist keine Solo-Nummer, mehr ein Ensemble-Stück und uns imponiert größtenteils die Schauspielleistung: Ciri, gespielt von Freya Allan, ist zerrissen zwischen der Krone sowie ihrem Stand als Adlige und dem einfachen Volk, zu dem sie lieber gehören würde. In einer der ersten Szenen zieht sie sich wie ein Junge an, spielt mit den anderen Kindern, ehe ihre Leibwache sie zum Palast eskortiert. The Witcher beweist einmal mehr, dass es keine Mega-Stars braucht, um eine gute Serie zu drehen. Schon Game of Thrones verzichtete auf Superstars, berühmt im Cast ist nur Henry Cavill, aber auch die anderen glänzen in ihren Rollen. Jodhi May brilliert als kühle Königin Calanthe, die zunächst darunter leidet, dass ihre Familie die Krone nicht so richtig ernst nimmt. Und später größere Schwierigkeiten hat, namentlich eine Invasion. Großartig spielt auch Lars Mikkelsen die Rolle eines Magiers, der sich der Schönheit der Frauen hingibt und ein kleines Paradies hinter hohen Mauern geschaffen hat. Übrigens eines der Paradebeispiele, die zeigen, wie schön sich über Farben Stimmung schaffen lässt – immer wenn Geralt diese Welt durch eine magische Tür betritt, werden die Farben kräftiger, regelrecht schimmernd, das Paradies grenzt sich in seiner Farbpalette klar vom Rest ab. Dieses Stilmittel nutzt das Produktionsteam öfter: Innerhalb der Mauern von Cira werden farben-prächtige Feste gefeiert, auf den Feldern davor in Monochrom getaucht gemordet und gestorben.
Probleme hat The Witcher generell im Pacing. Für eine Serie wirken viele Szenen überhastet – eine der Schlüsselszenen überhaupt geschieht bereits in der ersten Episode. Hier hätte man sich mehr Zeit lassen können, um gewisse spannende Charaktere stärker auszubauen, was ihrem Tod ein deutlich höheres Gewicht gegeben hätte. Game of Thrones hat gezeigt, wie der Tod dem Hauptplot Wendungen geben und ihn verändern kann. Die Geschwindigkeit ist vielleicht das größte Problem der Serie, weil zu viel zu schnell passiert und wir unnötig Charaktere verlieren, die die Netflix-Adaption von The Witcher noch ein bisschen besser machen könnten. Fazit

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Netflix‘ The Witcher ist gut geworden in der ersten Staffel, mitunter ein bisschen brillant, hier und da hat es aber auch seine Probleme, gerade im Pacing. Es ist beeindruckend, wie es Chefautorin Hissrich gelingt, diese enorm komplexe Welt mit ihren vielen Häusern, Mächtigen, Intrigen und Mythologien in ein Hollywood-reifes Format zu packen. Denn The Witcher ist gerade deswegen kein Game of Thrones, weil diese Serie sich in ihren ersten Staffeln viel Zeit gelassen hat.
The Witcher hingegen ist brutal schnell in seinem Pacing, die Macher dürfen für Staffel 2 (die bereits gedreht wird), gerne Tempo rausnehmen. Oft werden starke Charaktere unnötig flott geopfert, einfach nur weil die Episode zu Ende ist und man noch mehr Sub-Plots in die Hauptquest andichten möchte. Mitunter fehlt es einfach an Exposition: Wer die Bücher nicht kennt, wird sich schwer tun die Gedanken- und Zeitreisesprünge sowie mitunter enorm schnelle Charakter-Evolution nachzuvollziehen.
Henry Cavill brilliert aber in jeder Sekunde als Geralt. Wer hätte gedacht, dass der Superman mit der Schmalzlocke diesen schmutzigen, zynischen, oft merkwürdig, aber schon auch liebenswerten Hexer so perfekt spielen würde. Und dass es Netflix‘ Autoren gelingen würde, die schwierige Balance zwischen der Brutalität der Welt und den lockeren Sprüchen seines Protagonisten zu verheiraten. Chapeau.