Call of Duty: Modern Warfare ist extrem. Stellenweise bekannt, vertraut, wie nach Hause kommen. In anderen Levels haut es uns regelrecht um, mit seiner extremen Brutalität. Zivilisten werden vor unseren Augen gefoltert, erschossen, an einem Bagger erhängt. Das 2019er Call of Duty ist extrem, weil es in solchen Szenen nicht wegschneidet oder eine Kamerablende setzt, sondern Kriegsverbrechen zum Geschehen gehören. Uns schnürt es die Kehle zu, als wir live dabei sind, wenn Bomben in einem Dorf fallen – Menschen von umherwirbelnden Steinen erschlagen werden, Mamas und Papas versuchen, ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Wir sehen, wie White Helmets Opfer bergen, wie die Straßen mit Leichen gepflastert sind.
Modern Warfare hat viele, viele No-Russian-Momente: Damals gab es dieses Massaker am Flughafen, über das die Welt sprach. Jene im neuen CoD gehen uns noch näher, weil sie auf Situationen basieren, die wirklich geschehen sind: Wir sind mitten drin im Giftgasangriff von Aleppo – dass sich Infinity Ward mit Urzukistan für ein Fantasie-Land entschieden hat, ändert nichts daran, dass die Spielszenen so nah dran sind an dem, was sich durch TV-Bilder in unser Gehirn gebrannt hat.
Noch krasser wird das, weil wir diese Szenen aus den Augen eines Kindes erleben – die kleine Farah sieht, wie Menschen ersticken, wie erst Mama, dann Papa stirbt. Ein starkes Intro für ihren Charakter, die erste Protagonistin in einem CoD. Eine Figur, in all ihren Grau-Schattierungen: nicht böse, auch nicht zwingend gut, denn sie verabscheut zwar biologische Kampfstoffe, russische Soldaten tötet sie aber zu Hunderten.
ACHTUNG: In diesem ersten Test widmen wir uns exklusiv der Singleplayer-Kampagne. Für den Multiplayer-Test müssen wir mehrere Tage spielen, bevor wir ein Fazit ziehen können. Stay tuned.
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In Modern Warfare spielen wir Menschen, keine Killer-Maschinen
Modern Warfare, das heißt vor allem auch Krieg an allen Fronten. Und auch den Terroranschlag von Paris repliziert Call of Duty: Modern Warfare auf beeindruckende, weil realistische Art in London, am Picadilly Circus. Das ist die größte Neuerung der Kampagne: In CoD waren wir immer ein Action-Held, der ganze Bataillone niedermähen konnte. In Call of Duty: Modern Warfare wechseln wir durch: Mal sind wir der Spec-Ops-Elitesoldat auf Seiten der Navy Seals, Delta Force oder CIA. Beim Terroranschlag auf London jedoch spielen wir Sergeant Kyle Garrick. Er ist Teil der Armed Police – einer Polizei-Einheit, der es erlaubt ist, Waffen zu tragen, was in Großbritannien nicht selbstverständlich ist. Er ist gut, aber kein Elitesoldat. Seine Atmosphäre bezieht der Shooter in solchen Missionen nicht nur aus seiner visuellen Gewalt, sondern auch der starken Soundkulisse, die von Funksprüchen geprägt ist:

“Sie…Sie sind alle tot. Alle meine Kollegen sind tot, helft uns. Bitte”, fleht ein völlig fertiger Polizist. Der Anschlag auf den Picadilly Circus ist vor allem eines: chaotisch. Als Kyle versuchen wir einen weißen Lieferwagen einzuholen, stellen die Terroristen – die jagen sich in die Luft, in der Schockwelle stirbt Kyles Team. Vor lauter Rauch ist es schwierig, Gegner von den eigenen Leuten zu unterscheiden, wer nicht aufpasst, der kann leicht einen Zivilisten oder Polizisten treffen. Modern Warfare ist stark darin, uns ohnmächtig fühlen zu lassen: in den meisten CoD-Missionen früher waren wir Jack Bauer – ein Typ, der immer einen kühlen Kopf bewahrt, einen Plan hat. In London hat keiner einen Plan, die Polizei-Führung wird unvorbereitet getroffen, alle reagieren panisch, reagieren wie Menschen, nicht wie Killer-Maschinen ohne Herz und Angst.
Wie Raytracing das Spielgeschehen intensiviert

PC-Spieler erleben bereits dieses Jahr, worauf Konsoleros erst noch mit Playstation 5 und Xbox Scarlett warten müssen: Raytracing ist ein Game-Changer. Wer den Luxus einer Nvidia Geforce 2070 oder 2080 hat, der sollte RTX aktivieren, denn die Resultate sind mehr als nur beeindruckend: Wie das Mondlicht durch Bäume bricht, sich die Spiegelungen auf den Gesichtern von Charakteren im Nebel ändern – das ist schon ziemlich episch. Explosionen haben mehr Druck, weil sie die Lichtdynamik des kompletten Levels beeinflussen und selbst eine rot leuchtende Signalfackel kann in einem sonst recht einfachen Tunnel zum Set-Piece-Highlight werden: Weil der intensive Glanz der Fackel in der Nahaufnahme dem Dialog von Widerstands-kämpferin Farah und CIA-Agent Alex eine andere Intensität verleiht.
Auch am Tag funktioniert das: Etwa, als wir durch eine Stadt im Nahen Osten schleichen, Sonnenstrahlen durch Einschusslöcher dringen und als es zur Explosion kommt, der aufgewirbelte Staub sich im Licht bricht. Grafisch rückt Call of Duty: Modern Warfare nah ran an ein Battlefield 5, weil es Grafik und Physik in Einklang bringt: Wir schleichen durch einen spärlich beleuchteten Raum. Werden wir entdeckt, mäht die Mini-Gun eines Helikopters durch den Beton und durch jedes Einschussloch dringt Sonnenlicht, welches die ganze Szenerie und Atmosphäre ändert – vorher fühlten wir uns unsichtbar, jetzt mit runtergelassenen Hosen dastehend.
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Unsere größte Sorge vor dem Test war, dass Call of Duty nur die leisen Töne dieses Jahr suchen würde – aber keine Sorge: Es wird geballert, bis der Arzt kommt, Explosionen durchrütteln ganze Levels, und es gibt mehr als nur eine episch inszenierte Massenschlacht. Es tut gut, nach all den oft sehr eintönigen Open-World-Shootern der letzten Monate endlich mal wieder exzellent durchgeskriptete Action zu genießen, denn genau die fehlt einem The Division 2 und noch mehr Ghost Recon: Breakpoint.
Schon im Test zu Breakpoint schrieben wir, dass das 2019er-Ghost-Recon eine deutlich spaßigere Kampagne hätte abliefern können, wäre es ein kleines bisschen mehr CoD. Was übrigens dieses Jahr besonders auffällig ist: Es gibt viel Abwechslung. Auf Massenschlachten folgen Stealth-Missionen, Sniper-Operationen. Immer wieder baut Infinity Ward kleine smarte Elemente ein: Via Drohnen müssen wir Helikopter crashen, mit einer Kamera die Assistentin des US-Botschafters bei einem Angriff vor den Terroristen bewahren und durch die Botschaft geleiten.

In einer anderen Mission ist unsere Einheit von US-Marines hoffnungslos unterlegen – hier müssen wir uns hinter einem fahrenden Panzer verschanzen und per Laserpointer CIA-Drohnen Ziele zuweisen. Die Brillanz dieses Spiels liegt in seinem Mix aus smart gemachter Action mit Charakteren wie Farah, Alex und Kyle, die jeweils ihre erzählerischen Glanzmomente haben, und die wir mitunter erstaunlich detailliert kennenlernen – oft mit Flashbacks, im Stile einer TV-Serie. Auch scheut sich dieses Spiel nicht, Sie vor harte Aufgaben zu stellen: Die US-Botschaft steht in Flammen, dutzende Marines wurden getötet. Ein Auto fährt auf Sie zu – ist es eine Bombe? Sie können den Fahrer töten oder per Granatwerfer das ganze Fahrzeug ausschalten. Gott sei Dank warteten wir, denn es war nur eine Familie, die floh vor dem Krieg.
Fazit: Der beste Shooter des Jahres. Mit weitem Abstand

Call of Duty: Modern Warfare hat alles, was ein exzellenter Shooter braucht: extrem intensive Feuergefechte, geschliffene Dialoge, Dramatik und eine Grafikengine, die all diese Akzente unterstreicht. Unvergessen der Angriff auf die US-Botschaft, wie Farah gefoltert wird, wie wir in London dem Bürgermeister nicht helfen können, weil die Bombe, die um seinen Körper geschnürt ist, zu kompliziert verdrahtet ist und die Zeit zu knapp ist. Technisch ist das neue CoD atemberaubend: Grafisch, in 4K-HDR und noch stärker mit Raytracing. Aber auch die Soundkulisse muss sich vor den größten Actionfilmen Hollywoods nicht verstecken. Und zu guter Letzt überrascht, wie viel Zeitgeschehen hier drinsteckt: Der Angriff auf die US-Botschaft in Benghasi, wir spielen ihn nach. Der Giftgasangriff in Syrien, wir spielen ihn nach, nur in einem anderen Land. Aus Sicht von Zivilisten. All diese Komponenten machen Modern Warfare zu einem Ausnahmespiel.
Dies ist nur der Test der Kampagne, unser großer Multiplayer-Test folgt schon sehr bald.