Fußball ist Kunst, und mit Volta bildet das jetzt endlich auch FIFA 20 ab. Es ist einfach schön, wie federleicht sich die Pille anfühlt, wenn wir sie durch die Füße tanzen lassen. Wie wir Übersteiger perfektionieren, Flickflacks durchziehen oder das Leder lässig mit der Hacke über den Kopf kicken. Volta ist im Kern FIFA Street, nur eben jetzt integriert in den großen Bruder, und das ist sehr löblich. Denn seien wir ehrlich: Diese klassischen 11-gegen-11-Situationen haben natürlich eine starke Taktik-Komponente und zeigen, wie gutes Teamplay funktioniert. Aber den König Fußball, den können sie nicht zelebrieren. Zu oft werden auf dem Grün standardisierte Strategien runtergespult – schnell aus dem Mittelfeld kommen, auf die Flügel, Stürmer in den 16er ziehen lassen – Flanke, Tor. Ja, die hohe Kunst des Fußballs blinzelt manchmal durch, wenn ein Ronaldo zum Seitfallzieher ansetzt oder Messi seine Pirouetten dreht. Aber in Volta können Sie wirklich mal zeigen, was Sie in Ihnen steckt: Das ist ein Trick-Feuerwerk sondergleichen, easy runtergespielt mit den normalen Köpfen eines Xbox-Game-Pads in unserem Fall. Kann man FIFA 20 auch mit Maus und Tastatur spielen? Ja, aber das sollten sich nur Hardcore-PC-Veteranen antun.
Ansonsten profitieren PC-Spieler vor allem von nativen 4K-Texturen, FIFA 20 sieht mit einer Geforce RTX 2080 auf dem Razer Blade 2019, auf dem wir FIFA 20 im Büro, ICE und diversen Hotelzimmern gute 30 Stunden getestet haben, sehr gut aus: Das fängt bei knitternden Trikots im Sprint an, zieht sich über Gesichtsmuskulatur und Schweiß, der sich auf der Stirn bildet und dann langsam seinen Weg über Wangen und Nase sucht. In 4K sind selbst kleinste Details erkennbar, etwa wenn Gras beim Schuss aus dem Boden getreten wird, sich Bremsstreifen auf der Hose nach einer Grätsche abbilden oder bei Regen das Leder jeweils einen kleinen Wasserschwall hochdrückt. Auch die Stadion-Atmosphäre ist toll gelungen, in beiden Disziplinen. Im König Fußball und der Champions League schwenken Fans die Flaggen ihrer Vereine, Kamerateams wuseln beim Eckstoß an der Seitenlinie entlang, Fotografen lichten die Sieger nach dem Spiel ab. Volta hingegen spielt an außergewöhnlichen Plätzen: Auf einem Wolkenkratzer vor der Skyline Tokios etwa, die einen gleißenden LED-Schleier über die Szenerie legt und wo sogar die Tore blau aufleuchten, wenn Sie treffen.
Stunt-Fußball, der erstaunlich leicht von der Hand geht

Das ist im Grunde die Prämisse von FIFA 20 Volta: Alles geht, was auch in der Realität machbar ist. Anders als so manches FIFA Street geht’s hier also nicht ins Fantasie-Reich und gen Kickers (der ein oder andere von Ihnen mag noch diese Kinder-Fußball-Serie kennen, in der die Kickers sich minutenlang in der Luft drehen und so hart schießen, dass schon mal das Netz reißt). Was uns wirklich gut gefällt: Dieser Stunt-Fußball des 2020er-FIFAs geht auch Nicht-Profis relativ leicht von der Hand: Drücken wir die linke Schultertaste, bremsen wir aus dem Sprint und leiten den Trick ein. Bei gedrückter linker Schultertaste steuern wir nicht mehr die Laufrichtung unseres Kickers, sondern den Ball am Fuß. Wir lassen die Pille nach rechts und links rollen, nach vorne oder hinten ziehen, um Angriffen auszuweichen. Wer mag, kann seine Gegner gerade auch im Couch-Multiplayer ein bisschen erniedrigen, sprich tunneln: Linken Stick in Richtung Gegner drücken, rechte Schultertaste halten und schon spielt unser Athlet die Kugel durch die Beine des Keepers respektive letzten Mannes, weil beim Straßenfußball immer mit fliegendem Torwart im 3-gegen-3-Modus oder 5-gegen-5 gespielt wird. FIFA 20 ist generell ein gutes Spiel, um vor den Kollegen ein bisschen mit seinen Skills zu prahlen: So flippen wir den Ball auf den Stollen und halten ihn hoch per RB-Taste. Dann einfach den linken Stick in Richtung Gegenspieler schieben, schon machen wir eine Pirouette, nehmen den Ball dabei mit, kicken ihn per Hackentrick über den Gegenspieler, drehen uns um ihn herum und nehmen die Pille wieder auf. So lassen sich auch hervorragend Tore schießen: Aus dem Lauf heraus zweimal die RB-Taste antippen, schon legen wir uns das Ding vor und zimmern es aus 20 Metern in den kleinen Kasten. Schließlich wird im Streetfootball lediglich mit fliegendem Torwart gespielt, mit der Hand fangen ist nicht.
Eine Bro-Karriere, als wären wir in The Fast & Furious

Den Style der Karriere von FIFA 20 muss man mögen, weil es schon sehr stark Richtung „Yo Bro“, „Best Bro in town“ und „Yo Sister, der Bro ist wieder da“ geht. Das geht schon sehr stark Richtung The Fast & Furious, fehlen eigentlich nur die Viertelmeile-Rennen. Die Hauptcharaktere machen es unter „Wir sind eine Familie“ nicht. Auch der ganze Anstrich und Freischalt-Charakter der Kampagne geht in diese Richtung: So werden seltene Sneaker freigeschaltet, coolere Trikots, feschere Frisuren und vom Chef-Bro gibt’s eine Rolex. Das sind schon sympathische Charaktere, ganz ähnlich wie auch in The Fast & Furious – die allerdings sehr bemüht sind in jeder Szene so viel Coolness einfließen zu lassen, dass die Halle gefriert. Die Karriere bleibt hingegen ihren Wurzeln treu und bewegt sich größtenteils im Straßenfußball. Anders als im Journey-Modus der letzten Jahre gibt’s also nicht die Möglichkeit, bei Real Madrid Millionen zu kassieren und die Wahl zu haben zwischen Penthouse mit Pool und Villa am Strand. Schön gelungen sind allerdings ein paar Twists, die wir hier nicht spoilern möchten – einige große Star-Fußballer wie Neymar kehren nämlich zu ihren Wurzeln zurück und kicken mit uns nicht im Parc de Prince im 16. Arrondissement, sondern einem Hartplatz, irgendwo in der Vorstadt. Generell wird übrigens auch mit den richtigen lizensierten Mannschaften in Volta gekickt – etwa mit Paris Saint German gegen Borussia Dortmund beim NYC Pro Street Invitational in New York vor der Skyline Manhattans, was Abwechslung ins Spiel bringt.
Solider bis guter Rasenschwach, aber mit altbekannten Schwächen

FIFA ist eine skurrile Marke: EA Sports entwickelt seit Jahrzehnten dasselbe Spiel, wäre es nicht zu viel verlangt, hier Perfektion abzuliefern? Es ist verwunderlich, wie schwer sich dieses Veteranen-Team mit seiner Defensive tut. FIFA ist eine Serie, mit der EA vor allem auch durch Ultimate Team Geld druckt, warum investiert man nicht mal ein bisschen mehr in die K.I.? Die Manndeckung schwächelt, die Verteidiger leisten sich viele Stellungsfehler, mitunter wackelt das Geschwindigkeitsgefühl – mal scheinen die Spieler einen Speedboost aktivieren zu können, mal sind sie zu wenig agil. Schade, denn FIFA 20 ist eigentlich ein gutes Fußballspiel: Es gibt einen Karriere/Manager-Modus mit Pressekonferenzen, der Auswirkungen auf die Moral der Spieler hat. Es ist wichtig, dass sie uns als Manager mögen, sonst gibt’s Probleme bei Vertragsverhandlungen. Sie können hier Einzelgespräche mit den Profis führen, was wiederum die Moral stärkt und für Atmosphäre sorgt. Auf dem Platz lässt sich viel mit Taktik-Reglern experimentieren, die ganze Ausrichtung ist feiner granuliert als in FIFA 19 – statt sich zwischen halb-offensiv und offensiv zu entscheiden, können Sie etwa einen weiteren Stoßstürmer aktivieren und die Außenverteidiger offensiver setzen, um mehr Druck nach vorne machen, etwa um Spiele nach einem 1:0 zu entscheiden oder noch zu drehen.
Geschmacksache und strittig in der Community ist das stark verringerte Tempo, welches den ehemaligen Action-Kick stärker Richtung PES verlagert. Viele Animationen dauern ein bisschen länger, Grätschen etwa. Die sind so effizient wie in FIFA 19, wer aber daneben langt, entblößt schon mal die ganze Abwehr. Störend ist, wie häufig sich Szenen wiederholen – wo ein PES 2020 respektive eFootball PES 2020 die fluffige Dynamik von Fußball widerspiegelt, fühlt sich FIFA 20 im Test zu oft standardisiert an. Es gibt zu viele Manöver, die man gerade in der Offensive einfach runterspielen kann und sich die Spielzüge sehr stark häufen. Dem Spiel fehlt etwas die Unberechenbarkeit, die eigentlich die Faszination Fußball ausmacht. Die kommen zwar jetzt für den Keeper rein in Standardsituationen, etwa weil Sie beim Freistoß Top-Spin geben oder einen Flatterball schlagen können, aber der Ablauf im Spiel selbst hat eine Spur zu wenig Abwechslung. Nicht falsch verstehen: Mit Freunden auf der Couch macht das so viel Spaß wie seit 20 Jahren, aber für 60 Euro darf EA gerne mehr Neuerungen und Ideen abliefern.

Fazit
FIFA 20 macht Laune, gar keine Frage. Gerade Volta ist ein Kaufgrund, weil es sich quirlig anfühlt, und es viele Möglichkeiten gibt, Tricks in die Spielzüge einzubauen. Es feiert die artistische Form des Fußballs, und auch die Kampagne hat uns gut gefallen. Gerade weil wir nicht in altbekannten Stadien spielen, sondern im Graffiti-Park in London kicken, vor der Skyline Tokios auf einem Wolkenkratzer und Turniere im Central Park New Yorks spielen – mitunter auch mit den Großen vom FC Barcelona, Paris Saint-Germain, Borussia Dortmund und vielen, vielen anderen, schließlich fährt EA mal wieder ein enorm dickes Lizenzpaket auf. Aber ausgerechnet auf dem Rasen herrscht seit Jahren Stagnation: Der Spielaufbau wirkt standardisiert, das Mittelfeld lässt sich zu leicht überrennen, die Abwehr hat KI-Aussetzer. Für einen Vollpreisspiel muss EA in Zukunft einfach mehr Gas geben und sollte zahlreiche Kernmechaniken überarbeiten – das ist schon alles sehr nah dran an FIFA 19. Nicht falsch verstehen: FIFA 20 ist trotzdem ein gutes, spaßiges Fußballspiel, aber wir wünschen uns mehr Dynamik im Spielaufbau und eine kompakter stehende Defensiv-K.I.
Pro:
Starker Volta-Modus Wunderschöner Foto-Realismus, der Richtung TV-Übertragung geht Dickes Paket mit vielen kleineren Modi, etwa für Manager Gutes Spielgefühl Contra:
… welches allerdings große Neuerungen gegenüber FIFA 19 vermissen lässt
K.I.-Schwächen in der Defensive
Etwas standardisierter Spielablauf im Vergleich zum sehr dynamischen PES 2020