San Francisco. Die Sonne lacht, der Quinjet von SHIELD kreist in den ersten Minuten unserer Anspielsession von Marvel’s Avengers über der Golden Gate Bridge. Unten hat die Parade bereits begonnen, Konfetti schießt in die Luft, die Militärkapelle spielt, der Secret Service bringt sich in Stellung auf einem Helicarrier, schließlich soll gleich der Präsident hier seinen großen Auftritt haben. Es ist A-Day – Avengers-Day. Iron Man, Thor, Hulk, Black Widow, Captain America – sie alle werden gefeiert wie Helden. Doch der Feind ist nicht weit: Eine ganze Armee prescht in gepanzerten Fahrzeugen heran, Panzer eröffnen das Feuer, Explosionen durchschütteln die Golden Gate Bridge. Als wir in der Rolle von Iron Man losfliegen, schlägt uns die Wucht von hunderten kleinen Explosionen entgegen. Fahrzeuge fliegen in die Luft, Stahlträger kippen. Sieht extrem gut aus – die Schärfe der CGI-Texturen, die Wucht der Detonationen – das ist schon alles sehr nah dran am großen Endgame-Bruder und setzt einen neuen technischen Benchmark. Steuert sich auch verdammt gut, Tony Stark liegt in der Luft wie ein F16-Kampfjet im Mini-Format. Raketen weichen wir via Rollmanöver aus, dann schnell wieder stabilisieren und die schwebende Waffenplattform auf zwei Beinen abfeuern: Schwarm-Raketenwerfer, Repulsor, Unibeam. So lassen sich auch ganze Armeen zerlegen.
Vier-Player-Koop im Marvel-Universum. Wie funktioniert das?
Was uns besonders heiß auf The Avengers von Crystal Dynamics und Eidos Montréal macht: Es ist eines der wenigen Action-Games, die es sich erlauben, uns nicht einfach in eine riesige Welt mit hunderten Fragezeichen und Missionsmarkern zu werfen. Es wird zwar letztlich eine Online-Koop-Welt geben, etwa um den Stark Tower, das Avengers HQ und zahlreiche andere interessante Gebäude der Marvel-Welt sowie extraterrestrischer Locations in speziellen Missionen zu erkunden.
Aber die Kampagne ist endlich mal wieder richtig schön durchgeskriptete Over-the-Top-Action, die sonst nur ein Call of Duty abliefert. Enorm spannend ist dabei die Koop-Prämisse: Ganz ähnlich wie in Gear 5 spielen Sie im Vierer-Koop, also mit drei Freunden, wobei jeder Superheld nur einmal gewählt werden kann. Es gibt also keine Squads mit vier menschlichen Kampfjets im Tony-Stark-Format, die pausenlos Sprüche reißen, während sie kämpfen. Sondern die Team-Aufteilung hat einen dezenten MMO-Charakter: Es gibt den Tank, das ist der Hulk. Der Hulk wirft Dinge durch die Gegend – Soldaten, gerne auch mal Autos. Er schnappt sich einen Panzer, dreht ihn auf den Kopf, lässt den Fahrer und seine Crew rausfallen und kickt sie weg, weil er eben der Hulk ist. Thor hingegen schwingt seinen Hammer, ist also stark im Nahkampf, lässt sich ob seiner Blitze aber auch als Fernkampfeinheit einsetzen. Tony schießt aus der zweiten Reihe, Black Widow fungiert in dieser Mission aus dem Quinjet heraus als Support, setzt in engen Gängen ansonsten ihre Krav-Maga-Talente ein.
Schon jetzt großartig ist, wie gut der Humor der Filme eingefangen wird: Beim Terroranschlag auf San Francisco fliegt Tony Stark bewusst langsam. Thor fragt ihn: „Hast du gewartet?“. Er meint nur lakonisch: „Ja, du bist ja nicht mehr der Jüngste.“
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Soldaten verkloppen mit Thor, Chaos stiften als Hulk

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Das Gameplay ist mehr auf Spaß ausgelegt, weniger auf knochenharte Kämpfe. Als Thor wirbeln wir Soldaten in der Luft umher, als wären sie LEGO-Figuren: Einmal hochkicken, nochmal mit dem Hammer nachsetzen, schon ist so ein Soldat keine Gefahr mehr. Doch Vorsicht, denn der Feind hat einen ganzen Konvoi von SHIELD gekapert und setzt deren Repulsor-Waffentechnologie ein. Unser Job besteht darin, Bereiche der Brücke zu sichern, damit die Polizei evakuieren kann.
Wie schon in den The Avengers-Filmen glänzt das US-Militär durch Abwesenheit. Erinnern Sie sich noch an diesen Großangriff einer Alienrasse auf New York City in Avengers 1 und nicht ein einziger US-Kampfjet greift ein? Nun, hatten wohl gerade Mittagspause. Wer will, kann Thor auch wie einen MMA-Fighter spielen: Harter Uppercut, brutale Linke und noch ein Tritt hinterher. So richtig ernst nehmen die Jungs den Kampf wie in den Filmen nicht: „Jungs, habt ihr wieder alleine Spaß“, meint Black Widow mit verschmitztem Lächeln, als sie mit dem Quinjet angreift.
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Marvel-Fans müssen jetzt stark sein: Weil das Spiel eine neue Ära einläuten soll nach The Avengers: Endgame, müssen wir leider, leider auf den Original-Cast verzichten. Finanzielle Erwägungen dürften hier auch eine Rolle gespielt haben, denn die neuen Schauspieler haben über ein Jahr im Motion-Capture-Studio verbracht, was bei fünf der aktuell teuersten Hollywood-Stars das Budget wohl jenseits der 200 Mio. gedrängt hätte. Ist das schlimm? Es ist schade, weil die neuen Figuren anders aussehen. Aber die schauspielerische Leistung ist bislang exzellent und sehr gut getroffen. Was am All-Star-Gaming-Cast liegt:
Nolan North spielt Tony Stark – einen Mann, den Sie als Nathan Drake aus der Uncharted-Reihe kennen. Troy Baker mimt Bruce Banner – Troy wurde weltberühmt durch seine Rolle als Joel in The Last of Us und spielte Nathans Bruder in Uncharted 4. Laura Bailey ist bekannt aus Gear of War 4 und 5, The Last of Us und spielt jetzt auch in The Last of Us 2 mit: Sie übernimmt Scarlett Johanssons Rolle der sexy-toughen Super-Agentin Natasha Romanoff alias Black Widow. Was viele nicht wissen: In den Comics war sie als KGB-Agentin zunächst die Erzfeindin von Iron Man, ehe sie zur alliierten Strategic Homeland Intervention Enforcement and Logistics Division wechselte, kurz SHIELD.
Der Cast ist also sehr hochkarätig besetzt und Nolan North verspricht Tony Stark etwas mehr Dimensionen zu geben: „Er spielt den coolen Sunnyboy nur. Dahinter verbirgt sich ein sehr einsamer, innerlich zerrissener Mensch“.
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Die Story: Gefallene Helden und die Angst vor sich selbst

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Marvel’s Avengers wird von gleich zwei Studios entwickelt, die enorm viel Erfahrung mit dem Erzählen guter Geschichten haben: Crystal Dynamics zeichneten verantwortlich für Tomb Raider, Rise of the Tomb Raider und Shadow of the Tomb Raider und Eidos Montreal hat vorher an Deus Ex gearbeit: Deus Ex: Mankind Divided ist ebenfalls für seine Storytwists bekannt.
Strukturell gesehen wird es eine Hauptkampagne geben, in der Sie einen waschechten Singleplayer erleben: Captain America wird, so scheint es zumindest, beim Versuch San Francisco vor einer Katastrophe zu bewahren, getötet. Hydra ist erfolgreich, San Francisco wird verwüstet, Tausende sterben. „Sind die Avengers eine Gefahr für die Gesellschaft. Das war ihre Frage Bruce. Das war ihre einzige Frage“, sagt Tony Stark verzweifelt, als er mit Bruce Banner das Grabmal von Captain America besucht.
Die größte Bedrohung geht nach wie vor von A.I.M. aus – Advanced Idea Mechanics, eine fiktive Organisation von Wissenschaftlern und Superschurken, die in erster Linie Comic-Fans kennen, wobei diese in Iron Man 3 auch einen Auftritt hatte. Bereits gesehen haben wir Adaptoids, extrem kampfstarke Androide.
Spannend an der ganzen Geschichte: Die Hauptkampagne soll fünf Jahre nach diesem verheerenden Anschlag auf San Francisco spielen. Black Widow arbeitet wieder als Auftragskillerin, Thor zieht sich nach Asgard zurück. Ob wir das wohl auch spielen werden? Wäre interessant, insbesondere über Natasha Romanoff wissen wir fast nichts und 2020 erscheint mit Black Widow der erste Film rund um Scarlett Johansson ikonische Figur. Vielleicht auch einer der Gründe, warum Scarlett keine Zeit hatte fürs Motion-Capturing des Spiels, denn die Dreharbeiten laufen bereits. Ansonsten gibt’s viele, viele Geheimnisse: Wer ist der Gigant mit violetter Haut am Ende des Trailers? Ultimo? Galactus? Gerne mal in den Kommentaren diskutieren.
Fazit
Schon komisch, wie lange es gedauert hat, um ein Avengers-Spiel erleben zu dürfen. Wir reden hier von einer Marke, die seit Iron Man 1 im Jahr 2008 Geld druckt. Jeder einzelne Film hat eine hübsche Milliarde US-Dollar oder mehr eingespielt, aber an der Gaming-Front sah es ganz schön mau aus: Ein paar Lego-Spielchen hier, ein sehr gutes Spider-Man exklusiv für Playstation da. Jetzt geben die Tomb-Raider-Macher Gas, und das sieht schon alles sehr gut aus.
Technisch setzt Marvel’s Avengers einen neuen Benchmark, die CGI-Figuren haben fast die Renderqualität aus dem Kino. Und auch spielerisch macht das Laune, weil wir uns nach all den riesigen Open-Worlds der letzten Jahre nach einem guten, alten durchgeskripteten Action-Blockbuster sehnen. Auch die Geschichte scheint interessante Akzente zu setzen, mit einer Crew, die sich auseinanderlebt, wo jeder seiner eigenen Wege geht und die sich erst wieder zusammenraufen muss, gegen den großen Feind, der in einem Screenshots sogar den Stark-Tower übernimmt…
Marvel’s Avengers erscheint am 15. Mai 2020 für PC, Xbox One, Playstation 4 und Google Stadia.