Klar. Youtube ist nichts für jeden. Und nicht jeder, der sich darauf bewegt und Inhalte einstellt, ist seriös. Vieles ist ziemlich blöd, zum Fremdschämen und peinlich oder sogar unverständlich. Und ja, dort werden Urheberrechte verletzt. Und ja, das digitale Lexikon Wikipedia finden einige zu wenig wissenschaftlich. Und es ist fraglich, ob Spotify den urheberrechtlich geschützten Inhalt angemessen entlohnt.
Dennoch wollen wir alle ein modernes europäisches Urheberrecht, eine starke und unabhängige Presse sowie eine freie Netzkultur, denn das bis zum 26. März aktuelle Urheberrecht stammte aus den frühen 2000ern.
Die jüngste Reformierung des EU-Urheberrechts schafft es dennoch nicht, alle drei Ziele tatsächlich zusammenzubringen. Genau jene Menschen, die Youtube nur vom Hörensagen kennen, die nicht wissen, was Influencer oder Blogger sind, haben über die rechtlich geschützte Benutzung von Plattformen eben wie Youtube entschieden.
Der Artikel 13 (neu Artikel 17) des EU-Leistungsschutzrechts, über den wochenlang die Europäische Union gestritten hat und zu dem etliche Gegen-Demonstrationen stattfanden, bezieht sich nicht explizit auf sogenannte Upload-Filter. Dennoch sagen alle Experten, dass das wohl der technische Weg sein wird, Artikel 13 auch umzusetzen. Upload-Filter würden die Inhalte vor dem Hochladen clustern, sie in Muster drängen und aussuchen, ob dieser Inhalt urheberrechtlich geschützt ist oder nur eine Variante davon ist.
Upload-Filter kennen keine Ironie, Satire oder Zitate. Mit Upload-Filtern werden deshalb sehr viele Inhalte im Netz gar nicht erst sichtbar, da sie vor dem Upload durch „Overblocking“ ausgefiltert würden.
Das ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Wissensverbreitung im Netz. Außerdem ist er innovationsfeindlich und wird vor allem kleinen Plattformen schaden, die nicht in die ausgesprochen enge Definition für Ausnahmefälle passen.
Durch den Einsatz solch komplexer Filter wird ein negatives Bild von neuen Technologien vermittelt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass damit der komplette Technologiestandort Deutschland und Europa, der ohnehin in einigen Bereichen Aufholbedarf hat, eine weitere Entwicklungsdelle erfährt. Außerdem gilt bereits jetzt, dass Plattformbetreiber oder Provider illegale Inhalte innerhalb einer bestimmten Frist löschen müssen, nachdem sie davon erfahren haben. Dieses Verfahren funktioniert, es muss jedoch effizienter und konsequent angewandt werden.
Statt durch Upload-Filter von vornherein eine Vielzahl legaler Inhalte zu sperren, muss also das „Notice-and-Take-Down“-Verfahren – also das Melden und die Löschung von illegalen Inhalten – verbessert werden. Wie soll es also weitergehen?
Fakt ist: Das Internet, wie wir es nun jahrelang kannten, ist auf dem Weg anders zu werden. Seit langem von Schülern genutztes Wissen von Wikipedia oder anderen Lernplattformen wird vor der Veröffentlichung deutlich begrenzt, wenn Fußnoten oder Links nicht richtig angegeben wurden. Wenn man sich vorstellt, dass das Wissen von Lehrern in Schulen entweder selbst aus Wikipedia oder anderen Nachschlagewerken stammt, dann erscheinen Upload-Filter wie eine Zensur der modernen, freien Wissensvermittlung.
Der schnelle Griff zum Smartphone bei Unbekanntem fördert das Schülerwissen an Stellen, die Lehrer nie erreichen werden. Denn was machen Lehrer anders, als ihren Lehrinhalt aus Büchern zusammenzusuchen, die theoretisch genauso urheberrechtlich geschützt sind wie jenes Youtube-Tutorial oder E-Coaching Programm, das Schülern binomische Formeln erklärt?
Wo ist hier Artikel 13? Das ist die Art und Weise, wie wir und vor allem Schülerinnen und Schüler in dieser Zeit lernen. Zeitungen sind Nachrichten-Apps gewichen, das Lexikon ist Google und Wikipedia, wie man Klavier spielt, erklärt die nette Bloggerin von nebenan und Netflix ersetzt das TV.
Upload-Filter gefährden all das. Sie bestrafen diejenigen, die sich schneller im Internet zurechtfinden und zeigen, wie Kreativität, Vielfalt und Eigeninitiative heute ausgeübt wird.
Was bleibt zu sagen? Einer kompletten Generation wird von den Alten diktiert. Nur 15 Prozent der Wählerinnen und Wähler werden unter 30 Jahre alt sein, wenn die Bürger der Europäischen Union ihr Parlament wählen.
Schlimmer noch als das schon ist: Zwischenzeitlich dachten die EU-Parlamentarier, die E-Mail-Proteste, die sie zahlreich erhielten, wären bezahlte Bots von Google gewesen. Eine Fake-Kampagne des Mutterkonzerns von Youtube, der natürlich durch Artikel 13 betroffen ist.
Es stellte sich jedoch heraus, dass jene junge Generation einfach selbstständig ihren Unmut darüber äußerte und dass es keine Bots waren. Diese Generation lebt im Internet. Sie benötigt Googles Hilfe nicht zur öffentlichen Meinungsäußerung.
Doch all das interessierte die „graue Elite“ nicht. Selbst als sich „die Bots“ auf die Straßen der Republik bewegten, erfand man sich die Geschichte von bezahlten 450-Euro-Demonstranten.
Das passiert, wenn ein antiquiertes Weltbild auf die Gegenwart trifft. Werbung für eine lebhafte Demokratie war das nicht.
Die 348 Abgeordneten, die für das neue EU-Urheberrecht stimmten, verstehen Digitalpolitik damit vorrangig als Abwehrmittel gegen den längst voranschreitenden Wandel.
Spätestens zur Europawahl am 26. Mai wird sich zeigen, wie stark die Generation des digitalen Wandels von dieser Entscheidung beeinflusst wurde. Es ist sicherlich eine Instagram-Story wert!