Artikel 13: Worum geht es?
Artikel 13 (in der endgültigen Abstimmungsvorlage Artikel 17) der geplanten EU-Urheberrechtsreform bezieht sich auf Plattformen “für das Teilen von Online-Inhalten” (kurz: „Plattformen“), also zum Beispiel YouTube, Instagram und Facebook. Wenn ein Benutzer dort Inhalte (zum Beispiel Fotos, Grafiken, Videos, Texte) hochlädt, sollen die Plattformen „alle Anstrengungen“ unternehmen, Genehmigungen beziehungsweise Lizenzen von den Rechteinhabern einzuholen, bevor sie die Inhalte veröffentlichen. Tun sie dies nicht und veröffentlichen die Inhalte einfach so, sind die Plattformen dafür haftbar, können also von den Rechteinhabern auf Unterlassung und Schadenersatz verklagt werden.
Sie müssen außerdem Rechteinhabern die Möglichkeit geben, ihre Inhalte für die Veröffentlichung durch andere Benutzer sperren zu lassen. Die Sperre muss „professionelle Sorgfalt auf hohen branchenüblichen Standards“ erkennen lassen, ansonsten sind auch in diesem Fall die Plattformen haftbar, sollten solche Inhalte trotzdem veröffentlicht werden.
Was sich so einfach anhört, wirft bei genauerer Betrachtung viele Fragen und Probleme auf, die im Netz und seit kurzem auch auf der Straße für kontroverse Diskussionen und Demonstrationen sorgen. Wir wollen an dieser Stelle versuchen, mehr Klarheit und Sachlichkeit in die Diskussion zu bringen und unterziehen Behauptungen von Befürwortern und Gegnern von Artikel 13 einem Faktencheck. Fehlen aus Ihrer Sicht wichtige Aussagen oder ist die Faktenlage Ihrer Meinung nach anders? Dann sagen Sie uns gerne Bescheid, wir werden diesen Artikel kontinuierlich aktualisieren.
Basiert YouTubes Geschäftsmodell auf der Verletzung von Urheberrechten?
Behauptung 1: „YouTube hat sein Geschäft auf Urheberrechts-Verletzungen aufgebaut.“ / „YouTube beteiligt die Urheber nicht an den Einnahmen.“
Faktencheck: Das Geschäftsmodell von YouTube beruht grundsätzlich erst einmal darauf, dass Benutzer dort selbsterstellte Videos hochladen und dafür im Gegenzug unter bestimmten Bedingungen von YouTube an den Werbeeinnahmen ihrer Videos beteiligt werden können. Es gibt natürlich auch Benutzer, die dort absichtlich oder aus Unkenntnis beziehungsweise Gedankenlosigkeit Material hochladen, an denen sie keine Rechte haben oder solches Material in ihren eigenen Videos verwenden. YouTube versucht dies mit seinem Content-ID-Filter, eindeutigen Hinweisen an seine Nutzer und Sperrungen/Löschungen von Videos und Benutzer-Accounts, die wiederholt gegen das Urheberrecht verstoßen, einzudämmen.
Bei über 400 Stunden Videomaterial, die pro Minute (!) von Benutzern weltweit auf die Plattform hochgeladen werden, funktioniert das natürlich nicht immer zuverlässig – außerdem setzt es voraus, dass Rechteinhaber ihre Inhalte in den Filter einspeisen, damit sie mit den Benutzer-Uploads abgeglichen werden können.
YouTube bietet den Rechteinhabern alternativ zu einer Sperrung dieser Inhalte die Möglichkeit, einen Anteil der Werbeeinnahmen zu erhalten, die mit diesen Videos generiert werden. Darüber hinaus veröffentlichen inzwischen zahlreiche Fernsehsender, Produktionsfirmen, Online-Medien und Profi-Musiker ihre Inhalte selber bei YouTube, um die Bekanntheit ihrer Sendungen zu steigern, ein neues (nicht TV-affines) Publikum zu erreichen und von den YouTube-Werbeeinnahmen zu profitieren.
YouTube könnte natürlich noch mehr unternehmen, um Urheberrechts-Verletzungen zu verhindern, zum Beispiel nur noch Uploads von Nutzern zulassen, die sich zuvor eindeutig (per Ausweis etc.) gegenüber der Plattform identifiziert haben. Alternativ könnte YouTube für geschützte Werke, die unberechtigterweise auf der Plattform landen, pauschale Lizenzgebühren abführen. Bisher sind Plattform-Betreiber nicht für Urheberrechts-Verletzungen ihrer Nutzer haftbar und daher ihrer Ansicht nach nicht zu Lizenzabgaben verpflichtet. Dies soll Artikel 13 ändern.

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Vergütungsverträge statt Upload-Filter?
Behauptung 2: „Die Plattformen müssen einfach nur Vergütungsverträge abschließen beziehungsweise Pauschal-Lizenzen einholen, schon sind sie rechtlich sicher und müssen keine Upload-Filter einsetzen.“
Faktencheck: Es gibt in Deutschland bisher nur für Musik solche allumfassenden Pauschal-Lizenzen, zum Beispiel das „Weltrepertoire“ von der GEMA, nicht aber für Fotos, Grafiken, Filme, Serien und andere audiovisuelle Inhalte. Artikel 12 (vormals 9a) der EU-Urheberrechts-Reform erlaubt es den Mitgliedsstaaten zwar, den lokalen Verwertungsgesellschaften solche erweiterten kollektiven Lizenzen anzubieten, und zwar auch im Namen von Urhebern, die (noch) nicht Mitglied der jeweiligen Verwertungsgesellschaft sind. Allerdings ist Artikel 12 (vormals 9a) eine Kann-Bestimmung , außerdem sind erweiterte kollektive Lizenzen rechtlich nicht gerade unproblematisch, denn sie greifen in die Eigentumsrechte des Einzelnen ein. Es ist also daher nicht gesagt, dass es in allen EU-Staaten Pauschallizenzen für alle Inhalte und Inhaltsarten geben wird.
Auch Pauschal-Lizenzen umfassen allerdings nie alle Inhalte, denn Rechteinhaber haben immer die Möglichkeit, einzelne oder alle ihrer Werke davon auszunehmen. So werden zum Beispiel Rechteinhaber von aufwendig produzierten Filmen, Serien, Dokumentationen etc. vermutlich nicht damit einverstanden sind, dass ihre Inhalte kostenlos und jederzeit verfügbar auf Youtube & Co. abrufbar sind. Denn die darüber generierten Lizenzeinnahmen wären vermutlich nur ein Bruchteil dessen, was die Rechteinhaber durch die Lizenzierung an Fernsehsender und Bezahl-Streaming-Plattformen wie Netflix erhalten (siehe Behauptung 4).
Es wird für die Plattformen also niemals möglich sein, alle Werke, die weltweit verfügbar sind und zu denen täglich Millionen Fotos, Videos, Texte etc. hinzukommen, zu lizenzieren.
Die Plattformen brauchen also Technologien, die erkennen, ob ein hochgeladener Inhalt ganz oder teilweise Werke enthält, deren Rechteinhaber der Veröffentlichung widersprochen haben. Technisch betrachtet handelt es sich hierbei um einen Filter, der nach festgelegten Kriterien entscheidet, welche Inhalte online gehen und welche nicht. YouTube hat wie oben geschildert, einen solchen Filter mit dem Namen Content-ID bereits im Einsatz, der allerdings nicht immer zuverlässig funktioniert.

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Wirft YouTube das Handtuch und schließt EU-Bürger aus?
Behauptung 3: „Die Leute gehen auf die Straße, weil sie Angst haben, dass die Uploadfilter ihre Videos blocken, wenn sie Memes, Parodien und Zitate benutzen.“
Faktencheck: Die Sorgen der Nutzer sind viel weitgehender: Sie befürchten, dass die Filter aufgrund ihrer Fehleranfälligkeit auch komplett selbsterstellte Videos blocken, die keinerlei Urheberrechte verletzen. Und diese Angst ist nicht unbegründet, wie Beispiele aus der Vergangenheit zeigen. Zudem wird befürchtet, dass die Filter zukünftig auch – zum Beispiel von EU-Staaten mit autoritären Regierungen – missbräuchlich genutzt werden könnten, um die Meinungsfreiheit einzuschränken.
Eine weitere Angst ist, dass YouTube vor Artikel 13 kapituliert, also europäische Benutzer zukünftig ausschließt und sogar bestehende europäische Kanäle mit all ihren Videos löscht. Denn YouTube prognostiziert, um nicht zu sagen droht mit folgenden Aussagen mit exakt diesem Szenario:
- „Plattformen wie YouTube wären durch die Unsicherheit und Komplexität der Urheberrechtsfrage gezwungen, Uploads aus Europa und Zugriffe aus Europa auf Inhalte, die aus anderen Ländern hochgeladen wurden, größtenteils zu sperren.“
- „YouTube wäre gezwungen, Millionen von Videos (bestehende und neue) in der Europäischen Union zu blockieren.“
- „Wenn Artikel 13 eingeführt wird, werden 35M+ [über 35 Millionen] Kanäle in der EU geblockt.“
- „Daher gefährdet Artikel 13 hunderttausende Arbeitsplätze, YouTuber in Europa, Unternehmen, Künstler und deren Mitarbeiter.“
Auf die in Artikel 13 geforderte Lizenzierungs-Möglichkeit geht YouTube auf seiner (natürlich sehr einseitigen) Informations-Website nicht weiter ein. Das könnte darauf hindeuten, dass YouTube diese Option gar nicht in Betracht zieht. Ein Lizenzierungs-Zwang lässt sich aus Artikel 13 auch nicht unbedingt herleiten. Die Frage, ob eine Plattform „alle Anstrengungen“ unternommen hat, um hochgeladene Inhalte zu lizenzieren stellt sich erst, wenn unlizenzierte Inhalte auf der Plattform erscheinen und die Rechteinhaber juristisch dagegen vorgehen.
YouTube erweckt also den Anschein, dass seine Strategie nach Inkrafttreten der nationalen Artikel-13-Gesetzgebungen lautet: Lieber noch effektiver den Upload urheberrechts-verletzender Inhalte zu unterbinden, als diese kostenpflichtig zu lizenzieren. Dadurch könnte es zum gefürchteten Overblocking (siehe Behauptung 6) kommen, also dazu, dass unbeabsichtigt auch völlig legale Inhalte geblockt werden. Denn es ist vermutlich wirtschaftlicher, etwas zu viel zu blocken, als unlizenziertes Material zu veröffentlichen und sich dadurch mit Schadensersatzforderungen und kostspieligen juristischen Auseinandersetzungen konfrontiert zu sehen.
Eine weitere Aussage von YouTube lautet: „YouTube und andere Plattformen sind möglicherweise gezwungen, deine vorhandenen Videos zu sperren und dir das Hochladen neuer Videos zu verweigern, wenn du nicht nachweisen kannst, dass du die Rechte an allen Inhalten deiner Videos (inkl. Bild und Ton) hältst.“

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Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass Uploads von Nutzern aus der EU zwar weiterhin möglich wären, aber nur dann, wenn die Nutzer ihre Identität nachweisen und – womöglich an Eides statt – versichern, dass ihre Videos keine Urheberrechte verletzen und sie durch den Upload (wie bisher auch) YouTube eine unentgeltliche Lizenz zur Veröffentlichung des Videos erteilen. YouTube könnte dann versuchen, sich auf den Standpunkt zu stellen, „alle Anstrengungen“ unternommen zu haben, um den hochgeladenen Inhalt zu lizenzieren. Ob Gerichte das dann genauso sehen, ist natürlich die Frage.
Sollte sich hinterher herausstellen, dass der Inhalt doch fremde Urheberrechte verletzt, ohne vom Content-ID-System geblockt worden zu sein, müsste YouTube den Benutzer natürlich verwarnen und spätestens bei einer Wiederholungstat sperren, um weiterhin glaubhaft darlegen zu können, „alle Anstrengungen“ zu unternehmen.
Es kann natürlich durchaus sein, dass das düstere Szenario, das YouTube hier entwirft, nur Säbelrasseln ist, also leere Drohungen. Die Befürworter von Artikel 13 gehen davon aus, dass der europäische Markt für Google so wichtig ist, dass das Unternehmen klein beigeben und Lizenzen erwerben wird. Google/Alphabet hat allerdings viele (lukrativere) Standbeine und ist mit YouTube auch außerhalb der EU sehr gut aufgestellt. Nüchtern betrachtet könnte YouTube einen teilweisen oder kompletten Rückzug vom europäischen Markt daher deutlich länger aussitzen als die Politik, die sich in so einem Fall vermutlich mit deutlich schärferen Bürger-Protesten als momentan konfrontiert sehen würde. YouTube hingegen könnte sich hingegen auf die Opfer-Rolle zurückziehen. Natürlich ist es bedenklich, wenn einzelne Konzerne eine solche (Markt-)macht ausüben können. Aber das ist ein ganz anderes Problem.

Bessere Vergütung für Urheber?
Behauptung 4: „Die EU-Urheberrechtsreform sorgt für eine faire Vergütung der Urheber.“
Faktencheck: Wenn die großen Plattformen Lizenzverträge mit den Verwertungsgesellschaften abschließen, könnten sie höhere Tantiemen an ihre Mitglieder (Urheber und Verlage) ausschütten. Wie viel, würde davon abhängen, wie hoch die Lizenzzahlungen von YouTube & Co. ausfallen.
Die Google-Mutter Alphabet macht jedes Jahr Milliardengewinne. Die kommen Branchenexperten zufolge allerdings größtenteils aus Bereichen wie Web-Suche, Anzeigen-Vermittlung auf anderen Websites (Google Ads) und anderen B2B-Dienstleistungen, die nichts mit Youtube zu tun haben. YouTube gilt als weit weniger margenträchtig, denn die Kosten, die für die Speicherung und Auslieferung der Videos entstehen (eine einzelne Videodatei kann je nach Länge und Auflösung mehrere Gigabyte umfassen) sind immens. Dem gegenüber stehen Werbeeinahmen von grob geschätzt durchschnittlich 2 bis 3 Cent pro Wiedergabe eines Videos.
Das scheint Axel Voss, dem Berichterstatter des EU-Parlaments für die EU-Urheberrechtsreform, allerdings nicht bewusst zu sein, denn im Interview mit dem Handelsblatt-Magazin Orange unterstellt er, dass „die Plattform mit ihrem Geschäftsmodell Milliarden an Gewinn macht“. Er nennt YouTube zwar nicht namentlich, dem Kontext der Frage ist jedoch zu entnehmen, dass er YouTube meint.
Beim Thema Vergütung darf man auch nicht unerwähnt lassen, dass die EU-Urheberrechtsreform auch den Artikel 16 (vormals Artikel 12) beinhaltet. Er sieht vor, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten bestimmen können, dass Urheber Tantiemen, die sie von Verwertungsgesellschaften erhalten, künftig mit ihren Verlegern / Publishern teilen müssen. Das würde dann für alle Tantiemen gelten, also auch für die aus anderen Quellen als Artikel 13. Es wird also auch Urheber geben, die durch die Urheberrechtsreform insgesamt, trotz Mehreinnahmen der Verwertungsgesellschaften, weniger ausgezahlt bekommen würden als momentan.

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Geht’s auch ohne Upload-Filter?
Behauptung 5: „In der Richtline ist von Upload-Filtern überhaupt keine Rede. Die Plattformen können selber entscheiden, ob sie welche nutzen.“
Faktencheck: In der praktischen Umsetzung führt kein Weg an Erkennungs-Software vorbei, die die Uploads filtert, denn eine manuelle Prüfung ist bei Plattformen, bei denen täglich hunderte bis hunderttausende Inhalte hochgeladen werden, völlig unrealistisch. Das sieht inzwischen auch Bundesjustizministerin Katarina Barley so: „Mir sind keine anderen technischen Maßnahmen bekannt, mit denen man Lizenzverstöße verhindern könnte. Insofern läuft es auf Upload-Filter hinaus.“ Richtig ist aber auch: Die großen Plattformen setzen bereits jetzt Upload-Filter ein, um Inhalte zu blockieren, die von den Rechteinhabern gemeldet werden.
Was ist mit Overblocking?
Behauptung 6: „Wenn ein Video fälschlicherweise im Upload-Filter hängen geblieben ist, gibt es kaum eine Chance, dagegen vorzugehen.“
Faktencheck: Gemäß Artikel 13 müssen Plattformen darauf achten, dass Inhalte, die nicht gegen das Urheberrecht verstoßen, auch nicht geblockt werden. Damit soll Overblocking verhindert werden. Allerdings ist es technisch sehr anspruchsvoll – und stellenweise auch schlicht nicht leistbar – einen komplexen Filter, der audiovisuelle Inhalte in nahezu Echtzeit durchleuchten muss, so zu justieren, dass weder zu viel noch zu wenig geblockt wird. Zudem sind im Falle des Overblockings keine Konsequenzen/Strafen für die Plattformen vorgesehen, im Falle des Underblockings aber potentiell schon. Aus wirtschaftlicher Sicht könnte es daher für die Plattformen lukrativer sein, lieber etwas zu viel zu blocken als etwas zu wenig.
Einwände der Nutzer gegen geblockte Inhalte müssen die Plattformen gemäß Artikel 13 “unverzüglich” überprüfen – und zwar von einem echten Menschen, nicht von einem Algorithmus. „Unverzüglich“ heißt allerdings nicht „sofort“, das heißt, es kann durchaus passieren, dass es mehrere Tage oder gar Wochen dauert. Ein Video zu einem aktuellen Thema wäre dann veraltet und nicht mehr relevant.
Durch Overblocking würde die Anzahl der Einsprüche zunehmen, das heißt die Plattformen bräuchten viele neue qualifizierte Mitarbeiter, die den ganzen Tag nichts anders machen, als sich Videos anzuschauen und zu beurteilen, ob eine Urheberrechtsverletzung vorliegt oder nicht. Es stellt sich die Frage, ob das für jede Plattform praktikabel und wirtschaftlich tragbar ist, oder ob einige (auch) aus diesem Grund das Handtuch werfen.
Kollateralschaden: Müssen kleine Dienste wegen Artikel 13 dichtmachen?
Behauptung 7: „Artikel 13 gilt nur für ganz große Plattformen wie YouTube, Instagram, Soundcloud und Facebook. Kleine Dienste sind davon nicht betroffen.“
Faktencheck: Artikel 13 bezieht sich auf “Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten”, die in Artikel 2 der EU-Richtlinie wie folgt definiert sind: “Ein Dienst der Informationsgesellschaft, bei dem der Hauptzweck bzw. einer der Hauptzwecke darin besteht, eine große Menge an von seinen Nutzern hochgeladenen, urheberrechtlich geschützten Werken oder sonstigen Schutzgegenständen zu speichern und der Öffentlichkeit Zugang hierzu zu verschaffen, wobei dieser Anbieter diese Inhalte organisiert und zum Zwecke der Gewinnerzielung bewirbt.”
Erwägungsgrund 62 (vormals 37a) der Richtlinie schränkt diese recht breit gefasste Definition zumindest etwas auf diejenigen Dienste ein, die “auf dem Markt für Online-Inhalte eine wichtige Rolle spielen, indem sie mit anderen Online-Inhaltediensten [bei denen kein Sharing/Teilen der Inhalte vorgesehen ist, Anm. d. Red.], wie Audio- und Video-Streamingdiensten [gemeint sind vermutlich Dienste wie Netflix und Audible, Anm. d. Red.], um dieselben Zielgruppen konkurrieren.” Erwägungsgründe haben zwar ein juristisches Gewicht, sind aber rechtlich nicht bindend.
Je nachdem, wie streng man die Voraussetzungen interpretiert und welche Maßstäbe man ansetzt, könnten also auch Plattformen unter die Definition fallen, auf denen ganz überwiegend von Nutzern komplett selbst erstellte Inhalte geteilt werden, zum Beispiel Dating-Plattformen (Benutzer-Fotos), Rezept-Börsen (Benutzer-Fotos und ggf. auch Zubereitungs-Anleitungen), Diskussionsforen (selbstverfasste Texte ab einer gewissen Schöpfungshöhe & ggf. Fotos) etc. Denn was viele übersehen: Auch diese komplett selbsterstellten Inhalte genießen in aller Regel Urheberschutz. Die Rechteinhaber sind die jeweiligen Nutzer selbst und die wollen ja, dass ihre Inhalte auf der Plattform erscheinen, auf die sie sie selber hochladen. Trotzdem müssten sich die Plattformen, um in Einzelfällen unrechtmäßiger Uploads nicht haftbar zu sein, eigentlich auch um Pauschal-Lizenzen bemühen und es Rechteinhabern ermöglichen, bestimmte Inhalte in einer Sperr-Datenbank zu hinterlegen.
Die Einschränkung “eigentlich” weist aber schon auf eine wichtige Ausnahme hin, denn in Artikel 13 heißt es weiter: “Bei der Feststellung, ob der Diensteanbieter den […] festgelegten Verpflichtungen nachgekommen ist, wird im Lichte des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit unter anderem Folgendes berücksichtigt: a) die Art, das Publikum und der Umfang der Dienste sowie die Art der von den Nutzern des Dienstes hochgeladenen Werke oder sonstigen Schutzgegenstände; und b) die Verfügbarkeit geeigneter und wirksamer Mittel und die Kosten, die den Anbietern dieser Dienste hierfür entstehen.”
Nehmen wir also an, dass zum Beispiel eine kommerzielles Kochrezept-Forum von einem Rechteinhaber verklagt wird, weil jemand dort unautorisiert ein von ihm erstelltes Rezept mit ausführlicher Zubereitungsanleitung inklusive Foto hochgeladen hat. Und gehen wir davon aus, dass der Betreiber des Forums keine Pauschal-Lizenzen erworben hat. Dann müsste ein Richter prüfen, ob in dem Forum ansonsten ganz überwiegend nur von den Benutzern komplett selbsterstellte Inhalte hochgeladen werden. Wenn das der Fall ist, müsste der Richter eigentlich zu dem Schluss kommen, dass es dem Betreiber nicht zuzumuten ist, vorsorglich für den unwahrscheinlichen Fall einer Urheberrechtsverletzung Pauschal-Lizenzen zu erwerben. Somit wäre der Betreiber aus der Haftung raus. Auch hier wieder ein “eigentlich”, denn wie die Richter in welchem Einzelfall entscheiden, ist nicht vorhersehbar.
Das rechtliche Risiko für die genannten Dienste ist zwar überschaubar, aber nicht komplett wegzudiskutieren und somit aus deren Perspektive eine Verschlechterung der aktuellen Situation, in der die Dienste normalerweise nicht haftbar sind. Einige Betreiber haben bereits angekündigt, dass sie das rechtliche Risiko nicht eingehen und daher ihre Dienste einstellen würden. Darunter würde die Meinungs- und Dienste-Vielfalt im Internet leiden und größere Plattformen würden dadurch gestärkt werden.
Wenn in Artikel 2 und in Erwägungsgrund 62 der EU-Richtlinie stehen würde, dass Artikel 13 nur auf Dienste anzuwenden ist, auf die große Mengen an unlizenzierten urheberrechtlich geschützten Werken hochgeladen werden, wäre eindeutig klar, dass Dating-Plattformen, Rezept-Börsen, Foren etc., die ganz überwiegend nur aus urheberrechtlich geschützten (komplett selbsterstellten) Werken ihrer Nutzer bestehen, nicht darunterfallen.

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Was ist mit Memes, Parodien und Zitaten?
Behauptung 8: „Niemand muss sich Sorgen machen, dass Zitate, Memes und Parodien von den Upload-Filtern geblockt werden.“
Faktencheck: Artikel 13 sieht speziell hierfür zwar Ausnahmen von der Lizenzierungs- und Blockierungspflicht vor. Aber es gibt nach Meinung hochrangiger Experten momentan (und auch in absehbarer Zeit) keine Filter-Algorithmen, auch nicht mit künstlicher Intelligenz, die entscheiden können, ob ein Ausschnitt aus einem urheberrechtlich geschützten Werk, berechtigterweise im Rahmen des Zitatrechts genutzt wird, oder ob eine Urheberrechtsverletzung vorliegt. Selbst geschulte Menschen tun sich mit dieser Entscheidung oft schwer, weil die Grenzen fließend sind und es einen großen Graubereich gibt. Mit Memes und Parodieren werden Filter ebenfalls ihre Schwierigkeiten haben. Selbst Axel Voss hat im Interview mit dem Handelsblatt-Magazin Orange eingeräumt: „Ich kann nicht dafür garantieren, dass alles nachher technisch einwandfrei funktioniert.“ Trotzdem wird auf dem Twitter-Account der EU-Kommission behauptet: „Deine Memes sind sicher“.
Wird die Meinungsfreiheit eingeschränkt?
Behauptung 9: „Die Meinungsfreiheit im Internet ist in Gefahr.“
Faktencheck: Auch im extremsten Worst-Case-Szenario (Content-Plattformen wie Youtube, Facebook, Snapchat und Instagram schließen europäische Benutzer aus) wird es Möglichkeiten geben, seine Meinung über einen eigenen Blog oder eine eigene Website zu verbreiten. Aber auf zentralen Plattformen mit all ihren sozialen Verknüpfungsmöglichkeiten kann man natürlich eine viel größere Zielgruppe erreichen und sich somit viel besser Gehör verschaffen.
Behauptung 10: „Die Major-Player der Content-Produzenten wollen mit Artikel 13 ihres größten Konkurrenten YouTube entledigen.“
Faktencheck: Das klingt wie eine Verschwörungstheorie. Allerdings könnten einige Marktteilnehmer tatsächlich hoffen, dass wenn sie YouTube „ausschalten“ oder kleinmachen (zumindest im europäischen Raum), sich die Nutzer dann deren Mediatheken, Streaming-Plattformen etc. zuwenden. Ob sich das erfüllt, darf aber bezweifelt werden, wie ein Blick in die Geschichte des Internets zeigt.
Behauptung 11: „Benutzer sind durch Artikel 13 besser geschützt, da sie nicht mehr für Urheberrechts-Verletzungen haftbar gemacht werden können, sondern die Plattformen.“
Faktencheck: Das gilt nur, wenn die Plattformen Lizenzen für die hochgeladenen Inhalte erworben haben. YouTubes Ankündigungen lassen wie oben geschildert vermuten, dass es Lizenzierungen vermeiden will, daher wären in dem Fall Plattform UND Benutzer für Urheberrechts-Verletzungen haftbar.
Unser Fazit
Die Faktenlage lässt zumindest Zweifel aufkommen, ob Artikel 13 bzw. 17 der EU-Urheberrechtsreform wirklich sein Ziel erreicht, (nur) die großen Plattformen zu treffen und sie zu Lizenzierungen zu bewegen und andererseits Overblocking zu verhindern und kleine Plattformen zu verschonen. Alles hängt davon ab, wie die Plattformen, allen voran YouTube, Facebook und Instagram, reagieren werden und wie die Justiz die Vorschriften auslegen wird. Der Anspruch, das Urheberrecht an die digitale Welt anzupassen, ist unserer Ansicht nach aber verfehlt worden. Stattdessen wurde versucht, die digitale Welt an das bestehende Urheberrecht anzupassen. Fehlen in diesem Beitrag aus Ihrer Sicht wichtige Aussagen oder ist die Faktenlage Ihrer Meinung nach anders? Dann sagen Sie uns gerne Bescheid, wir werden diesen Artikel kontinuierlich aktualisieren.
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