Wieder den Arm ausstrecken, greifen und heben können: Nach einem Schlaganfall müssen Menschen Bewegungsabläufe oft neu erlernen. Die Erkrankung ist die inzwischen häufigste Ursache dauerhafter Behinderungen und die Rückkehr zur Normalität gestaltet sich meist beschwerlich. Bei der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten kommt es vor allem auf frühzeitiges, regelmäßiges und intensives Training an, das den Menschen an bestimmte Bewegungen wieder heranführt.
In den letzten Jahren kommen in diesem Bereich vermehrt Roboter als Ergänzung zu konventionellen Therapiemaßnahmen zum Einsatz. Sie entlasten den Therapeuten insbesondere bei der Unterstützung von Bewegungen, deren korrekte Ausführung für den Erfolg der Therapie grundlegend wichtig ist.
Um die Rehabilitation von Schlaganfallpatienten effektiv zu verbessern, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Robotics Innovation Center des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) ein innovatives tragbares Ganzkörper-Exoskelett für die robotergestützte Therapie des Oberkörpers konzipiert.
Darauf aufbauend entwickelten sie ein eigenständiges Teilsystem, das mittelfristig in der medizinischen Rehabilitation zum Einsatz kommen soll. Ziel des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit ca. drei Millionen Euro geförderten Projekts Recupera Reha war es, neue Synergien zwischen Mensch und Maschine zu schaffen, um die Verfahren und Arbeitsschritte in der Rehabilitation zu optimieren sowie innovative und effektsteigernde Therapiemaßnahmen auf Basis neuer Technologien zu ermöglichen.
Der Verbundpartner Rehaworks betrachtete im Rahmen des Projekts die Anforderungen an medizinische Geräte und evaluierte dahingehend kontinuierlich die Systeme. So gelang es den Projektpartnern, neue Perspektiven in der Entwicklung von prototypischen robotischen Rehabilitationsgeräten und der Erweiterung therapeutischer Maßnahmen zu eröffnen.
Innovative Kinematiken und Leichtbauweise für größtmögliche Bewegungsfreiheit und Tragekomfort
Das entwickelte Ganzkörper-Exoskelett erfasst kinematisch annähernd den gesamten Bewegungsraum des menschlichen Körpers. Die Oberkörperkonstruktion dient dabei der Rehabilitation, die von der flexiblen Beinkonstruktion getragen wird. Im Gegensatz dazu trägt sich das Teilsystem nicht selbst, sondern ist an einem Rollstuhl befestigt. So können auch Menschen, die nach einem Schlaganfall noch nicht selbstständig stehen und laufen können, die gelähmte obere Gliedmaße frühestmöglich wieder bewegen und trainieren.
Zum Aufbau der Systeme erarbeitete das Forscherteam neue Methoden zur Aktuation, Regelungstechnik und zum Leichtbau. Dank der Kombination aus seriellen und parallelen Kinematiken erhält der Patient im Exoskelett die notwendige Bewegungsfreiheit. Dort, wo ein besonders großer Bewegungsbereich erforderlich ist, etwa in den Schultern und Armen des Exoskeletts, kommen serielle Kinematiken zum Einsatz.

©DFKI, Foto: Thomas Frank
Demgegenüber setzen die Forscher auf parallele Kinematiken, wenn aufgrund großer Krafteinwirkungen eine besonders stabile Struktur erforderlich ist, beispielsweise in den Hüft- oder Fußgelenken.
Den Ober- und Unterkörper des Exoskeletts statteten sie mit einer aktiven Parallelkinematik, einem sogenannten Hexapod, aus. Dieser ermöglicht die Bewegung und Rotation in bzw. um alle räumlichen Achsen und verschafft so dem Torso den größtmöglichen Bewegungsbereich.
Durch die Verwendung leichter Werkstoffe und Materialreduzierung gelang es den Wissenschaftlern, das Gewicht der Systeme (ohne Akkus) deutlich zu reduzieren: So bringt das Ganzkörper-Exoskelett lediglich 30 kg, das Teilsystem gerade einmal 16 kg auf die Waage. Damit sind die entwickelten Exoskelette im Vergleich zu anderen Systemen sehr leicht.
Für den Antrieb kommen neben Linearaktuatoren, die zugleich als Verbindungsstrukturen genutzt werden, auf Funktion und Gewicht optimierte Drehmotoren mit Federelementen zur Anwendung. Diese sorgen für eine gewisse Nachgiebigkeit, die weichere Bewegungen zulässt und auch die Sicherheit des Systems erhöhen.
Zur Steuerung und Regelung des Exoskeletts nutzen die Wissenschaftler sogenannte Field Programmable Gate Arrays (FPGAs), wiederprogrammierbare Schaltkreise, die parallele Verarbeitungsoperationen ermöglichen, etwa die Echtzeit-Auswertung von Biosignalen. Die FPGAs bewältigen die dabei anfallenden riesigen Datenmengen innerhalb weniger Nanosekunden – nur so kann das Exoskelett genau im richtigen Moment die Bewegung unterstützen.
Trainingsmotivation durch Selbstbestimmtheit: Drei verschiedene Steuerungsmodi für eine variable Oberkörperassistenz
Anhand des Teilsystems, das die Neuerungen aus dem Ganzkörper-Exoskelett aufgreift, untersuchten die DFKI-Forscher verschiedene Ansätze der Therapie und Rehabilitation, die sie im Rahmen eines Anwendertests mit Schlaganfallpatienten evaluierten. Der Patient im Exoskelett oder eine dritte Person, beispielsweise der Therapeut, können das System betätigen und je nach Bedarf zwischen verschiedenen Steuerungsmodi wählen, die jeweils einen unterschiedlichen Grad an Unterstützung bieten.

©DFKI, Foto: Thomas Frank
Im sogenannten Master-Slave-Modus lassen sich die Bewegungen des gesunden Armes simultan auf die gelähmte Seite übertragen. Dies eröffnet Potenziale für eine klassische Spiegeltherapie, die nicht nur visuelle, sondern auch propriozeptive Stimulation – d.h. die Stimulation der eigenen Körperwahrnehmung – bietet. Dieser Modus fördert besonders die Eigeninitiative des Patienten, denn er wirkt durch die Möglichkeit, selbstbestimmt zu handeln, zusätzlich motivierend.
Der Modus Teach-in and Replay eignet sich insbesondere für schwer betroffene Patienten, die ihren Arm nicht oder nur sehr begrenzt selbst bewegen können. Für die Vorgabe einer bestimmten Trajektorie – d.h. eines Bewegungsablaufs oder komplexerer Bewegungsabläufe der Gelenke – durch den Therapeuten, etwa das Greifen eines Glases und die Durchführung einer Trinkbewegung, kann die Extremität des Patienten mithilfe des Exoskeletts passiv geführt werden.
Die aufgezeichneten Bewegungsmuster dienen der Bewegungsanbahnung und können in einer hohen Frequenz repetitiv umgesetzt werden, ohne dass der Therapeut die Bewegung führen muss. Dadurch ist die Behandlung für den Betroffenen besonders intensiv und er kann die Bewegungsmuster selbstständig trainieren.
Zudem kann das Exoskelett in diesem Modus auf Basis der Muskelaktivität oder der Gehirnaktivität des Patienten die Ausführung der Trajektorien starten. Dies erfolgt durch die Messung des Elektromyogramms (EMG) bzw. des Elektroenzephalogramms (EEG), woraus das System die Bewegungsabsicht der Person zuverlässig ableiten und sie in ihren Bewegungsabläufen intuitiv unterstützen kann. Auf diese Weise hat der Patient trotz Exoskelett das Gefühl, selbstbestimmt zu handeln, da seine Bewegungen nicht durch das System, sondern durch die eigenen Körpersignale ausgelöst werden. Ein Umstand, der sich wiederum positiv auf die Trainingsmotivation auswirken kann.
Darüber hinaus statteten die Forscher das Exoskelett mit einer Assist-as-needed-Funktion aus, welche die jeweiligen Bedürfnisse und Ziele des Patienten berücksichtigt. So lassen sich je nach Bedarf nur einzelne Gelenke, etwa der Ellenbogen, oder bestimmte alltagsrelevante Handlungen wie das Greifen und Heben von Objekten mit einer individuell angepassten Kraftkompensation trainieren.
Dank der Funktion der Gravitationskompensation kann die Eigenschwere der Exoskelett-Struktur über die Aktuatoren des Systems vollständig aufgehoben werden. Auch das Gewicht des Patientenarms lässt sich mittels eines implementierten Armmodells vollständig kompensieren. Dadurch ist der Patient in der Lage, quasi unter Ausschluss der Schwerkraft mit nur äußerst geringer Eigenaktivität und Restkraft den Arm im Arbeitsbereich des Exoskeletts frei zu bewegen. Diese extreme Stufe der Assist-as-needed-Funktion wirkt insbesondere auf Personen sehr motivierend, die zuvor überhaupt nicht in der Lage waren, ihren Arm aus eigener Kraft zu bewegen.
Insgesamt sprechen alle drei Modi das selbstbestimmte Handeln des Patienten an. Selbstbestimmung wirkt sich positiv auf den Erfolg der Rehabilitation aus, da der Betroffene bei jeder Übung das Gefühl hat, sich wieder eigenständig bewegen zu können.
Signale des Gehirns haben eine positive Wirkung, denn sie führen zu erfolgreichen Handlungen, die nicht nur funktionell, sondern auch zielführend sein können, etwa das Ausführen von Trinkbewegungen. Dies wiederum beeinflusst die plastische Umstrukturierung des Gehirns positiv. Dabei kann die Art der Übungen durch den Therapeuten vorgegeben werden, um Fehlhaltungen oder Fehlbewegungen zu vermeiden.
Intuitive Bedienung und bedarfsgerechte Unterstützung – in der Klinik und zu Hause
Um die Akzeptanz der innovativen Technologien sowohl beim Patienten als auch beim Therapeuten zu steigern, setzten die Forscher hinsichtlich der Benutzerschnittstellen und Bedienelemente auf intuitive Nutzerkonzepte, die dem “design for all”-Gedanken folgen. Dementsprechend lassen sich die Exoskelette ganz einfach über eine plattformunabhängige Web-Applikation steuern, etwa per Smartphone, Tablet oder Laptop. Dies versetzt Patienten in die Lage, auch selbstständig von zu Hause aus zu üben, etwa wenn die Bewegungsfähigkeit nach stationärer Behandlung noch nicht vollständig wiederhergestellt ist.
Zudem eignen sich die Systeme für telemedizinische Anwendungen: So könnte zunächst der Therapeut in das Exoskelett steigen und bestimmte Bewegungen ausführen, die das System dann mit dem Patienten wiederholt.
Die Funktionsfähigkeit und den großen Nutzen ihrer Exoskelett-Technologie bei der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten konnte das Bremer Forscherteam in Recupera Reha erfolgreich demonstrieren. Es zeigte sich, dass die Systeme zur Umsetzung klassischer Therapiemaßnahmen wie dem Trainieren von Alltagsanwendungen einsetzbar sind.
Für den tatsächlichen Einsatz im Alltag müssen die Exoskelette allerdings noch weiterentwickelt und getestet werden, um sie beispielsweise noch besser und schneller individuell an den Menschen anpassen zu können.