Mangelnde Lebensmittel-Sicherheit ist eine weltweite Gefahr. Laut WHO sterben jährlich über 400.000 Menschen durch den Verzehr verunreinigter oder verdorbener Lebensmittel. Global betrachtet erkrankt einer von zehn Menschen daran – das sind 750 Millionen Betroffene.
Kein Jahr vergeht, ohne dass es nicht zu besorgniserregenden Vorfällen in der Produktion und im Verkauf von Nahrungsmitteln kommt: Ob es um insektizid-belastete Eier geht, die im August 2017 in Europa in den Handel kamen, ob Gammelfleisch mit krebserregenden Stoffen gefunden wird, wie im März 2017 in Brasilien, oder – noch massiver – lebensbedrohliche Infektionen nach dem Verzehr von Lebensmitteln registriert werden, wie dies bei der EHEC-Katastrophe von 2011 der Fall war. Damals erkrankten fast 4.000 Menschen, über 50 starben. Lange rätselte man über die Infektionsquelle. Am Ende stand fest: Verseuchte Bockshornklee-Sprossen waren aus Ägypten nach Bienenbüttel gelangt – und von dort in den Salat deutscher Verbraucher.
Lebensmittel-Sicherheit ist ein hohes Gut, aber schwer beherrschbar, zumal auch die Nahrungsmittelproduktion weltweit vernetzt ist: Auf der deutschen Tiefkühlpizza landen Zutaten aus den USA, aus Uganda, Mexiko und China, wie Paul Trummer in seinem Buch „ Pizza Globale “ schon 2010 festgestellt hat.
Ein zentrales Problem für mehr Lebensmittel-Sicherheit sind jedoch die über Jahrzehnte nahezu unverändert ineffizienten und intransparent gemanagten Lieferketten. Blockchain-Lieferketten könnten helfen, solche Vorfälle massiv zu reduzieren. Denn sie sorgen – vereinfacht gesagt – für maximale Transparenz.
Warum ist das so? In traditionellen Supply Chains – nicht nur in der Lebensmittel-Industrie, sondern in nahezu allen Branchen – werden Informationen über Waren und Transaktionen oft noch auf Papier oder in Excel-Tabellen dokumentiert und per Email ausgetauscht. So entstehen an unterschiedlichen Punkten der Lieferkette potenziell unterschiedliche Versionen der Daten. Solche Fehler zu bemerken, erfordert hohe Wachsamkeit. Sie zu korrigieren, kostet Zeit und Geld.
Blockchain: Es gibt nur eine Wahrheit
Mit der Blockchain ändert sich das Spiel. Um das zu verstehen, zunächst ein paar Worte zur Funktionsweise: Blockchains sind spezielle Datenbanken, die Transaktionsdaten ohne eine zentrale Kontrollinstanz und vollkommen transparent verwalten können. Basis hierfür sind in der Blockchain hinterlegte Vertragskonditionen, sogenannte Built-in- oder Smart Contracts.
Tipp: So funktionieren Blockchains
Blockchains funktionieren damit ähnlich wie ein gemeinsames Kassenbuch (Shared Ledger) für alle Beteiligten in einer Lieferkette: Sobald zwischen einem Absender und einem Empfänger eine Datentransaktion stattfindet, wird in das Kassenbuch eine neue Position, ein „Block“ eingetragen. Dieser digitale Eintrag wird unmittelbar als Kopie auf den Computern aller Beteiligten verteilt. Sobald eine neue Position in eines dieser Kassenbücher eingetragen wird, erscheint sie in allen anderen Kassenbüchern ebenfalls. Die Computer, auf denen diese digitalen Kassenbücher gespeichert sind, authentifizieren sie. Erst danach ist die Transaktion gültig und – ganz entscheidend – nicht mehr veränderbar.
Wichtig dabei ist: Der Zugang zu Detailinformationen ist ebenfalls genau geregelt – das Stichwort lautet: „permissioned“. Jeder Partner hat also die Erlaubnis, nur auf bestimmte Informationen zuzugreifen – auf die, die er braucht. Daher gelten Transaktionen über eine Blockchain – im Vergleich zu heutigen Systemen – praktisch als fälschungssicher. So entsteht eine „single version of truth“, eine einheitliche Version dessen, was als korrekt betrachtet wird.
Überwachung bis ins letzte Glied
In der Lebensmittel-Industrie würde ein Netzwerk auf Blockchain-Basis zum Beispiel die Herkunft der Pommes Frites eines Schnellrestaurants transparent und nachvollziehbar machen: vom Kartoffelbauern über alle Stationen des Handels, der Logistik und der Pommes-Produktion bis zum Verkauf an die Restaurantkette und die Lieferung an die Filiale.
Wenn irgendwo in dieser Kette Lebensmittel aus welchen Gründen auch immer verunreinigt, mangelhaft gekühlt oder gepanscht wurden, lässt sich mit der Blockchain in Sekunden nachvollziehen, welche Produkte betroffen sind. Denn mit ihr wird digitales Tracking entlang jedes einzelnen Gliedes der Lieferkette praktikabel: Digitale Produktinformation wie Herkunftsbetrieb, Chargennummer, Verarbeitungsdaten, Ablaufdaten oder auch die Einhaltung der Kühlkette – sie alle sind in der Blockchain gespeichert. Damit kann eine Blockchain Transparenz und Vertrauen schaffen – und für mehr Lebensmittel-Sicherheit sorgen.
Branchenübergreifende Zusammenarbeit nötig
Die hohe Komplexität und Vielzahl der Parteien in einer Lebensmittel-Supply-Chain verlangt nach branchenübergreifender Zusammenarbeit. IBM hat ein Konsortium mit einigen der größten Player in der Lebensmittelindustrie gegründet. Dazu gehören Dole, Driscoll’s, Golden State Foods, Kroger, McCormick and Company, McLane Company, Nestlé, Tyson Foods, Unilever und Walmart. Gemeinsam untersuchen die Partner neue Einsatzfelder für Blockchain in ihren Lieferketten.
Erste Pilotprojekte, unter anderem mit Walmart in den USA und in China, zeigen, wie die Nachverfolgbarkeit von Lebensmitteln mit Hilfe der Blockchain gesichert werden kann.
Noch einmal zurück zum EHEC-Skandal von 2011: Die Suche nach der Quelle der Verunreinigung wäre mit der Blockchain schneller und einfacher gewesen. Die zuständigen Behörden werteten damals laut Bundesinstitut für Risikobewertung die verfügbaren Lieferlisten und Daten zu Vertriebswegen von Lebensmitteln zwar aus, das dauerte jedoch viel zu lang.
Mit einer durchgängigen Blockchain-Lieferkette wären Lieferlisten und Vertriebswege sehr viel schneller zu überprüfen gewesen. Wochen quälender Ungewissheit, massive wirtschaftliche Schäden für einzelne Betriebe, Erkrankungen und sogar Todesfälle hätten damit wohl verhindert werden können.