Erben und Vererben war noch nie ganz einfach, über die Verteilung des Erbes zerstreiten sich ganze Familien. Zudem ist das Erbrecht reichlich kompliziert. So will die nahezu 60-seitige Broschüre des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zu dem Thema auch nur „eine erste Hilfestellung und Orientierung“ geben. Der Blick in die online als PDF-Dokument verfügbaren Informationen und Erläuterungen zum Erbrecht lohnt sich auch deshalb, weil sie ganz aktuell den digitalen Nachlass einschließen. Und genau um diesen geht es in unserem Ratgeber, mit anderen Worten also darum, wie sich innerhalb der Familie auch im Online- und Digitalbereich für den möglichen Todesfall von Angehörigen vorsorgen lässt. Schließlich ist das Internet inzwischen auch für viele ältere Menschen eine ganz alltägliche Selbstverständlichkeit. E-Mail, soziale Netzwerke, Musik und E-Books, Onlineverträge, Internet-Shopping und Online-Banking sowie Bezahldienste wie Paypal sind nur einige Beispiele dafür.
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Bundesgerichtshof bejaht den Anspruch auf das digitale Erbe
Im Sommer dieses Jahres hat der Bundesgerichtshof ein Grundsatzurteil zum digitalen Nachlass gefällt und darin höchstrichterlich erstmals überhaupt einen prinzipiellen Anspruch der Hinterbliebenen auf den digitalen Nachlass manifestiert. Denn bis dahin war unklar, wem im Todesfall die Inhalte der digitalen Konten des Verstorbenen rechtlich „gehören“. Und damit ebenfalls, ob die Hinterbliebenen auch ohne vorhandene Passwörter vom Provider oder Dienstleister Zugriff auf die digitalen Inhalte verlangen können. Dieser Anspruch besteht, ein „Vertrag über ein Benutzerkonto … ist vererbbar“, stellten die obersten deutschen Zivilrichter in Karlsruhe fest (BGH III ZR 183/17).

Vor Gericht ging es in dem konkreten Fall um das Facebook-Konto einer unter bislang ungeklärten Umständen ums Leben gekommenen Jugendlichen, deren Mutter das soziale Netzwerk auf Zugang zum Konto ihrer Tochter verklagt hatte. Die Kernaussage des Urteils, nach der die Erben einen Anspruch darauf haben, dass ihnen Zugang zum Benutzerkonto der Erblasserin und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten gewährt werden muss, geht aber weit über Facebook hinaus und gilt für den gesamten digitalen Nachlass, wie die Begründung der Entscheidung darlegt: „Eine Differenzierung des Kontozugangs nach vermögenswerten und höchstpersönlichen Inhalten scheidet aus.“ Nach der gesetzgeberischen Wertung gehen auch Rechtspositionen mit höchstpersönlichen Inhalten auf die Erben über“. So würden auch analoge Dokumente wie Tagebücher und persönliche Briefe vererbt. Es bestehe aus erbrechtlicher Sicht kein Grund dafür, digitale Inhalte anders zu behandeln. Datenschutz und Fernmeldegeheimnis stünden dem digitalen Erbe ebenfalls nicht entgegen, wie der BGH ausführt .
Das alles zählt zum digitalen Nachlass
So wie im Todesfall physische Güter und viele Verträge eines Verstorbenen, sofern hier nicht ein Sonderkündigungsrecht besteht, vererbt werden, gilt das Gleiche auch für digitale Inhalte und Verträge. Zum digitalen Erbe zählt deshalb insbesondere:
- Jede Art elektronischer Kommunikation: E-Mail, soziale Netzwerke, Messaging-Dienste wie Whatsapp oder Skype.
- Weitere digitale „Güter“, das heißt also Filme, Musik und Bilder ebenso wie Lizenzen für Software, E-Books, Zeitungen und Zeitschriften sowie Musik. Der Erbanspruch gilt im Übrigen unabhängig davon, ob diese Inhalte physisch und offline auf einer Festplatte oder auf einem anderen Gerät gespeichert oder von einem Onlinedienst vorgehalten werden. Allerdings können die Erben abhängig von AGBs ebenfalls leer ausgehen.
- Profile und Inhalte bei sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram und so weiter
- Online-Banking, Geldanlage und Bezahldienste wie Paypal oder Amazon Payments
- Onlineverträge: Dazu zählen Online-Shopping, kostenlose und kostenpflichtige Cloudspeicher, Internet und Mobilfunk, Pay-TV, Versicherungen und vieles mehr. Davon ausgenommen sind nur sogenannte „höchstpersönliche“ Rechtsgeschäfte wie ein Ehe- oder Arbeitsvertrag, die mit dem Tod automatisch enden.
- Im Einzelfall kommen weitere Dinge wie eigene Blogs, Domains, Webshops und Ähnliches zum digitalen Nachlass hinzu.
Überblick und praktische Vorsorge für den digitalen Nachlass
Wie die Zusammenstellung im Kasten erläutert, umfasst der digitale Nachlass völlig unterschiedliche Inhalte, Güter und Rechte. Allein schon wegen dieser Vielfalt sollte man sich schon zu Lebzeiten Gedanken zu den digitalen Hinterlassenschaften machen. Das ist auch deshalb ratsam, weil sich die Erben ebenfalls um online geschlossene Verträge des Erblassers kümmern müssen. Denn abgesehen von „höchstpersönlichen“ Verträgen, bei denen keine Stellvertretung möglich oder zulässig ist, läuft der Rest erst mal weiter. Doch selbst wenn den Erben je nach Vertragsart und -partner nach einem Todesfall kein über die AGBs geregeltes Sonderkündigungsrecht zusteht, sollte das Unternehmen möglichst rasch kontaktiert werden. In vielen Fällen zeigen sich die Firmen dabei „kulant“ und entlassen die Erben aus dem laufenden Vertrag, zumeist nach Vorlage des Erbscheins. Ebenso kümmern sollten sich die Hinterbliebenen um bereits für die Zukunft gebuchte Reisen, bestellte, jedoch noch nicht bezahlte Waren und ähnliche Verpflichtungen. Lebt der Ehe-/Lebenspartner noch, sollten weiterlaufende Verträge auf ihn umgeschrieben werden. Der Tod eines nahen Angehörigen stellt die Erben gerade beim digitalen Nachlass auch vor viele praktische Probleme: Das beginnt bei einer regelmäßig aktualisierten Übersicht über alle Onlinekonten und -Verträge inklusive der zugehörigen Passwörter. Eine solche erleichtert und beschleunigt den Zugriff in den allermeisten Fällen ganz erheblich. Wie, wo und in welcher Form man diese Informationen hinterlegt und wem man sie zugänglich macht, hängt in erster Linie von der Familienkonstellation ab.

Möglich sind ein einfacher Ausdruck in einem „Notfallordner“ oder im Bankschließfach, das Abspeichern auf einem USB-Stick, das testamentarische Hinterlegen beim Notar oder das Hinterlegen bei einem „digitalen Nachlassverwalter“ (mehr dazu im Interview-Kasten unten auf dieser Seite). Der Überblick über alle Onlineaktivitäten und -Konten ist umso einfacher, je mehr Überflüssiges und nicht mehr Benötigtes man löscht – übrigens unabhängig vom eigenen Alter. Hilfestellungen dazu erläutert der Workshop am Schluss dieses Artikels.
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Drei Fragen an den Rechtsanwalt
Der auf IT- und Urheberrecht spezialisierte Anwalt Christian Solmecke beantwortet im Interview mit PC-WELT drei Fragen zum digitalen Nachlass.
PC-WELT: Ist das Facebook-Urteil des Bundesgerichtshofs auch auf andere Internetdienste übertragbar? Wenn ja, gibt es Ausnahmen?
Christian Solmecke: Dieses Urteil ist ein Grundsatzurteil, das auch alle anderen Internetdienste betrifft. Erben treten grundsätzlich uneingeschränkt in die Rechtsbeziehungen des Erblassers ein, somit auch in die zu allen möglichen Onlinedienstleistern.
Es wäre allerdings laut BGH zwar grundsätzlich möglich, dass ein Onlinedienst mit dem Erblasser Vereinbarungen über die Vererblichkeit eines Rechtsverhältnisses trifft. Die AGBs von Facebook über den Gedenkzustand sah der BGH aber als nicht wirksam an, weil sie eine unangemessene Benachteiligung der Nutzer darstellten. Weiterhin hat der BGH offengelassen, ob gewisse höchstpersönliche Rechtsgeschäfte beziehungsweise Verträge möglicherweise nicht vererbbar seien. Im Falle des Facebook-Accounts haben sie die Vererbbarkeit bejaht – es ist aber zumindest theoretisch denkbar, dass es andere Fälle geben könnte.
PC-WELT: Kann man einen „digitalen Nachlassverwalter“ auch jenseits eines Testaments über eine Vollmacht bestimmen und darin die Erbdetails regeln. Falls ja, welche Formvorschriften sind bei einer solchen Vollmacht zu beachten?
Solmecke: Man kann sowohl einen privaten als auch einen gewerblichen Nachlassverwalter einsetzen und ihm eine Vollmacht für die Löschung erteilen. Die Vollmacht muss schriftlich verfasst sein, mit einem Datum versehen und unterschrieben sein. Unabdingbar ist außerdem, dass sie „über den Tod hinaus“ gilt. Falls jedoch der digitale Nachlassverwalter nicht zugleich auch der Erbe ist, kann eine solche Vollmacht über den Tod hinaus aber jederzeit durch die Erben widerrufen werden. Dies kann man dadurch verhindern, dass man zu Lebzeiten die Erbeinsetzung mit der Auflage versieht beziehungsweise unter die Bedingung stellt, dass die Erben die Vollmacht nicht widerrufen. Alternativ beziehungsweise zusätzlich kann man auch den digitalen Nachlass direkt im Testament regeln. Darin kann man den digitalen Nachlass im Wege des Vermächtnisses direkt dem digitalen Nachlassverwalter zukommen lassen oder aber die sonstigen Erben von der Erbfolge bezogen auf den digitalen Nachlass ausnehmen. Das Testament muss man handschriftlich, mit Unterschrift und Datum versehen verfassen.
PC-WELT: Gesetzt den Fall, dass ein Computer, Gerät oder auch Daten des Erblassers gesperrt beziehungsweise verschlüsselt sind: Haben Erben gegenüber einem darauf spezialisierten Dienstleister einen Anspruch darauf, ihnen Zugang zu den Inhalten zu verschaffen?
Solmecke: Die Hinterbliebenen erhalten dann Zugriff zu den Onlinekonten, wenn der Erblasser nichts Anderweitiges geregelt hat. Darauf haben sie einen Anspruch gegenüber der jeweiligen Onlineplattform. Da der Erbe in den Nutzungsvertrag des Erblassers eintritt, ist es anschließend sein Konto. Sollte er kein Passwort dafür haben, kann er einen Dienstleister damit beauftragen, den Account für ihn zu „hacken“. Einen Anspruch darauf hat man aber nur, wenn man einen entsprechenden Vertrag mit diesem Unternehmen schließt.
Die rechtlichen Aspekte beim Erben und das Testament
Sofern kein Testament vorhanden ist, tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Damit erben nach dem deutschen Erbrecht grundsätzlich nur Verwandte, also Personen mit gemeinsamen Eltern, Großeltern und so weiter. Nicht verwandt in diesem Sinne sind Verschwägerte, also Schwiegermutter oder -sohn, Stiefvater oder -tochter sowie angeheiratete Tante oder Onkel. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind lediglich adoptierte Kinder und Ehegatten sowie diesen erbrechtlich gleichgestellte Partner in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Kompliziert wird die Verteilung schließlich noch durch die Erben verschiedener Ordnung. Die schon genannte Ministeriumsbroschüre erläutert auch diesen Aspekt anschaulich. Wer von diesem Grundsatz abweichen will, der muss dies in einem Testament festhalten. Darin können die Erben – abgesehen vom gesetzlichen Pflichtanteil – sogar enterbt werden. Per Testament lässt sich somit beispielsweise auch regeln, wer genau was erben soll. Möglich ist darüber hinaus ein sogenanntes Vermächtnis, bei dem im Prinzip nicht erbberechtigte Personen bedacht werden. All dies schließt nach dem BGH-Urteil den digitalen Nachlass ein, schließlich machen die Richter ja gerade keinen Unterschied zwischen analoger und elektronischer Hinterlassenschaft.

So kann im Testament oder in einer zwingend „über den Tod hinaus“ geltenden Vollmacht insbesondere auch detailliert festgehalten werden, wer welche der eigenen Daten und Konten erben soll und welche Daten/Konten gegebenenfalls zu löschen sind, damit die Inhalte niemand anderem in die Hände fallen. Das Gleiche gilt auch für die Endgeräte selbst, das heißt also für Rechner, Smartphones, Tablets und so weiter. Des Weiteren kann eine Vertrauensperson auch zum „digitalen Nachlassverwalter“ bestimmt werden, damit diese die festgelegten Wünsche umsetzt. Eine solche Vollmacht sollte jedoch bereits vorab im Besitz der Vertrauensperson sein, die eigenen Angehörigen wiederum sollten ebenfalls wissen, dass man seinen digitalen Nachlass auf diese Weise geregelt hat. Ein Testament ist also eine komplexe Angelegenheit, die Erläuterung der verschiedenen Formen, der strengen Formvorschriften und sinnvoller Inhalte würde aber den Rahmen dieses Artikels sprengen. Hier hilft eine juristische Beratung weiter.
Tod und Erbe sind wichtig, auch wenn das Thema unbeliebt ist
80 Prozent der Bundesbürger haben sich einer repräsentativen Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom zufolge noch überhaupt nicht mit ihrem digitalen Erbe beschäftigt. Immerhin gaben hierbei jeweils knapp zehn Prozent an, ihr digitales Erbe vollständig oder zumindest teilweise geregelt zu haben. Dies erinnert an die Vorgehensweise bei der Datensicherung, von deren Notwendigkeit die meisten PC-Anwender zwar ebenfalls überzeugt sind, es dann allerdings bei der Ausführung eben doch nicht so genau nehmen … Zugegeben, die Beschäftigung mit dem digitalen Erbe ist zu Lebzeiten nur wenig attraktiv, zudem kompliziert und damit ziemlich mühsam. Das beginnt bereits bei der Aufbereitung und Übersicht über all die vielen – und zumindest in der Zwischenzeit häufig nicht mehr verwendeten und somit überflüssigen – Online-Accounts. Wer hier wie im folgenden Kasten beschrieben aufräumt, schafft sich schon einmal eine Menge Ballast vom Hals.
Überflüssige Onlinekonten schon beizeiten löschen
Die meisten, auch jungen Internetnutzer dürften schon zu ihren Lebzeiten keinen wirklich vollständigen Überblick über sämtliche Onlinekonten haben. Ein neuer Account bei irgendeinem Shop oder Dienst ist ja schnell angelegt, anschließend aber wird er jahrelang nicht mehr benutzt und gerät somit fast zwangsläufig in Vergessenheit. Denn nur die wenigsten Anwender verwalten all ihre Konten wirklich konsequent, beispielsweise mit einem Password-Manager wie Lastpass . Umso mühsamer ist es dann allerdings im Todesfall für die Erben, sich einen Überblick über die digitalen Aktivitäten des oder der Verstorbenen zu verschaffen.

Doch nicht nur deshalb sollte man sich einen Überblick über die eigenen Onlinezugänge verschaffen und alles Überflüssige löschen. Sinnvoll ist das insbesondere auch aus Sicherheitsgründen, weil Hacker in den vergangenen Jahren bei Einbrüchen in Firmendatenbanken hunderte Millionen Kundendaten mitsamt Passwörtern erbeutet haben. Wer nicht wirklich konsequent stets neue Kennwörter verwendet, kann somit leicht Opfer von Identitätsdiebstahl oder betrügerischer Online-Einkäufe werden. Mit dem Identity Leak Checker des Hasso-Plattner-Instituts lässt sich durch Eingabe der Mailadresse(n) prüfen, ob beziehungsweise bei welchen Datenbankeinbrüchen man von möglichen Hacks betroffen ist. So einfach wie das Erstellen ist das Löschen eines Kontos aber fast nie, schließlich möchten die Firmen mit ihren Kunden ja weiter Geschäfte machen. Häufig existiert gar keine Option, den Account selbstständig zu entfernen – und falls doch, ist sie zudem gut versteckt. Zumeist bleibt deshalb nur, den Service, Support oder Kundendienst zu kontaktieren und ihm seinen Wunsch mitzuteilen. Wir haben das dutzendfach ausprobiert: Mal kommt gleich eine Chatantwort, mal kommt ein paar Tage später eine Antwort oder es passiert ohne weiteres Nachhaken gar nichts. Das systematische Aufräumen der eigenen Digitalzugänge ist also mühsam, pro Konto sollten Sie durchschnittlich rund zehn Minuten einplanen. Bei 50 Accounts summiert sich das auf rund acht Stunden, also einen vollen Arbeitstag.

Teilweise hilfreich sind dabei Webdienste wie Accountkiller oder Just Delete Me , die für hunderte populäre Onlinedienste im Detail beschreiben, wie – und wie einfach – sich dort das Kundenkonto löschen lässt. Allerdings sind beide Dienste international aufgestellt, sodass man dort viele deutsche Anbieter vergeblich sucht und doch nur per „Handarbeit“ vorankommt – also bitte nicht sofort aufgeben, wenn es irgendwo hakt!