Das Thema Blockchain ist derzeit in aller Munde – sowohl im Zusammenhang mit der populären Kryptowährung Bitcoin als auch, wenn es darum geht, bestehende Dienstleistungen und Monopole mit Technologie auf den Kopf zu stellen. Die Diskussion über die Blockchain ist heute noch vor allem eine technische: Sie kreist um digitale Währungen, Hashrate, Blocksize, Smart Contracts und deren Anwendungen in der Wirtschaft und vor allem im Finanzsektor.
Es gibt viele gute Artikel, die die Blockchain und ihre Funktionsweise erklären. Die Technologie an sich ist faszinierend, doch spannender finde ich, einen Dialog über die langfristigen Auswirkungen digitaler Technologien auf unser Leben und Zusammenleben zu entfachen. Wenn man die Anwendung digitaler Technologien weiterspinnt, dann können sie möglicherweise die gesamte Weltwirtschaft und somit unsere Gesellschaft innerhalb der nächsten Jahrzehnte radikal verändern.
Blockchain-Technologie alleine macht es theoretisch möglich, Banken, Regierungen und sonstige Mittelsmänner aus dem weltweiten Zahlungsverkehr und zahlreichen weiteren Vermittlungsfunktionen auszuschalten. Dies klingt fantastisch, doch Erfindungen, die das Unmögliche greifbar machen, sind oft der Beginn einer unglaublichen Welle weiterer Innovationen.
Die genaue Funktionsweise der Blockchain ist relativ schwer verständlich, doch glauben viele Menschen, dass sie unser Leben grundlegend verändern wird. Ob dies genau so eintrifft, steht in den Sternen. Doch wenn es eintrifft, dann ist die bestehende gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Ordnung nicht darauf vorbereitet.
Um diese – zugegebenermaßen spekulative – Diskussion zu führen, mache ich Dokumentarfilme über digitale Technologien und deren Auswirkungen auf unser Leben.
In meinem Film “Wir und die Blockchain” geht es darum, wie Blockchain-Technologie unser Leben und Zusammenleben verändern könnte – und der Film wirft mehr Fragen auf als er beantwortet.
Die Blockchain im Finanzsektor und darüber hinaus
Caitlin Long, Vorstandsvorsitzende der Software-Firma Symbiont in New York, sieht drastische Veränderungen am Horizont, vor allem in der Finanzindustrie. Ihrer Meinung nach wird die Blockchain zwar lange brauchen, um sich ins bestehende System zu integrieren. “Ich denke aber, dass innerhalb der nächsten zwanzig Jahre Software alle Finanzdienstleistungen ersetzen wird. Die Smart-Contracts-Technologie wird viele Abläufe automatisieren, die heute noch von großen Firmen mit vielen Angestellten ausgeführt werden.“

©Manuel Stagars
„Banken haben keine Angst vor anderen Banken, die ihnen den Rang ablaufen”, sagt Matthew Roszak, Gründer der Enterprise Software-Firma Bloq in Chicago. “Wovor sie wirklich Angst haben, ist die sogenannte bank of one (Bank jedes einzelnen), eine neue Generation von Transaktions-Netzwerken, die über Smartphones laufen, ganz dezentralisiert. Diese neuen Netzwerke funktionieren mit digitalen Währungen, die ohne traditionelle Banken und Regierungen auskommen. Das schafft viele neue Möglichkeiten für Firmen und Regierungen und auch für die Gesellschaft.“

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Aber gleichzeitig wirft die Blockchain auch viele Fragen auf. “Dabei ist die Technologie selber weniger wichtig als das, was Firmen mit ihr tun können”, so Jesse McWaters, Projektleiter für Finanzinnovationen und Blockchain beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in New York. Wenn er sich mit erfahrenen Managern im Finanzsektor unterhält, hört er aber oft: ‘Wir haben uns Bitcoin angesehen und uns von intelligenten Leuten erklären lassen, wie die Blockchain funktioniert. Doch ich verstehe noch nicht genau, was sie wirklich für unser Geschäft bedeutet.‘

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Es kommt nicht von ungefähr, dass die Blockchain-Technologie als erstes im Finanzwesen eingesetzt wird. Ein Großteil der Dienstleistungen von Banken besteht ja bereits aus Software, und die Blockchain-Technologie verspricht vor allem Kostensenkungen und Effizienzgewinne, um die Gewinnmargen der Banken zu erhalten.
Wenn diese Ersterfolge aber ausgeschöpft sind, wird es erst richtig interessant für die Kunden, weil dann neue Geschäftsmodelle entstehen. Man ist sich darüber einig, dass diese entstehen werden, doch wie sie genau aussehen, ist noch ungewiss. Wenn sie jedoch kommen, dann hat der Kunde die Wahl zwischen einer traditionellen Bank und einer neuen Art von dezentraler Finanzdienstleistung, mit der Banken kostenmäßig nicht mehr mithalten können. Beschäftigte im Finanzsektor werden dann völlig neue Fähigkeiten brauchen als sie eine traditionelle Banklehre vermitteln kann. Und dies ist erst der Anfang.

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Alex Tapscott, Co-Autor des Bestsellers Die Blockchain Revolution : “Die Blockchain betrifft jede Industrie, genau so wie das Internet oder die Dampfmaschine. Das ist einer dieser großen Technologiewechsel, den man gemeinsam und konzentriert angehen muss. Sonst verpasst man den Anschluss.“
Dezentrale Netzwerke, die wie eine Gemeinschaft arbeiten
Matthew Roszak beschreibt Blockchains als Netzwerke. Er sagt: „Netzwerke, die heute existieren, zum Beispiel Alibaba, Airbnb oder Uber, sind interessant, aber sie sind Monopole. Auf der Blockchain sind diese Netzwerke dezentral angelegt und arbeiten so eher wie eine Gemeinschaft. Heute dreht sich die Diskussion vor allem noch um die Technologie. Die Diskussion von morgen wird sich auseinandersetzen mit den Netzwerkeffekten, die aufgrund dieser neuen Strukturen entstehen.“

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„Spannend finde ich, dass das Ganze eine Bewegung von der Basis her ist, ausgehend vom Technologie-Sektor,“ sagt Christian Decker, Entwickler bei der Software-Firma Blockstream in Zürich. „Das ist ganz anders als wenn etablierte Firmen einfach ein neues Verkaufsargument suchen. Es ist tatsächlich eine Bewegung von uns Computerfreaks.“
Stellen wir uns einen Internet-Giganten wie Google vor, der kollektiv allen Nutzern von Google gehört. Diese Möglichkeit wirft viele Fragen auf, vor allem auch die der Rolle der Software-Firmen, die diese neuen Strukturen entwickeln und aufbauen. Wird da einfach ein alter Mittelsmann durch einen neuen ersetzt? Oder gelingt es tatsächlich, radikal neue Geschäftsmodelle zu erfinden, an denen jeder Kunde und Benutzer auf faire Art und Weise teilhaben und mitbestimmen kann?
Digitale Verträge und eine Art „Super-Demokratie“
Roger Wattenhofer, Professor für Computer Science an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich beschreibt die Blockchain-Technologie als „eine der bedeutendsten Errungenschaften der Wissenschaft in den letzten 100 Jahren.“

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Er sagt: „Es ist tatsächlich möglich, dass man digital Transaktionen und andere Informationen signiert und damit beweist, dass man diese überprüft und abgesegnet hat. Das ist viel sicherer als diese kurvigen Unterschriften, die wir heute tagtäglich verwenden. Diese Technologie wird die manuelle Unterschrift wohl bald ersetzen.“
Auch Rik Willard, Gründer der Beratungsfirma Agentic Group in New York, sieht in der Blockchain mehr als nur digitale Währungen: „Die Blockchain verändert grundlegend, wie wir das Internet nutzen können, um allen Menschen Zugang zur globalen Wirtschaft zu gewähren. Erstmals können wir uns wirklich gegenseitig vertrauen, ohne uns jemals persönlich getroffen zu haben. Das ist fundamental.“

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Wasserdichte digitale Verträge, die keine zentrale Stelle zur Beglaubigung mehr benötigen? Könnte das Anwälte, Grundbuchämter und Notare überflüssig machen und die damit verbundenen Kosten einsparen? Werden somit Wahlen und Abstimmungen in der Zukunft auf der Blockchain stattfinden, und wird man bald auf der Blockchain heiraten können?
All dies würde eine ganz neue Ära der Transparenz und Selbstbestimmung einläuten, vor allem in Ländern, die schwache oder keine demokratischen Regierungssysteme haben.
Theorie und Praxis sind auch hier noch voneinander entfernt. Die Frage ist wieder die Funktionsweise eines solchen Systems. Wie genau soll eine Art „Super-Demokratie“ aussehen, bei der jede und jeder Einzelne Verantwortung dafür übernimmt, damit sie auch funktioniert? Sind wir überhaupt bereit für dieses Maß an Selbstverantwortung?
Nischenphänomene mit großer Tragweite
Nach monatelangem Filmen und über zwanzig Gesprächen habe ich den Eindruck, dass digitale Technologien viel mehr ermöglichen als wir derzeit umzusetzen bereit sind.
Lars Thomsen, Zukunftsforscher und Gründer der Firma Future Matters in Zürich, beschreibt dies als „Spannung zwischen denjenigen Menschen, die den Fortschritt noch mehr beschleunigen möchten, und denen, die ihn lieber bremsen würden.“ Er sagt auch: „Diese Spannung könnte möglicherweise unsere Gesellschaft und unsere demokratischen Systeme auf eine Zerreissprobe stellen.“

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Diese Aussagen vermisse ich weitgehend, wenn von der digitalen Zukunft gesprochen wird. Doch diese Fragen werden früher oder später dringend, und Firmen und Politiker sollten sich ihrer bewusst sein.
Noch ist die Blockchain ein Nischenphänomen, zusammen mit weiteren Technologien der digitalen Zukunft wie Künstliche Intelligenz, Robotik, Internet der Dinge oder 3D-Druck. Zugleich ist die innere Wucht der Aussagen der Menschen, die sich intensiv mit diesen Technologien auseinandersetzen, bemerkenswert.
Wir alle sollten den Dialog über unsere digitale Zukunft und ihre möglichen und unmöglichen Auswirkungen jetzt führen und nicht erst, wenn wir von der Geschwindigkeit der Veränderungen überrascht werden. Vor allem sollten wir uns alle an diesem konstruktiven Dialog beteiligen und ihn nicht nur den Experten und Technikern überlassen.
Den 30-minütigen Film “Wir und die Blockchain” können Sie in voller Länge online ansehen und noch weitere Informationen rund um die Blockchain nachlesen.
Sie können den Film aber auch gleich hier ansehen:
Herzlichen Dank an alle Gesprächsteilnehmer im Film aus Amerika, Kanada, der Schweiz, England und Australien: David Birch, Perianne Boring, Christian Decker, Taylor Gerring, Marco Carlo Grossi, Caitlin Long, R. Jesse McWaters, Paul Meeusen, Dolfi Müller, Matthew Roszak, Guido Rudolphi, Jan Seffinga, Elizabeth Stark, Alex Tapscott, Lars Thomsen, Eric van der Kleij, Roger Wattenhofer, Rik Willard, Steve Wilson.
Herzlichen Dank an alle, die diesen Film ermöglicht haben.