Auch wenn der Begriff Augmented Reality oder „erweiterte Realität“ in der Tat furchtbar abstrakt wirkt, lassen Sie sich bitte nicht gleich vom Weiterlesen abhalten! Denn wir zeigen die neue Technik anhand nützlicher Anwendungen, die es in sich haben und die Sie mit dem Smartphone selbst ausprobieren können. Wir beginnen mit einem Alltagsbeispiel: Wie groß muss der Karton sein, um einen bestimmten Gegenstand zu verschicken? Nun können Sie natürlich das Objekt ausmessen und dann mit den Größen- und Portolimits von DHL, Hermes & Co. vergleichen. Oder Sie nehmen den Gegenstand und probieren Ihre vorhandenen Verpackungen durch. Viel eleganter aber ist es, einfach die Smartphone-Kamera auf das zu verschickende Gut zu halten und dann von einer App verschiedene Kartongrößen prüfen zu lassen. Dank Augmented Reality ermitteln Sie mit ein paar Fingertipps das richtige Maß, ohne dass Sie den Karton tatsächlich schon haben müssen.

Möglich macht dies die Deutsche Post mit ihrer iOS-App DHL Packset . Außerdem können Sie darin das Paket gleich online frankieren und somit ohne Anstellen in der Filiale in einer Packstation aufgeben. Ein Video zeigt, wie die App funktioniert. Als Besitzer eines iPhones können Sie das Ganze gleich einmal spaßeshalber ausprobieren. Zwar beschränkt sich die AR-App derzeit noch auf Apple-Geräte mit iOS, prinzipiell eignet sich das Anwendungsszenario aber genauso auch für Android-Smartphones und die Google-Plattform ARCore. Ganz ähnlich ermittelt per Smartphonekamera der Fotocheck in der App der Fluggesellschaft Easyjet , ob das eigene Handgepäck die maximale Größe überschreitet.
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Einrichtungs- und Einkaufshilfe mit fotorealistischer Darstellung
Praktisch ist auch der Ikea-Einrichtungshelfer: Ikea Place ( Android und iOS ) holt Einrichtungsgegenstände aus dem Sortiment des Möbelhauses in Ihre eigenen vier Wände, wo Sie diese frei platzieren können. So bekommen Sie einen realistischen Eindruck, wie der Sessel, die Couch, der Tisch, die Lampe oder sonst etwas zu Hause aussehen würde. Die virtuellen Möbel und Accessoires lassen sich im Raum verschieben und drehen. Zudem können Sie mehrere Artikel nacheinander positionieren: also einen Esstisch mit Stühlen oder eine komplette Regalwand im Wohnzimmer. Derzeit stehen rund 3000 Artikel der insgesamt 9500 Artikel des Ikea-Sortiments für die AR-Platzierung zur Verfügung.
Ikea Place: Die AR-App des Schweden-Möbelhauses in Aktion
Nach dem Starten von Ikea Place dauert es einige Augenblicke, bis in der App unten im Bildschirm drei Symbole erscheinen. Tippen Sie auf das mittlere („+“) und suchen Sie das Produkt Ihrer Wahl aus. Dazu tippen Sie über das Suchsymbol entweder den Produktnamen ein oder wählen über die drei Querstriche rechts oben zunächst eine Produktkategorie und dann den gewünschten Artikel. Bevor Sie ihn über die Funktion „Bei dir zu Hause ausprobieren“ jetzt virtuell platzieren, stellen Sie sich selbst so auf, dass Sie das Möbelstück an der angedachten Stelle gut beurteilen können – also idealerweise einige Meter entfernt. Halten Sie das Smartphone in Ihre Blickrichtung und neigen es dabei nicht zu weit nach unten, dann ist die maßstabgetreue 3D-Darstellung am besten. Jetzt tippen Sie auf die blaue Ausprobieren-Schaltfläche und warten die Platzierung ab. Mit einem Finger positionieren Sie den Artikel an die gewünschte Stelle, mit zwei Fingern drehen Sie ihn und mit einem Fingertipp schließen Sie den Vorgang ab.
Augmented Reality erlaubt den Blick aus mehreren Perspektiven
Nun können Sie sich sogar im Raum bewegen und alles aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Das Objekt bleibt dabei auf dem Gerätedisplay stets an der richtigen Stelle stehen – das ist Augmented Reality! Auch hier zeigt ein Video wieder das Prinzip, nur verlassen Sie sich bitte nicht wie im Werbeclip gezeigt auf passgenaue Darstellung – ob das Sofa wirklich in die Zimmernische passt, sollten Sie dann noch mit dem Maßband kontrollieren.

Auch Amazon bietet einen AR-Einrichtungshelfer, mit sich vor dem Kauf prüfen lässt, ob etwas zu Ihrer Einrichtung passt und wie es wirkt. Aktuell steht die Funktion für gut 7000 Produkte zur Verfügung . Sie lässt sich aus Amazons Shopping-App aufrufen, indem Sie bei einem unterstützten Artikel auf die Option „In der eigenen Wohnung betrachten“ tippen. Warten Sie wieder die Erkennung einer AR-geeigneten Fläche ab und platzieren das Teil anschließend dort. Sehr gut umgesetzt ist hier die perspektivische Darstellung: Wenn Sie einen Gegenstand virtuell ablegen und ihn anschließend mit dem Smartphone aus einer anderen Richtung betrachten, wirken die Sichtachsen so, als stünde er wirklich an Ort und Stelle. Andere Shops bieten die Platzierung per Augmented Reality ebenfalls, allerdings funktioniert sie dort nicht immer so gut.
Das richtige Smartphone für AR
Smartphone-Apps mit Funktionen, die sich auf Augmented Reality stützen, gibt es schon seit rund zehn Jahren. Beispiele sind die Apps Peak Finder , Peak AR und Peaklens , die im Gebirge die umliegenden Gipfel benennen, sobald man den Horizont mit der Smartphone-App und -Kamera ins Visier nimmt. Dank GPS und Kompass weiß das Telefon, von wo man in welche Richtung blickt. Damit ist es einfach, über eine Gipfeldatenbank und Landkarte die umliegenden Berge zu identifizieren. Praktisch jedes Smartphone kann das.
Weit höher sind die Hardware-Anforderungen bei den die neuen Plattformen ARKit von Apple (2017) und ARCore von Google (2018).
Neben einem starken Prozessor und einer genau kalibrierbaren Kamera erfordert ARKit mindestens iOS 11 (ARKit 2: iOS 12, ARCore mindestens Android 7.0). Google veröffentlicht im Internet eine Liste von Mobilgeräten mit ARCore-Unterstützung.
Alternativ prüfen Sie über die App ARCore aus dem Google-Playstore, ob Ihr Android-Gerät unterstützt wird. Apples aktuelles ARKit 2 läuft auf dem iPhone SE und 6 S aufwärts, auf den iPads der 5. und 6. Generation sowie allen iPad-Pro-Modellen.
„Real View“ ist auch in der Navi-App eine große Orientierungshilfe

Das ist vermutlich den meisten Autofahrern bereits passiert: Trotz Navigationsgerät oder -App mit Fahrspurassistent verfährt man sich an einer unübersichtlichen Kreuzung dann doch – manchmal beansprucht eben schon die Verkehrssituation die volle Aufmerksamkeit. Hilfreich wäre da eine Navi-Darstellung, welche die Abbiegehinweise in der tatsächlichen Umgebung zeigt. Genau das leistet Augmented Reality: Wenn man sein Smartphone mit AR-App an der Windschutzscheibe nach vorne ausrichtet, zeigt das Display über die Kamera nicht nur den Blick durch Windschutzscheibe, sondern blendet zugleich die Abbiegepfeile exakt dort ins Straßenbild ein, wo man abbiegen muss. Google hat das Prinzip zwar schon vor einem Jahr für die Fußgängernavigation gezeigt , es bisher jedoch nur für einzelne Nutzer in der Maps-App freigeschaltet. Realität ist bereits „Real View Navigation“ in der App „ Sygic – GPS, Navigation & Maps “ (für Android und iOS). Die App selbst ist zunächst gratis, zahlen aber muss jedoch für die Offline-Karten. Bei unserer Recherche kostete das Europapaket knapp zwölf Euro, mit Verkehrsinfos in Echtzeit knapp 17 Euro. Für „Real View“ fielen per In-App-Kauf weitere vier Euro an. Regulär liegen die Preise höher, doch Sygic offeriert regelmäßig günstige Angebote – warten Sie also einfach ein paar Wochen ab. Auch hier zeigt ein kurzes Video die Funktionsweise von Real View. Tipp: Anders als die bisher aufgeführten AR-Anwendungen läuft die Kameranavigation auf jedem normalen Smartphone.

Nützlich sind Orientierungshilfen auch drinnen: im Flughafen zum richtigen Gate, im Einkaufszentrum zum gesuchten Shop, im Museum zur gewünschten Ausstellung oder im Baumarkt zu einem ganz bestimmten Produkt. Einfacher als viele Schilder ist auch hier das AR-gestützte Geleitet-werden, wie es der Airport London Gatwick bereits bietet.
Tipp: Googles AR-Sticker auf anderen Smartphones nutzen
Länge und Höhe messen – und viele weitere AR-Anwendungen

Eine weitere AR-App für den Alltagseinsatz stellt Measure dar. Die Google-App nutzt das Smartphone zum Ausmessen und ersetzt damit Lineal oder Maßband. So geht’s : Nach dem Starten von Measure und dem Fokussieren der Kamera schwenken Sie das Telefon etwas, bis im Bildschirm das virtuelle Punkteraster und darunter am Displayrand die Funktionen „Distance“ und „Elevation“ erscheinen. Ziehen Sie das „Distance“-Symbol mit dem gedrückten Finger in das Kamerabild, und lassen Sie dann den Finger los. Anschließend positionieren Sie die beiden Enden der Messleiste auf das Messobjekt. Erfahrungsgemäß muss man etwas nachjustieren, bis beides übereinstimmt. Measure zeigt nun die Länge in Zentimetern. Wenn Sie bei einem rechteckigen Objekt die Messung in 90-Grad-Richtung wiederholen, haben Sie auch die Fläche. Mit der Funktion „Elevation“ messen Sie analog die vertikale Höhe, also zum Beispiel die Höhe eines Schranks oder Tischs. Auch hierzu gibt es ein How-to-Video . Einige weitere AR-Apps und -Spiele fürs Smartphone wären das Outdoorspiel Pokémon Go , Google Lens mit Objekterkennung, Google Translate mit Kameraübersetzung, Wikitude-Reiseführer oder Yelp mit Informationen zur Umgebung und Parkometer AR zum leichteren Wiederfinden des Parkplatzes. Werfen Sie im Google-Playstore einfach mal einen Blick auf unsere Auswahl . Fazit: Augmented Reality bietet erstaunliche Möglichkeiten, stellt aber auch hohe Anforderungen an die Telefon-Hardware. Das erkennen Sie nicht nur an der vergleichsweise kleinen Zahl von Smartphones mit ARCore- oder ARKit-Unterstützung, sondern auch daran, dass die Apps den Akku schnell leer saugen und das Gerät merklich erwärmen.
Fernhilfe mit Augmented Reality
Die aktuelle Version der Fernhilfesoftware Teamviewer unterstützt erstmals auch Augmented Reality am Smartphone. So wie man schon lange von einem Rechner aus jemanden am anderen PC über die Mauszeigerdarstellung auf bestimmte Einstellungen hinweisen kann, so geht das über Pfeile im Kamerabild der Mobil-App Teamviewer Pilot. Wie unser eigener Test gezeigt hat, funktioniert die AR-Unterstützung gut für Hinweise beim Reparieren, beim Einstellen und bei vielem mehr. Derzeit ist das Pilot-Abonnement allerdings nur auf Jahresbasis zum Preis von knapp 300 Euro erhältlich, kürzere Laufzeiten gibt es (noch) nicht.