Reue ist Verstand, der zu spät kommt. Will man den Entwicklungsprozess von Rise of the Tomb Raider beschreiben, so drängt sich diese alte Redensart geradezu auf. Nachdem sich Spielepublisher Square Enix Ende 2014 auf einen Exklusiv-Deal mit Microsoft einließ, um das Spiel ausschließlich auf der Konsole Xbox One zu veröffentlichen, folgte ab dem 10. November 2015 dann die Katastrophe: Nur 60.000 Einheiten von Rise of the Tomb Raider gingen innerhalb der ersten Woche laut den UK-Charts über die Ladentheke. Zum Vergleich: Der Vorgänger erreichte in derselben Zeit etwa das Dreifache.
Eine traurige Zahl bei dutzenden Millionen Dollar an Entwicklungskosten, an der sowohl die schleppenden Verkäufen der Xbox One als auch ein unglücklich gewählter Release-Termin schuld sein dürften. Denn neben Rise of the Tomb Raider kam auch Rollenspielgigant Fallout 4 am gleichen Tag auf den Markt, der mit 480.000 Verkäufen das Budget vieler Geldbeutel längst reserviert hatte. Schade eigentlich, schließlich gilt die Xbox-Version von Rise of the Tomb Raider laut User-Meinungen eindeutig als das bessere Spiel – wenn man es denn gekauft hat. Doch neuer Versuch, neues Glück: Seit dem 28. Januar steht nach Ablauf der Xbox-Exklusivität nun auch die PC-Version von Rise of the Tomb Raider in den Läden, die im erneuten Anlauf alles richten soll. Wir haben uns das Spiel angesehen und verraten, ob Hobbyakrobatin, Teilzeitrevolverheldin und notorischer Tempelschreck Lara Croft auf dem PC das Zeug zur zweiten Luft hat.
Der Vorgänger ist mittlerweile zum Budget-Preis zu haben: Test von Tomb Raider aus 2013
Japan ade, hallo Sibirien!

Wie schon in den letzten zehn Spielen der Reihe schlüpft man auch im neuesten Tomb-Raider wieder in die Haut von Spiele-Urgestein Lara Croft, einer taffen britischen Archäologin auf der Jagd nach den letzten versteckten Schätzen der Erde. Deren Geschichte wurde im letzten Teil kräftig umgekrempelt: So hat man es nun zunächst wieder mit einer jungen, noch unerfahrenen Lara zu tun, sodass auch neue Spieler problemlos ohne Vorwissen ins Spiel einsteigen können. Während Lara im letzten Teil auf einer mythologischen japanischen Insel ihre erste Feuerprobe durchlaufen hat, führt es sie diesmal in die eisigen Weiten Sibiriens, auf der Suche nach der Unsterblichkeit und der verschollenen Stadt Kitezh. Wie es sich für ein gutes Abenteuer gehört ist sie bei diesem Vorhaben natürlich nicht allein und trifft schon bald auf die mysteriöse Organisation Trinity, die ein ebenso großes Interesse an Kitezh zeigt und ihr bei jeder Gelegenheit das Leben schwer macht.

Wer Tomb Raider kennt, weiß, dass all das typische Standardzutaten für die Reihe sind. Ein geheimes Artefakt, exotische Locations und eine Armee von Gegnern. Nichtsdestotrotz macht die alte Formel dank fantastischer Inszenierung und atemberaubenden Kulissen auch hier wieder enorm Spaß. Kaum hat man das Spiel gestartet, wird man mit Haut und Haaren in das Geschehen gezogen, durchquert schneebedeckte Berge, balanciert über tiefen Abgründen und erkundet vergessene Gräber. Wer schon Indiana Jones mochte, findet mit Lara Croft bis heute seine Ersatzdroge. Mit dem kleinen Unterschied: Hier wird nicht Harrison Ford gefordert, sondern der Spieler.
Hüpfen & Knobeln nach altem Vorbild

Wer das tückische Gelände aus Gletschern und alten Ruinen durchqueren will, tut das, wofür die Serie am besten bekannt ist: Man springt über Schluchten, hängt von Ästen und erklimmt steile Wände. Wenn Lara eines schon immer gut konnte, dann wohl das Klettern. Das ist auch in Rise of the Tomb Raider nicht anders. Die Umgebung ist größtenteils wie ein (lebensgefährlicher) Kletterparcours angelegt, in dem sich Lara und der Spieler nach Herzenslust austoben können. Die Kombination aus waghalsigen Manövern, versteckten Fallen, Schwimmeinlagen und cleverem Leveldesign macht dabei große Laune und bildet den Kern des Gameplays.
Neu hinzugekommen zum Repertoire des Vorgängers ist dabei etwa die Möglichkeit, im Sprung einen Enterhaken zu werfen, um sich durch die Lüfte zu schwingen. Leider wurde der relativ niedrige Schwierigkeitsgrad aus dem Vorgänger dabei beibehalten. Über einen Baumstamm zu balancieren, der in 200 Metern Höhe als Brücke dient, sieht beeindruckend aus, wirklich herunterfallen können wir dabei aber nicht. Überhaupt greift Lara sehr großzügig nach Ankerpunkten und verzeiht auch teils arg ungenaue Sprünge. Kein Vergleich zur Millimeterarbeit aus dem 90er Jahren.

Auf ihrer Reise trifft Lara auch immer wieder auf kleinere Hindernisse, die sich mit den Geschicklichkeitsübungen abwechseln und etwas Gehirnschmalz erfordern. So blockiert manchmal ein Holzstapel den Weg, den es mit verfügbaren Mitteln zu beseitigen gilt. Etwas komplizierter wird es, wenn man an anderer Stelle den Wasserspiegel einer Kammer anheben muss, um an hoch gelegene Schätze zu kommen. Wer nicht mehr weiter weiß, kann sich jederzeit mit dem aus dem Vorgänger bekannten Überlebensinstinkt behelfen. Der ist nach wie vor auf Tastendruck verfügbar und hebt wichtige Objekte und Mechanismen in greller Farbe hervor. Nicht selten kommentiert Lara dabei sogar verbal, was zu tun ist, sodass man sogar bei anspruchsvolleren Knobeleinlagen selten graue Haare bekommt. Im Schnitt fallen die neuen Rätsel trotzdem etwas kniffliger und größer als im Vorgänger aus, was Fans der alten Teile freuen dürfte. Wer es sich nicht zu leicht machen will, kann zudem völlig auf den Überlebensinstinkt verzichten und sein Glück auf traditionelle Art versuchen.
Schlagabtausch – Brachial oder subtil

Neben all der Kletterei und Knobelei bekommt es Lara vor allem noch mit einem zu tun: reichlich schwer-bewaffnete Söldnern, die ihr an den Kragen wollen. Im Kampf weiß sich Lara aber glücklicherweise mit einem ständig wachsenden Arsenal an Waffen zu behelfen, das von einem Eispickel über einen Bogen bis hin zu Pistolen, Schrotflinten und Gewehren alles bereithält. Trotzdem sollte man sich im offenen Kampf nicht mit Rambo verwechseln, denn Lara hält auch im besten Fall nur wenige Treffer aus. Wer schlau vorgeht, versteckt sich hinter Deckung, setzt explosive Fässer strategisch ein oder zieht mit einem Seil den Gegnern den Holzboden unter den Füßen weg. Auch Schleichen bietet sich nun häufiger als Alternative an: Wer sich in Büschen oder auf Bäumen versteckt, kann Feinde klammheimlich ausschalten, Ablenkungen schaffen und so ganze Areale unbemerkt durchqueren, ohne in einen Kampf verwickelt zu werden.
Ebenfalls erfreulich: Die erfahrenere Lara ist auf ihrer Reise nun deutlich weniger zimperlich und jammert weniger. Schluss mit absurd wirkenden Zwischensequenzen, bei denen Lara den Tod einzelner Feinde lamentiert, nachdem sie vorher Scharen im Vorbeigehen ausgeknipst hat. In dem einem Jahr, das seit den Ereignissen auf Yamatai vergangen ist, hat Lara ein dankbares Maß an Reife dazugewonnen – sicherlich zur Erleichterung vieler genervter Spieler.
Was einen nicht umbringt…

Ebenfalls wieder mit von der Partie ist das Talentsystem des Vorgängers. Beim Besiegen jedes Feindes und finden jedes Schatzes sammelt Lara Erfahrung, die an Lagerfeuercamps in Skillpunkte umgewandelt werden kann. Die reichen von zusätzlichen Kampffertigkeiten über erhöhte Gesundheit bis hin zu einer Chance, verschossene Pfeile wieder aufsammeln zu können. Eng damit verwoben ist auch das Crafting, also das Bauen und Verbessern von Gegenständen, das noch einmal kräftig ausgebaut wurde. Wer unterwegs fleißig Holz von Bäumen, Häute von Tieren und giftige Pilze sammelt, verbessert seinen Bogen beispielsweise mit einem stärkeren Wurfarm, bringt einen praktischen Ledergriff an und stattet sich mit Giftwolkenpfeilen aus, die ganze Gegnergruppen auf einmal ausschalten können. Wer sich dann noch einen größeren Köcher baut, hat beim nächsten Kampf gleich deutlich leichteres Spiel.

Ein Spiel für Jäger und Sammler also? Nicht unbedingt, denn in der Praxis fällt einem das Crafting im Grunde in den Schoß. Viele der Zutaten finden sich direkt am Wegesrand und auch mit mittelmäßiger Ausrüstung kommt man mit etwas Geschick gut durch das Spiel. Übrigens: Das hat auch mit der Anzahl der Kämpfe zu tun, die im Vergleich zum etwas explosiven Vorgänger reduziert wurden. Denn diesmal steht der Fokus – ganz dem Titel nach – wieder mehr auf dem Erkunden.
Versteckte Gräber und weitere Nebenbeschäftigungen
Am stärksten wird die neue alte Mentalität wohl vor allem in den sogenannten „Herausforderungsgräbern“ deutlich. Abseits der Hauptwege finden sich immer wieder versteckte Tempel, die zu einem besonders kniffligen Rätselabschnitt einladen. Von Logik zu Akrobatik bis hin zu Timing wird hier alles gefordert, um am Ende zu einem wohlverdienten Schatz zu gelangen. Die Gräber gehören dabei zum spannendsten, was das Spiel zu bieten hat und sorgen auch für eine willkommene Abwechslung zum sonst eher vorwärts-treibenden Hauptspiel.

Wer will, kann sich auch noch mit den zahlreichen optionalen Nebenmissionen und dem Sammeln von Collectibles beschäftigen. Bei ersterem gilt es eine überschaubare Aufgabe innerhalb eines Gebietes für einen Auftraggeber zu erfüllen und dafür nützliche Waffenupgrades einzuheimsen. Mit letzterem hat man dagegen einiges mehr zu tun. In jedem Gebiet des Spiels hat man Gelegenheit, versteckte Relikte, Dokumente, Kisten und Wandmosaike zu finden, die nicht nur hübsch aussehen und Informationen zur Hintergrundgeschichte liefern, sondern Lara nach und nach Sprachen wie Griechisch oder Russisch beibringen. Als frisch gebackene Linguistikexpertin kann sie dann wiederum kryptische Monolithen entschlüsseln, die zu noch größeren Schätzen führen.

Um wirklich alles zu sammeln und zu finden, braucht man nicht nur ein waches Auge, sondern auch eine Menge Geduld. Denn statt der ca. zwölf Stunden, die man für die Haupthandlung benötigt, kommt man mit allen Extras, die Rise of the Tomb Raider zu bieten hat, schon einmal auf über 30.
Herausragende Technik und deutsche Synchronisation
Wer es auf den Screenshots nicht schon erkannt hat: Rise of the Tomb Raider präsentiert sich als wahre Augenweide. Die Landschaften beeindrucken mit tollen Licht- und Wettereffekten, durchwegs scharfen Texturen und sogar Schnee, der sich beim Gehen verformt. Insgesamt schafft es der Entwickler Crystal Dynamics stets eine atmosphärische Stimmung zu zaubern, die selbst in der Eiswüste sibirischer Landschaften immer wieder beeindruckt.

Das liegt nicht zuletzt auch Lara selbst. Beim Laufen schwingt und klappert die Kletterausrüstung und auch die Haare wippen dank PureHair-Technologie realistisch mit. Die Animationen beim Rennen, Springen, Abrollen und Klettern gehen derart butterweich ineinander über, dass man sich teilweise selbst dabei ertappt, wie man wie ein Gummiball durch die Levels hüpft – einfach, weil es Spaß macht, Lara dabei zuzusehen. Und selbst wenn nichts passiert, passiert doch etwas – etwa wenn Lara knietief im Schnee mit den Zähnen klappert. Oder sich das Wasser aus den Haaren wringt, nachdem sie wieder ins Trockene gelangt. Es sind Details wie diese, die das Spiel ununterbrochen lebendig wirken lassen und großartig zu einer kinoreifen Atmosphäre beitragen.
Auch die deutsche Vertonung ist gelungen. Im Vergleich zum letzten Teil spricht nun nicht mehr Nora Tschirner die deutsche Lara Croft, sondern Maria Koschny, die schon als Stimme von Jennifer Lawrence bekannt ist. Lediglich die Lippensynchronität ist dabei oft etwas ungenau. Das fällt gerade in den Zwischensequenzen auf und kann den Gesamteindruck des sonst atmosphärischen Spiels etwas stören.

Dazu kommen einige wenige Bugs, die in unserem Fall eher kosmetischer Natur waren und das Spielerlebnis nicht weiter gestört haben. So saßen wir einmal auf einem unsichtbaren Ast in der Luft, von dem aus wir mit einer unsichtbaren Waffe angegriffen haben. Der Gegner war sichtlich überrascht. An anderer Stelle hing plötzlich der Eispickel am Lauf unserer Pistole und versuchte sich als überdimensioniertes Bajonett. Diese Waffenmodifikation gab es auf legitimen Weg dann aber doch nicht. Komplettabstürze hatten wir dafür überhaupt keine.

Zusätzliche Infos zur PC-Version
Neu hinzugekommen zur PC-Version sind unter anderem HBAO+ (Umgebungsschatten), Anisotropic Filtering (schärfere Texturen), mehr geometrische Details, schönerer Schattenwurf, erweiterte Tesselation (mehr Terraindetails) und verbesserte Dynamic Foliage (Pflanzen reagieren besser auf Laras Bewegungen). Zudem gibt es höhere Qualitätsoptionen für viele bereits existierende Features.

Das alles bezahlen PC-Spieler aber auch mit einem Preis: Die Hardware-Voraussetzungen fallen teils recht anspruchsvoll aus. Allein 6 GB Arbeitsspeicher wird empfohlen, was wir nach unseren Tests auch für eine durchaus wichtige Empfehlung halten. Bei der Grafikkarte geht es geruhsamer zu: So sollte mindestens eine Geforce 650 im Rechner stecken, also eine über drei Jahre alte Karte. Wer aber die volle Texturauflösung ruckelfrei genießen will, kommt um einen Videospeicher von mindestens 8 GB kaum herum. Mehrkern-CPUs werden in jedem Fall ausgezeichnet unterstützt und gleichmäßig ausgelastet. Eine Installation auf einer SSD ist empfohlen, wenn auch nicht unbedingt nötig. Die Ladezeiten nehmen sich zwar ihre Zeit, jedoch begegnet man nach dem Spielstart kaum noch einem Ladebildschirm, sodass das nicht weiter stört. Schlimmer sind da schon nervige Nachladeruckler, die beim Gebietswechsel auftreten können.
Tipp: Game-Ready-Driver für Geforce-Grafikkarten
Nvidia hat zum Release einen optimierten Grafikkarten-Treiber für Rise of the Tomb Raider veröffentlicht, der dabei hilft, die gröbsten Kinderkrankheiten beim Rendern auszutreiben. Wer mit der bestmöglichen Performance spielen möchte, sollte seine Treiber also unbedingt aktualisieren.
In den Einstellungen macht die PC-Variante dafür eine gute Figur. Hier finden sich über ein Dutzend justierbare Grafikoptionen, die nicht nur optisch, sondern auch in Sachen Leistung einen deutlichen Unterschied machen. Unerwartete Einbrüche hatten wir dabei nur selten, jedoch schwankt die Framerate je nach Komplexität der gerenderten Umgebung schon einmal um +/- 10 FPS. Unser Tipp: Selbst mit einem schwachen PC sollte man versuchen, zumindest auf der Einstellung „Niedrig“ zu spielen. Die eingeschalteten Schatten und Umgebungsverdeckung machen visuell einen gehörigen Unterschied.





Ärgerlich ist hier sicherlich das Fehlen von ausreichend Kantenglättungsoptionen. So hat man im Spiel nur die Wahl zwischen FXAA und SSAA. Sprich, entweder verwaschen oder enorm hardwarehungrig. Ein gesunder Mittelweg wie etwa SMAA wäre hier sicherlich willkommen gewesen. In Sachen Steuerung gibt es dagegen wenig zu mäkeln. Das Bewegen mit Tastatur und Maus funktioniert gut und fühlt sich präzise an. Alle relevanten Tasten sind frei belegbar und auch Controller werden automatisch erkannt. Ab hier ist es nun Geschmackssache, was man lieber mag: Die feinere Bewegungssteuerung eines Controllers oder die feinere Zielsteuerung einer Maus. Das Spiel steht bei der Entscheidung so oder so aber nicht im Weg.
Die besten PC-Spiele aller Zeiten
Fazit: Grandioser Gletscherspaß fernab des Alltags
Seit 20 Jahren ist Tomb Raider nun ein fester Teil der Spielewelt. Und wenn die Mühe und Qualität von Rise of the Tomb Raider ein Indiz für den Stand der Serie ist, kann es gerne noch einmal 20 Jahre weitergehen. Mit der neuen Lara Croft erlebt man wie schon im Vorgänger von 2013 ein actiongeladenes Abenteuer inmitten alter Ruinen, vergessener Völker und spannender Mythologie. Anders als im Vorgänger gibt es diesmal auch komplexe Gräber zum Erkunden, interessante Rätsel zu lösen und eine erwachsene Heldin, die Herausforderungen nicht nur findet, sondern sie entschlossen aufsucht. Rise of the Tomb Raider vereint die Stärken aus den Vorgängern und vermeidet dabei fast alle Tücken – und das nun auch noch mit besserer Grafik auf dem PC. Um Indiana Jones zu dem Thema zu zitieren: „Es gehört in ein Museum!“



























