Stellen Sie sich vor, Sie wachen eines Tages im Krankenhaus auf und können weder Arme noch Beine bewegen. Und so sehr Sie sich anstrengen – Sie bringen kein Wort heraus. Sie können der Ärztin, die Sie visitiert, nicht mitteilen, ob Sie Schmerzen haben oder ob Sie mit der weiteren Therapie einverstanden sind. Die Schwester kann nur raten, ob Ihnen kalt oder warm ist, und Sie können sie nicht bitten, die Vorhänge zuzuziehen, weil die Mittagssonne blendet. Sie können nicht mit Ihren Besuchern sprechen und können sich nicht einmal wünschen, dass sie das Radio einschalten, wenn sie gehen, um Ihnen die Langeweile zu vertreiben.
Bis vor wenigen Jahren gab es für Menschen mit einem solchen Krankheitsbild – ob verursacht durch eine Querschnittlähmung im Halsbereich oder weit fortgeschrittene Erkrankungen wie ALS – kaum Hoffnung, jemals wieder mit ihrer Umwelt kommunizieren oder sich selbstbestimmt fortbewegen zu können. Bei völlig erhaltenem Bewusstsein fehlt diesen Patienten die Möglichkeit, Befehle über die lädierten Nervenbahnen an die Körpermuskulatur weiterzugeben. Noch der Schauspieler Christopher Reeve, der nach einem Bruch des ersten und zweiten Halswirbels bei einem Reitunfall vom Hals abwärts gelähmt war, musste seinen Rollstuhl durch Pusten in einen Strohhalm steuern.
Mittlerweile gibt es weitaus elegantere Methoden, um die häufig unversehrte Gehirnaktivität in Kommunikation und Fortbewegung umzusetzen: Sogenannte Brain-Computer-Interfaces (BCI) haben Sensoren, die die elektrische Aktivität im Gehirn messen, und steuern anhand der so gewonnenen Information beispielsweise den Cursor eines Computers, elektrische Prothesen oder Rollstühle.
EEG: Hirnaktivität aufzeichnen
Um die elektrische Aktivität im Gehirn einer Person zu messen, kann man nun entweder den Schädel öffnen und Messelektroden implantieren – oder man leitet die Potenziale auf weniger blutige Weise von außerhalb des Schädels ab. Hierzu werden Elektroden auf der Kopfhaut angebracht, die je nach Ort und je nach Bewusstseinszustand des Probanden unterschiedliche Potenzialschwankungen aufzeichnen, als sogenanntes Elektroenzephalogramm (EEG). Die Potenzialschwankungen, die von einer einzelnen EEG-Elektrode gemessen werden, sind die Summe der Potenziale vieler einzelner Nervenzellen in der Nähe dieser Elektrode.
Das auf der Kopfhaut abgeleitete EEG liefert also ein wesentlich ungenaueres Bild der elektrischen Aktivität im Gehirn, als es Elektroden direkt auf der Oberfläche der Hirnrinde liefern würden. Zudem gibt es charakteristische Muster der Aktivität: Wenn eine Person wach ist, aber die Augen geschlossen hat, zeigt das EEG Wellen relativ niedriger Frequenz, die sogenannten Alpha-Wellen; bei gespannter Aufmerksamkeit zeigen sich etwa höherfrequente Gamma-Wellen.

Neben den mehr oder weniger regelmäßigen Potenzialschwankungen, die man beispielsweise als Alpha- oder Gamma-Wellen im EEG sehen kann, können bestimmte Reize oder Denkvorgänge auch kürzere Potenzialschwankungen im Gehirn auslösen. Im EEG sehen sie aus wie eine einzelne Welle oder ein kurzer Wellenkomplex. Eine dieser Potenzialschwankungen wird als P300 bezeichnet und entsteht, wenn eine Person eine Entscheidung trifft oder einen äußeren Reiz in eine Kategorie einordnet.
Wie ist es nun möglich, anhand dieser Muster der Gehirnaktivität mit einem Computer und somit mit der Außenwelt zu kommunizieren?
Buchstabieren in Gedanken: P300-Speller
Ein schon länger etabliertes Verfahren zur Kommunikation mittels BCI sind sogenannte P300-Speller, die das Buchstabieren von Wörtern ermöglichen. Bei einem solchen Aufbau wird der Person auf einem Bildschirm das gesamte Alphabet gleichzeitig angezeigt (1. Zeile: „A B C D E F“, 2. Zeile „G H I J K L“ und so weiter). In schneller Abfolge wird nun jeweils eine einzelne Zeile oder Spalte dieser Anzeige in hellerer Schrift hervorgehoben. Gleichzeitig wird bei der Versuchsperson ein EEG aufgezeichnet.
Wenn die Person nun beispielsweise „HALLO WELT“ buchstabieren möchte, konzentriert sie sich zunächst auf den Buchstaben „H“ auf dem Bildschirm vor ihr. Im Wechsel werden verschiedene Spalten und Zeilen hervorgehoben. Wenn der Buchstabe „H“ in einer dieser Zeilen oder Spalten vorkommt, dann wird die Aufmerksamkeit der Versuchsperson geweckt und ein P300-Potenzial ausgelöst.
Ein einzelnes dieser Potenziale geht mit großer Wahrscheinlichkeit im Grundrhythmus des EEG unter, aber da Zeilen und Spalten in schneller Abfolge hervorgehoben werden und bei jedem Buchstaben somit mehrere dieser Reize ausgelöst werden, können die P300-Potenziale aufsummiert werden und zeigen schließlich deutlich an, auf welchen Buchstaben sich die Versuchsperson konzentriert hat.
Nach mehreren Sekunden Aufmerksamkeit kann der Proband sich dann auf den nächsten Buchstaben (hier ein „A“) konzentrieren. Das Youtube-Video illustriert anschaulich und Schritt für Schritt, wie das Buchstabieren mit einem BCI mit Hilfe des P300-Potenzials funktioniert:
Für Bastler: EEG am Küchentisch
Für Neugierige und Bastler gibt es mittlerweile relativ preisgünstige EEG-Kits, zum Teil auch Open Source, die an einen Laptop angeschlossen werden können und mit deren Hilfe man ebenfalls zum Beispiel einen P300-Speller realisieren kann (eine Übersicht der verfügbaren Systeme gibt es hier ).
Auch bei guter Qualität der Hardware ist ein EEG aber sehr artefaktanfällig, so dass man oft lange tüfteln muss, bis man ein auswertbares Signal erhält.

Mittlerweile sind P300-Speller weiter verfeinert worden: Es existieren auch schon Versionen, die mit dem Gehör statt mit visuellem Input arbeiten, und solche, die eine automatische Vervollständigung von Wörtern (ähnlich dem von Handys bekannten T9) anbieten. Wenn die Kommunikation Buchstabe für Buchstabe auch relativ mühsam ist, kann sie Personen ohne verbliebene Sprache und Bewegung jedoch wieder einen Kanal zur Welt öffnen.
Nächster Schritt: BCI schalten sich selbst ein
Ein Hindernis auf dem Weg zu mehr Selbstständigkeit blieb jedoch bisher: Um das BCI einzuschalten, benötigt der Patient einen Helfer. Im Laufe der Zeit ist an verschiedenen Verfahren getüftelt worden, um einer vollständig gelähmten Person das selbstständige Einschalten des BCI zu ermöglichen – beispielsweise, indem es durch einen schnelleren Herzschlag des Patienten aktiviert wurde. Die bisherigen Ansätze waren jedoch recht einfach gestrickt und fehleranfällig.
Forscher der Washington University in St. Louis (USA) haben nun ein eleganteres Verfahren entwickelt: Sie zeichneten bei vier Patienten sowohl den Tag-Nacht-Rhythmus als auch die Muster der elektrischen Aktivität der Hirnrinde auf und konnten anhand von Machine Learning im Schlaf auftretende Muster von im Wachzustand auftretenden Mustern unterscheiden (M. Pahwa et al., „Optimizing the Detection of Wakeful and Sleep-Like States for Future Electrocorticographic Brain Computer Interface Applications“, PLoS One, 12.11.2015).
Die zugrundeliegenden Daten wurden zwar bei Epilepsie-Patienten erhoben, die Elektroden auf der Hirnrinde implantiert hatten – es bleibt aber zu hoffen, dass eine weitere Verfeinerung der Methode dazu führt, dass sie für jegliche Arten von BCI eingesetzt werden kann und den Patienten, die auf sie angewiesen sind, größere Autonomie bringt.