Gut zehn Jahre nach der ersten „Media Center Edition“ von Windows XP trennt sich Microsoft von dem Konzept wieder: Das neue Betriebssystem gibt es weder mit Media Center Funktionen, noch will Microsoft anders als noch bei Windows 8 ein Paket zum Nachrüsten anbieten. Selbst gewöhnliche Filme auf DVD oder Bluray lassen sich auf einem PC mit frisch installiertem Windows 10 nicht mehr ohne Zusatzsoftware abspielen, dazu fehlen schlicht die erforderlichen Codecs.
Microsoft begründet das Weglassen damit, dass zuletzt nur wenige Anwender die Funktionen des Media Centers nutzten. Doch gerade jetzt, wo das Streaming von Musik und Filmen so richtig an Fahrt aufnimmt, können viele Anwender die Entscheidung des Software-Konzerns kaum nachvollziehen. Aber keine Sorge: Mit Kodi und MediaPortal existieren ausgezeichnete Alternativen, die sogar sehr viel mehr leisten als das zuletzt nicht mehr weiterentwickelte Software-Paket von Microsoft.
Media Center und Smart TV: Was ist das genau?
Unter dem Begriff Media Center Software verstand man ursprünglich eine Software, die Musik, Bilder und Filme wiedergibt und die sich alternativ zu Tastatur und Maus per Fernbedienung steuern lässt. Dies setzt eine Fernseher-ähnliche Programmoberfläche mit wenigen, aber großen Bedienelementen voraus, die sich auch aus einigen Metern Entfernung vom Sofa aus treffsicher per Fernbedienung ansteuern lassen. Doch das lokale Abspielen von Medieninhalten genügt natürlich längst nicht mehr, heutzutage wird aus dem Netz gestreamt. Außerdem bietet das Internet längst viel mehr Dienste und Möglichkeiten, die – wenn sie das smarte TV-Gerät im Wohnzimmer nicht bietet – eben auf dem Mobilgerät genutzt werden.
Filme und Serien streamen: Netflix und Co im Vergleich
Kodi und MediaPortal gehen mit vielen zusätzlichen Smart TV-Funktionen weit über lokales Streaming hinaus, deshalb dürfte sich die Trauer um das Ende der Microsoft-Entwicklung in Grenzen halten. So haben Anwender von Windows 8.1 zwar noch die Gelegenheit, über die „Systemsteuerung -> Features zu Windows 8.1 hinzufügen“ das Media Center Pack für 9,99 Euro zu installieren, doch die zusätzliche Ausgabe lohnt angesichts der Konkurrenz kaum.

Hardware-Konkurrenz zum PC: Chromecast, Fire TV, Apple TV und Co.
Gewonnen hat der Windows-PC den Kampf um Wohnzimmer noch lange nicht, selbst nicht als kleiner, schmucker Home Theater PC (HTPC). Zum einen bieten die meisten neuen Fernsehgeräte Smart TV-Funktionen, können also ihrerseits Inhalte aus dem Heimnetz oder dem Internet abspielen. Doch selbst wer noch keinen smarten Fernseher besitzt, kann sein TV-Gerät einfach und günstig aufrüsten. Dazu bieten sich gleich mehrere Möglichkeiten an: Der Platinenrechner Raspberry Pi 2 kostet nur rund 35 Euro und lässt sich ohne großen Aufwand mit der Mediacenter-Software Kodi bestücken Die steht nämlich nicht nur für Windows, sondern auch für andere Betriebssysteme und damit auch für andere Geräte zur Verfügung, wie unser Online-Workshop erläutert.
Auch abseits dieser Lösung mit etwas Bastelcharakter existieren zudem fix und fertige Lösungen zum Nachrüsten. Mit ebenfalls 35 sehr günstig und ziemlich universell einsetzbar ist der Chromecast-Stick von Google. Er wird in eine HDMI-Buchse des Fernsehers gesteckt, per App konfiguriert und per WLAN mit dem Internet verbunden. Immer mehr Apps unterstützen Chromecast und ermöglichen damit das Abspielen auf dem großen Screen, das Mobilgerät fungiert dabei nur als Fernbedienung. Inhalte aus dem Heimnetz unterstützt der Chromecast-Stick zwar formal nicht, doch über Hilfs-Apps wie Plex oder BubbleUPnP aus dem Playstore ist auch diese Hürde schnell genommen. Mit 39 Euro im Preis ähnlich ist der neue Fire TV Stick von Amazon, doch anders als bei Google funktioniert der Fire TV Stick dank mitgelieferter Fernbedienung auch out of the box ohne zusätzliches Mobilgerät. Dafür ist die Hardware viel stärker an die Dienste des Herstellers gebunden, beispielsweise an Amazon Prime Video.

Die besten Tipps und Tricks zu Google Chromecast
Mit jeweils 100 Euro deutlich teurer aber auch mit leistungsfähigerer Hardware ausgestattet sind die etwas größeren Smart TV-Boxen von Apple, Amazon Fire TV und Google Nexus Player. Während das Google-Gerät erst seit wenigen Monaten in Deutschland verfügbar ist, stammt die derzeit weiter erhältliche dritte Generation des Apple TV noch vom März 2012 – vermutlich bringt Apple in Kürze eine neue Version mit 4K-Unterstützung.
Kodi und MediaPortal: Unterschiede beim TV-Server
Wer zwei Programme zur Auswahl hat, hat die Qual der Wahl: Ist Kodi nun besser als MediaPortal oder ist es gerade umgekehrt? Vorneweg: Beide Media Center Tools leisten sehr viel und bieten unzählige Funktionen, nicht zuletzt durch die zahlreichen Erweiterungen der Community. Da kann die Media Center Software von Microsoft nur einpacken, was der US-Konzern bei Windows 10 ja nun im wahrsten Sinne des Wortes getan hat.
Ungeachtet der gemeinsamen Stärke unterscheiden sich die Programme deutlich voneinander. Das beginnt bei der Plattform: Während MediaPortal nur für Windows zur Verfügung steht, gibt es Kodi auch in Versionen für Linux, den Mac, Android und wie erwähnt für den Raspberry Pi. Darüber hinaus beinhaltet MediaPortal einen TV-Server, der sich optional auf einem (anderen) PC im Netzwerk installieren lässt. Dieser kann als Videorekorder oder zum Streamen des Fernsehsignals im Heimnetzwerk dienen. Statt also jeden Monat aufs Neue für IP-TV-Dienste wie Magine oder Zattoo zu zahlen, kann man zuhause auf Mobilgeräten auch fernsehen, wenn man einmal in eine Empfänger-Hardware investiert. TV-Tuner gibt es von diversen Herstellern schon ab 30 Euro. Modelle in Form eines USB-Sticks sind besonders einfach zu handhaben, sie eignen sich auch für den Betrieb am Notebook, an einer Netzwerkfestplatte (NAS) und am kleinen HTPC. Wichtig: Nicht alle Tuner unterstützen DVB-T, DVB-C und DVB-S2. Achten Sie beim Kauf einer Empfangseinheit darauf, ob sie das Empfangssignal bei Ihnen zuhause unterstützt.

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Darüber hinaus unterscheiden sich die Bedienoberflächen beider Programme. Während sich das Standard-Design von Kodi gegenüber den Zeiten vor der Umbenennung von XBMC nicht verändert hat, wirkt Media Portal auf den ersten Blick moderner. Für Anfänger definitiv einfacher einzurichten aber ist Kodi: Hier installiert man einfach die Software und startet das Media Center. Das im Prinzip sofort startklar ist. Bei Media Portal dagegen muss man sich durch diverse Setup-Schritte klicken, noch aufwändiger ist die Einrichtung. Für den ersten Start wählen Sie die Option „Standard Mode“, später können – und müssen – Sie sich über die mitinstallierten Hilfsprogramme MediaPortal Configuration, MediaPortal Extension Manager, TV-Server Configuration sowie das Zusatztool MPExtended tiefer in die Konfiguration einsteigen.
Plugins und Addons: Funktionen der Media Center Software erweitern
Die grundlegenden Funktionen wie das Hinzufügen von Ordnern für die Musik-, Film- und Fotowidergabe sollen an dieser Stelle außen vor bleiben, zu Kodi haben wir bereits einen ausführen Workshop . Auch Radiodienste und Online-Videos sind bei beiden Programmen schnell aktiviert. MediaPortal erläutert ein Wiki im Detail, ähnliches gilt für Kodi .
TV-Server mit MediaPortal: fernsehen im Heimnetzwerk
Darüber hinaus lassen sich Kodi und MediaPortal über Erweiterungen mit diversen neuen Funktionen ausstatten. Dafür stehen bei MediaPortal zwei Möglichkeiten offen: Entweder über das automatisch mitinstallierte Windows-Tool MediaPortal Configuration, bei dem Sie über „Plugins -> Browse and install new Plugins – Known Extensions“ aus einer Liste die Erweiterung Ihrer Wahl installieren. Oder Sie laden sie vom Online-Portal herunter. Das können ausführbare Dateien oder solche im MPE-Format sein, die sich wiederum über den Extension-Manager einbinden lassen. Schauen Sie die Liste mit den Erweiterungen durch: Sie reicht von der IMDB-Filmdatenbank bis zum Plugin für die Fritzbox, das eingehende Anrufe auf dem Fernseher anzeigt.

Bei Kodi sind die Erweiterungen wegen des plattformübergreifenden Ansatzes anders organisiert, hier installiert man sie direkt von der Media Center Oberfläche. Dazu gehen Sie in eine Rubrik (z.B. „Videos“), dort auf „Addons -> Mehr“, wählen eines aus der Liste und fahren mit „Installieren“ fort. Eine nach Rubriken sortierte Übersicht gibt es dennoch im Netz , in Kodi selbst finden Sie die Auflistung unter „Optionen -> Einstellungen -> Addons“.
Fernbedienung per App einrichten: bequem vom Sofa
Essenziell ist die Bedienung ohne Tastatur und Maus. Denn anders als üblich am Schreibtisch möchte man den Media Center PC im Wohnzimmer natürlich nicht mit Maus und Tastatur bedienen. Zwar werden auch einige spezielle Hardware-Fernbedienungen wie die der Spielekonsole Wii unterstützt, universeller aber sind Remote Control Apps für das Smartphone oder den Tablet-PC an. Doch welche Fernbedienung funktioniert überhaupt? Zuletzt wurde die Hardware-Unterstützung etwas verbessert, Kodi unterstützt neben herkömmlichen IR-Fernbedienungen zum Teil auch solche nach dem neuen CEC-Standard (Consumer Electronics Control). Eine Übersicht finden Sie im Wiki . Wer MediaPortal verwendet, kann dank des Tools IR Server Suite fast 30 verschiedene Modelle verwenden, darunter die für den Mac Mini oder die erwähnte Spielekonsole Wii.
Die meisten Nutzer aber dürften auf eine App fürs Smartphone bzw. für den Tablet-PC zurückgreifen. Voraussetzung dafür ist, dass der PC mit der Media Center Software im gleichen WLAN-Heimnetz eingebunden ist wie das Mobilgerät. Während die offizielle Remote App für Kodi auf Android und iOS beschränkt ist, stehen für Windows Phone Lösungen von externen Entwicklern zur Verfügung. Die Auswahl von Remote Control Apps für MediaPortal ist etwas kleiner, herausragend ist hier aMPdroid für Android.
Die Kopplung von PC und Fernbedienungs-App beschränkt sich im Wesentlichen auf das Auslesen der IP-Netzwerkadresse des Rechners und die Übernahme in die App. Unser Online-Workshop erklärt im Abschnitt „Remote-App als Fernbedienung“, wie es funktioniert.

Fazit: Nicht schade um das Windows Media Center
Die eine beste Lösung für smartes TV und Home Entertainment im Wohnzimmer gibt es nicht: Wer ein Smart-TV hat und mit dem dortigen App-Angebot zufrieden ist, braucht nichts anderes. Ähnlich pragmatisch können es Besitzer der Fire TV Box sehen, wenn sie sich in erster Linie im Amazon-Universum bewegen. Wer vor allem eigene Inhalte ins Wohnzimmer streamt, bekommt sie von der Netzwerkfestplatte auch auf einfache Fernsehgeräte mit Netzwerkanschluss oder WLAN. Und YouTube-Videos, die TV-Mediatheken und vieles mehr sind perfekt für Chromecast, den Stick von Google. Ein PC Mit Kodi oder MediaPortal leistet das alles natürlich auch – und darüber hinaus noch vieles mehr. Ob einem das den Preis für die Extra-Hardware und den zusätzlichen Administrationsaufwand wert ist, muss jeder für sich entscheiden.

©Amazon
Ein Besser oder Schlechter gibt es im Übrigen weder Kodi noch für MediaPortal. Beide Programme erfüllen nicht nur die Grundbedürfnisse eines Home Theater PCs, die Plugins und Addons holen auch solche Funktionen auf den Fernseher, von denen Besitzer eines normalen Smart TV nur träumen. Wer jedoch eine ganz bestimmte Erweiterung sucht, wird vielleicht nur bei einem fündig.
An einer Stelle aber spielt Kodi seinen Trumpf aus: Es ist flexibler und läuft auch auf abgespeckter Hardware wie dem Raspberry Pi oder dem Fire TV . Das kombiniert einen günstigen Preis mit einer ausgezeichneten Software inklusive (Fern-) Bedienung und geringem Wartungsaufwand. Dem Windows Media Center von Microsoft braucht wirklich niemand nachzutrauern!