Amazon ist mutig. Denn Amazon druckt auf die Verpackung seiner neuen Settopbox für den Fernseher das Netflix-Logo, suggeriert also den Kunden, sie könnten damit Netflix sehen. Das aber ist in Deutschland offiziell noch nicht möglich, wenngleich der US-Konzern mit der Markteinführung von Fire TV hierzulande versichert, dass Netflix (und Maxdome) „in Kürze“ auf ihrem Gerät verfügbar sein werden. Vermutlich werden die beiden Video-Streamingdienste also bald auf der Amazon-Box ohne Workarounds zu empfangen sein.
Dies ist insofern bemerkenswert, als das Unternehmen mit Prime Instant Video selbst einen Streamingdienst anbietet und seine Fire-Tablets bisher eher abschottete, um mit den eigenen kostenpflichtigen Inhalten Geld zu verdienen – ein Paradigmenwechsel also.
Amazon Fire TV: einfache Bedienung, bemerkenswerte Sprachsteuerung
Kommen wir zum Gerät selbst: Zum Lieferumfang von Fire TV für 99 Euro gehören neben der Settopbox eine Fernbedienung mit zwei AA-Batterien und das Netzteil. Das war’s. Ein HDMI-Kabel zum Anschließen an den Fernseher oder ein Netzwerkkabel zum Verbinden mit dem Router alternativ zum WLAN fehlen also.
Die Inbetriebnahme ist wirklich einfach: auspacken, anschließen, Batterien in die Fernbedienung und dann fünf Sekunden die Home-Taste drücken, um die RC-Einheit mit der Box zu koppeln. Ist das erledigt, stellt man gegebenenfalls noch die Sprache um, wählt das Netzwerk aus und wartet das automatisch erfolgende Updaten ab. Wie bei Amazon inzwischen üblich, ist Fire TV bei der Bestellung über das Internet bereits mit dem eigenen Konto verknüpft. So erspart man sich die ansonsten etwas mühevolle Dateneingabe über die Bildschirmtastatur. Wer möchte, kann sich das Gerät anschließend von einem Avatar in einem netten Video erklären lassen.

Das aber dürfte für viele Käufer gar nicht nötig sein. Denn zum einen ist die Bedienoberfläche mit insgesamt elf Menüpunkten von der Suche über Prime Video bis zu den Einstellungen klar strukturiert. Zum zweiten finden sich auf der handlichen Fernbedienung neben dem Steuerkreuz gerade einmal acht Tasten, alle mit klaren Symbolen markiert.
Video on Demand: Netflix und Co im Vergleich
Die auffälligste davon ist die Taste mit dem Mikrofon. Denn Amazons Fire TV verfügt über eine wirklich gelungene Sprachsteuerung, über die man Filme und Serien nach Titel, Schauspieler, Regisseur oder Genre suchen kann. Mikrotaste drücken, hineinsprechen, den Sekunden angezeigten Begriff bestätigen und dann den gewünschten Film wählen. Dies funktioniert sehr zuverlässig und wie geradezu genial dieses Feature ist, merkt man erst, wenn man anderswo mühsamst einen Titel über die Bildschirmtastatur auswählen muss. Kinder zieht das Sprech-Feature geradezu in den Bann, sie probieren es aus, immer und immer wieder. Ihr Kommentar: „Wie cool ist das denn!“

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Bei den Videos selbst muss beschränkt sich diese Funktion derzeit auf das Amazon-eigene Angebot. Wie oder ob es Maxdome und Netflix einschließt, muss man sehen. Bei den anderen, derzeit angebotenen Apps umfasst die Sprache nur die App selbst. Wer nach „Tatort“ sucht, bekommt also neben den passenden Filmtiteln bei Amazon die ARD-Mediathek zum Auswählen. Innerhalb der App muss man sich dann aber zum gewünschten Inhalt wie gewohnt durchhangeln.
Positiv ist zudem, dass die Fernbedienung per Bluetooth funktioniert. Man muss sie also nicht Richtung Fernseher oder Box halten. Eine Sache fehlt aber dann doch. Denn Tasten für die Lautstärke gibt es nicht, man braucht also doch zusätzlich die Fernbedienung des Fernsehers.
Flotte Hardware, insgesamt gute Bildqualität
Optisch macht Fire TV eine gute Figur, die Box etwa in CD-Größe (11,5 cm im Quadrat, 1,8 cm Höhe) ist noch deutlich schlanker als Apple TV . Unter der Haube arbeiten eine Quad-Core-CPU mit bis zu 1,7 GHz und zwei GByte RAM – viermal so viel wie bei Apple TV oder Chromecast . Neben LAN (bis 100 MBit/s), WLAN (bis n-Standard) und dem HDMI-Anschluss verfügt die Box über einen optischen Audio-Ausgang und einen USB-2.0-Anschluss. Dieser ist aber derzeit ohne Rooten der Box nicht aktiv. Eine analoge Audioausgabe, beispielsweise zum Übertragen von Spotify auf eine herkömmliche Stereoanlage, gibt es nicht.
Fire TV kann Videos bis Full HD (1.080p) streamen, als Formate werden H.263, H.264, MPEG4-SP und VC1 unterstützt. Auf der Audioseite gibt die Box neben Stereoton, Dolby Digital Plus, 5.1 Surround Sound per HDMI-Übertragung bis 7.1 aus. Abgespielt werden die Formate AAC, AC-3, E-AC-3, HE-A, PCM und MP3.

Die Hardware-Voraussetzungen sind durchs gut, dennoch gab es im Test mitunter das eine oder andere Problem. So startete mancher HD-Film zwar in HD, schaltete nach kurzer Zeit aber die Qualität herunter, obwohl ausreichend Bandbreite zur Verfügung stand (WLAN und per Ethernet-Kabel). Auch beim Streamen aus den Mediatheken ruckelt es immer mal wieder. Insgesamt aber hinterlassen Bild und Ton einen ausgesprochen guten Eindruck.

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Wer zusätzliche knapp 40 Euro in den Amazon Fire Gamecontroller investiert, kann mit der Box sogar spielen. Auf das App-Angebot kommen wir gleich zurück. In der Praxis zeigen sich beim Spielen zwei Einschränkungen. Zum einen stehen vom acht GByte großen internen Speicher nur gut fünf zur Verfügung. Manche Spiele benötigen aber schon fast zwei GByte Speicherplatz, so dass dieser schnell knapp wird. Zum zweiten ist Fire TV keine Spielekonsole im engeren Sinn, also nicht mit den „richtigen“ Konsolen von Microsoft, Nintendo und Sony zu vergleichen – das wird bei Performance und Grafikpower schnell deutlich. Viele der von Amazon angebotenen Apps laufen dennoch flüssig, zum Spielen zwischendurch ist Fire TV also gut brauchbar.
Google TV, Apple TV und Videoweb im Vergleich
Schließlich verfügt Fire TV über eine Kindersicherung, über die sich Inhalte (Spiele und Apps sowie separat die Fotos), Einkäufe und Amazon Videos sperren lassen. Hier gibt es allerdings nur „ein“ oder „aus“, eine altersabgestufte Freigabe fehlt.
Apps und Spiele, eigene Streams und Android-Apps als APKs
Im Vordergrund der Box steht das Amazon-eigene Videostreaming: Die Prime Instant Video Inhalte stehen allen Kunden ohne weitere Kosten zur Verfügung, die für eine Jahresgebühr von 49 Euro die Prime-Option buchen. Allerdings sind längst nicht alle bei Instant Video Bestandteil der Jahres-Flatrate, wie der Test der Video-on-Demand-Dienste zeigt. Die „Filme im Einzelabruf“ kann man entweder zu Preisen zwischen zwei und fünf leihen oder für sechs bis 17 Euro kaufen, diese erscheinen anschließend in der „Bibliothek“.

Größer – aber wegen zusätzlicher Abos auch teurer – wird das Film- und Serienangebot, sobald Netflix und/oder Maxdome implementiert sind.
Gut überschaubar ist auch noch das App-Angebot. Unterteilt in die verschiedenen Rubriken beschränkt sich die Auswahl jeweils auf wenige Apps. Immerhin sind die Mediatheken der öffentlich rechtlichen Fernsehsender, YouTube, TuneIn Radio, Spotify, Zattoo TV, Tools wie Plex und einiges mehr dabei.
iFixit zerlegt Amazons Fire TV
Größer ist das Angebot bei Spielen, hier ließen sich zum Deutschland-Start immerhin fast 200 Games installieren. In dieser Rubrik ist allerdings ein beträchtlicher Teil der Inhalte kostenpflichtig, man muss also wie bei Android oder iTunes meist ein paar Euro pro Spiel bezahlen. Download und Installation der Apps ist einfach.
Die genannte Plex-App ist denn auch, die das Streamen von anderen Geräten ermöglicht. Denn aktuell unterstützt Fire TV das Abspielen weder per DLNA noch über den USB-Anschluss. Installiert man dagegen Plex auf der Settopbox und als Server auf einer Netzwerkfestplatte oder einem Android-Smartphone bzw. -Tablet, lassen sich auch externe Inhalte abspielen. Ansonsten bleibt nur der Weg über Amazon Cloud Drive – hier sind allerdings nur fünf GByte kostenlos.

Zunächst einmal bildet Fire TV ein in sich abgeschlossenes System – allerdings eines auf Android-Basis. Und das heißt, dass sich mit ein paar Tricks (fast) alle Apps aus Googles Playstore installieren lassen. Dazu sind auf der Amazon-Box über „Einstellungen -> System-> Entwickleroptionen” die beiden Optionen „ADB Debugging“ und „Apps unbekannter Herkunft“ zu aktivieren. Wichtig ist ferner die aktuelle IP-Adresse von Fire TV, die Sie über „Einstellungen -> System -> Info -> Netzwerk“ herausfinden. Die weiteren Schritte, die Android-Apps als APK-Dateien auf dem Fire TV zu installieren, würden den Rahmen dieses Tests sprengen. Doch mit der Kombination aus den PC-Tools Google Play Desktop Client Raccoon zum Erstellen der APKs und Amazon Fire TV Utility App oder adbFire ist dies sehr einfach.
Fazit: gute Box mit vielen Ausbaufähigkeiten
Wer im Herbst nicht zu den ersten Bestellern in Deutschland gehörte, muss ohnehin warten – fast zwei Monate. Doch die Wartezeit lohnt sich durchaus, insbesondere dann, wenn „in Kürze“ die Streamingdienste Maxdome und Netflix hinzukommen. Denn im Praxistest überzeugt Fire TV insgesamt. Die Box arbeitet schnell und die Filmauswahl per Sprache funktioniert ausgezeichnet. Sie ist im Gegensatz zu herkömmlicher Fernbedienung und Bildschirmtastatur geradezu ein Segen. Und selbst als Gaming-Box für zwischendurch ist die Fire TV zu gebrauchen, das bietet Apple TV (derzeit) nicht. Im Gegensatz zu Googles Chromecast-Stick arbeitet Fire TV autonom, man braucht also kein weiteres Mobilgerät zum Streamen.
Enttäuscht hat das derzeit geringe App-Angebot sowie die eingeschränkten Abspielmöglichkeiten: Keine DLNA-Unterstützung und eine USB-Buchse, die nicht aktiv ist, sind einfach nicht zeitgemäß. Zwar lassen sich diese Schranken vergleichsweise einfach überwinden, das passt aber nicht zum ansonsten durchdachten Bedienkonzept inklusive der schnellen Filmauswahl. Nicht bewertet werden soll an dieser Stelle das Filmangebot von Amazon (Prime) Video: Hier wünschen sich manche Kunden sicher mehr, aber die Filmrechte sind nun einmal Verhandlungssache mit den großen Filmstudios.

Zum Schluss darf ein Blick auf die „Folgekosten“ nicht fehlen: Die Box verbraucht im Standby-Betrieb knapp zwei Watt pro Stunde, die Stromkosten summieren sich somit auf rund fünf Euro pro Jahr. Ach ja: Einen Aus-Button besitzt Fire TV nicht, die Box schaltet vielmehr nach 30 Minuten Nichtbenutzung in den Standby-Modus.