Hier geht es um die Konsequenzen eines kompletten Systemumzugs auf Linux. Während Dualboot und Virtualisierung stets den Rückgriff auf Windows und Windows-Software erlauben, sind Sie bei einem reinen Linux-System künftig ausschließlich auf Linux-Software angewiesen. Bei privater Nutzung gibt es keine Einschränkungen: Multimedia, Office, Mail, Archiv – für alles gibt es gute und zum Teil auch unter Windows populäre Software. Homeoffice in Zusammenarbeit mit Word- und Excel-Nutzern ist in den allermeisten Fällen und mit etwas Toleranz ebenfalls problemlos.
Sicherung der Benutzerdaten
Oberste Pflicht vor einem Überschreiben der Windows-Partition durch Linux ist die Sicherung aller Benutzerdateien. Am einfachsten geschieht dies auf einen externen USB-Datenträger. Einen pauschalen Königsweg gibt es dabei nicht: Externe Klonsoftware wie Rescuezilla sichert zwar lückenlos, aber zu 95 Prozent Windows-Systemballast, den Sie nicht mehr brauchen.
Ob eine Sicherung des gesamten Benutzerordners „Users“ oder eines Benutzerkontos „Users[Name]“ genügt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob der Windows-Benutzer seine Daten in den vorgesehenen Ordnern wie „Dokumente“, „Bilder“ abgelegt hat oder außerhalb des Benutzer-Homes. Wir bringen daher nur zwei Beispiele als Anregung:
Wer sehr genau weiß, welche Dateitypen gesichert werden müssen, kann sich mit einer stark gefilterten und ballastfreien Lösung in der Eingabeaufforderung oder in Powershell begnügen (im Beispiel ist C: die Windows-Partition, E: das Backuplaufwerk):
xcopy /kreisch c:*.xls? e:
xcopy /kreisch c:*.doc? e:
xcopy /kreisch c:*.mp3 e:
…
Eine umfassendere Sicherung der Benutzerdateien, die dennoch den kompletten Windows-Ballast wegfiltert, erzielen Sie mit Robocopy (Beispiel):
robocopy c: e: /MIR /XD "Windows" "Program Files*" "$*" "Boot" "ProgramData" "Microsoft*" "Config.msi" "MSOCache" "Intel" "PerfLogs" "Cache*" "Packages" /XJD /W:0 /R:0
Orientieren Sie sich am Hauptverzeichnis, um die größten unnötigen Ordner nach „/XD“ (Exclude Directory) von der Sicherung auszuschließen. Das funktioniert nur lückenlos, wenn Sie sich im Explorer auch die versteckten Ordner anzeigen lassen („Ansicht –› Ausgeblendete Elemente“). Lassen Sie sich Zeit für die Filterregeln und kontrollieren Sie zunächst mit zusätzlichem Schalter „/L“ die Auswirkung:
robocopy c: e: /MIR /XD "Windows" "Program Files*" […] /XJD /W:0 /R:0 /L
Wenn Robocopy mit „/L“ immer noch zu viel Ballast meldet, fügen Sie weitere Exclude-Angaben hinzu. Erst sobald Sie mit der „/XD“-Filterliste zufrieden sind, lassen Sie Schalter „/L“ weg und starten damit die tatsächliche Sicherung. Für den Backupdatenträger gelten keine besonderen Einschränkungen, weil Linux NTFS, FAT32 wie exFAT unterstützt – mit einer Ausnahme:
Verschlüsselung! Gesicherte Benutzerdateien nützen Ihnen später nichts, wenn sie mit einer Methode verschlüsselt wurden, die Linux nicht beherrscht. Windows Pro erlaubt die NTFS-native EFS-Verschlüsselung von Ordnern und Dateien. Wenn Sie auf FAT32, exFAT oder ins Netzwerk sichern, geht diese Verschlüsselung automatisch verloren und die Dateien sind unter Linux nutzbar. Wenn Sie jedoch auf einen NTFS-formatieren Datenträger sichern, sollten Sie mit
cipher /n /u
nach EFS-verschlüsselten Dateien fahnden und die Verschlüsselung über „Eigenschaften –› Erweitert“ entfernen. Analoges gilt für auch für andere Verschlüsselungsmethoden, die unter Linux nicht unterstützt werden: Nutzen Sie die Verschlüsselungsoption unter Microsoft Office? Haben Sie Winrar-Archive mit Passwort angelegt? Und es gibt diverse weitere Windows-Tools, die nicht plattformübergreifend verschlüsseln. Positive Ausnahmen sind 7-Zip und Veracrypt .

Siehe auch: 16 Linux-Funktionen, die kaum einer kennt
Sicherung von Einstellungen
Zahlreiche plattformunabhängige Programme laufen sowohl unter Windows wie Linux und nutzen hier wie dort dieselben Konfigurationsdateien. Dieses Thema ist aber für die Masse von Software an dieser Stelle nicht abzuarbeiten. Eine Sicherung des Benutzerordners unter Windows oder die oben beschriebene Robocopy-Sicherung, die den „Users“-Pfad einbezieht, sollte aber alle wesentlichen Einstellungen berücksichtigen. Trotzdem bleibt dann immer noch die Aufgabe, beispielsweise eine Datei „sitemanager.xml“ mit den FTP-Zugangsdaten für Filezilla unter Linux wieder an die richtige Stelle zu kopieren.
Das Beispiel soll mahnen, auf Software mit Zugangsdaten und Kennwörtern besonders sensibel zu achten: Es ist kein großes Problem, einen Medienplayer neu einzurichten, egal ob dieser an sich plattformübergreifend wäre oder nicht. Wenn Sie aber Anmeldedaten samt Ihrer Windows-Software über Bord werfen, entstehen ernste Probleme. Ob Sie diese Daten direkt per Konfigurationssicherung übernehmen können oder notfalls extern notieren müssen, hängt von der Software ab.
Webbrowser: Erfreulicherweise ist die wichtigste Software mit Authentifizierungsdaten mühelos von Windows nach Linux zu übertragen, nämlich Webbrowser und Mailclient. Beim Browser brauchen Sie nicht einmal eine lokale Sicherung, sofern Sie die überall angebotene Cloudsynchronisierung verwenden (Chrome, Firefox, Edge, Opera, Vivaldi – alle plattformunabhängig).
In Chrome/Chromium brauchen Sie nur ein Google-Konto. Über „Einstellungen“ und „Google und ich“ können Sie die Synchronisierung aktivieren und über deren Umfang bestimmen. Alles zu synchronisieren ist am bequemsten, wichtig sind aber nur Lesezeichen und Passwörter. Ist dies auf einem beliebigen Windows- oder Linux-Rechner erfolgt, dann erhält jeder Chrome/ Chromium, den Sie später auf einem anderen System installieren, dieselben Lesezeichen und Kennwörter – sobald Sie auch dort die Synchronisierung aktivieren.

Firefox bietet die Synchronisierung unter „Einstellungen –› Synchronisation“. Auch hier benötigen Sie ein Konto auf dem Mozilla-Server. Ist dieses eingerichtet, können Sie die Synchronisierung im gewünschten Umfang starten. Jeder weitere Firefox auf einem neuen System erhält bei aktivierter Synchronisierung dieselben Einstellungen.
Mail und Thunderbird: Wer seine Mails im Browser liest und schreibt (Webmailer), muss sich generell nicht umstellen. Nicht viel anders liegt der Fall, wenn Sie zwar ein lokales Mailprogramm, aber das IMAP-Protokoll verwenden. Dann liegen alle Mails auf dem Server und es genügt unter Windows wie Linux das Einrichten des IMAP-Kontos im Mailprogramm.
Besonders einfach gestaltet sich ein Umzug oder Parallelbetrieb, wenn Sie unter Windows das Mailprogramm Thunderbird nutzen. Thunderbird trennt zwischen Programm- und Benutzerdaten. Letztere befinden sich unter Windows im Ordner „%appdata% ThunderbirdProfiles[xxxxxxxx].default“, wobei das achtstellige „xxxxxxxx“ für eine zufällig generierte Zeichenkombination steht. Wenn Sie alle Daten dieses Ordners kopieren und unter Linux im Pfad „~/.thunderbird/[xxxxxxxx].default/“ einfügen, können Sie sofort wie gewohnt mit allen Mails und Einstellungen weiterarbeiten. Vor der Aktion muss Thunderbird unter Linux installiert werden und einmal gestartet sein, damit der Ordner „~/.thunderbird/ [xxxxxxxx].default/“ existiert. Löschen Sie dort vor der Kopieraktion alle Dateien, die Thunderbird automatisch erstellt hat.
Outlook und Thunderbird: Thunderbird kann auch aushelfen, um alle Maildaten unter Windows aus Microsoft Outlook zu importieren. Diese Option bietet das Mailprogramm beim Setup automatisch an. Danach transportieren Sie das Thunderbird-Profil – wie oben beschrieben – nach Linux.
Festplatten & SSDs: Tipps zum Umgang unter Linux
Software unter Linux
Für alle empfohlenen Desktopdistributionen gilt: Ab Installation sind Sie mit der vorinstallierten Software für alle wesentlichen Aufgaben gerüstet – und mehr noch: Die von Windows gesicherten Benutzerdaten sind allesamt lesbar, abspielbar und weiterzubearbeiten. Ausnahmen gibt es allerdings: Manche proprietäre Formate wie Indesign sind unter Linux nicht unterstützt.
Musikformate wie MP3, WMA, FLAC, AAC, WAV oder OGG spielen alle Standardplayer. Stets zu empfehlen ist der multifunktionale VLC , der alle gängigen Musikformate abspielt. Eigentliche Kernkompetenz des VLC sind aber Videos und Filme jeden Formats. Pixelgrafiken wie JPG oder PNG sind generell problemlos. Vorinstallierte Viewer wie Eog (Eye of Gnome) oder Shotwell kennen alle gängigen Formate und genügen für Thumbnailübersicht und Diashow. Anspruchsvolle Bildbearbeitung leistet Gimp , das alle Bildformate beherrscht. Lediglich bei proprietären Formaten von Photoshop, Illustrator, Corel Draw ist gelegentlich mit Fehlern zu rechnen.

Das meist vorinstallierte Libre Office lädt und bearbeitet alle Dateien, die mit Microsoft Office erstellt wurden (mit Ausnahme von Access-Datenbanken). Hundertprozentige Kompatibilität ist aber nicht erreichbar. Word, Excel und Powerpoint bieten etliche Formate, mathematische Funktionen, Diagrammtypen oder Übergangseffekte, die Libre Office nicht kennt. Bei der Weiterbearbeitung müssen Sie daher gegebenenfalls nachbessern. Geben Sie Dateien am besten im älteren DOC- oder XLS-Format an Windows-Nutzer weiter (nicht DOCX, XLSX). Word & Co. verstehen aber auch die nativen Open-Document-Formate von Libre Office (ODT, ODS).
Noch bessere Kompatibilität zu Microsoft Office bietet Softmaker Office . Die Standardversion kostet 69,95, Softmaker Professional 2021 mit Duden Korrektor und weiteren Ergänzungen 99,95 Euro.
Wine & Playonlinux
Das ambitionierte Wine ist ein Nachbau der Windows-API mit dem Ziel, Windows-Software unter Linux zu ermöglichen. Die Erfolge, die Wine vorweisen kann, fallen qualitativ sehr unterschiedlich aus: Dass eine konkret benötigte Version einer Windows-Software einen störungsfreien „Platinum“- oder „Gold“-Status erreicht, bleibt aber ein Glücksfall. Nüchtern bewertet ist Wine eine Dauerbaustelle, die man Windows-Umsteigern nicht als Standardwerkzeug oder gar Allheilmittel empfehlen kann. Trotzdem kann sich die gezielte Recherche in der Wine-Datenbank lohnen. Denn falls hier ein für Sie wichtiges Programm unter „Gold“ oder „Platinum“ erscheint, dann ist Wine die einfachere Lösung gegenüber Dualboot oder Virtualisierung.
Das zusätzliche Werkzeug Playonlinux ist nur ein Organisationstool für Wine. Aber es vereinfacht Installationen von Software und bietet eine Verwaltung für mehrere Wine-Versionen. Playonlinux ist über
sudo apt install playonlinux
zu installieren und bringt dabei automatisch ein aktuelles Wine mit. Wenn ein Programm eine andere Wine-Version bevorzugt, erledigt Playonlinux dessen Einrichtung bei der Installation mit. Das Tool erstellt im Pfad „~/.PlayOnLinux/wineprefix“ jeweils eine eigene virtuelle Windows-Partition für jedes installierte Programm. Der Aufwand ist beträchtlich und sollte nicht für jedes marginale Windows-Tool erfolgen.
Wenn Sie Playonlinux starten, klicken Sie zunächst auf „Installieren“. Das Installationsmenü zeigt Windows-Programme und Spiele, für die es bewährte Installations-Scripts gibt. Mit der Auswahl und „Installieren“ dieser Softwarevorgaben sind Sie auf der sicheren Seite. Ist die gewünschte Software in den Vorgaben nicht enthalten, können Sie folgenden Weg versuchen: Im Installationsmenü klicken Sie unten auf „Installiere ein Programm, das nicht aufgelistet ist“. Damit startet die manuelle Installation, bei der Sie die Option „Installiere ein Programm in einem neuen virtuellen Laufwerk“ anklicken und für die neue Umgebung einen Namen vergeben. Den nächsten Dialog überspringen Sie mit „Weiter“, sofern Sie mit den Optionen nichts anfangen können. Nun entsteht eine generische Windows-Umgebung unter „~/.PlayOnLinux/wineprefix /[Name]“, in die Sie im nächsten Schritt das Windows-Programm installieren. Ob die Software dann ohne spezielle Anpassung funktioniert, ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang.