In den letzten Monaten hat sich ein regelrechter Trend hin zu preisgünstigen Mini- Rechnern herauskristallisiert, deren bekanntester Vertreter der Raspberry Pi ist. Die Leiterplatte des Einplatinencomputers mit ARM-CPU ist gerade mal so groß wie eine EC- oder Kreditkarte. Vom Prozessor über den Speicher, den SD-Kartenslot, die Audiobuchse bis hin zu den Anschlüssen für USB, Netzwerk, Video und HDMI ist alles auf der Platine untergebracht – und das für gerade mal rund 35 Euro. Seit seiner Veröffentlichung im Februar 2012 wurde der Raspberry Pi bereits eine Million Mal verkauft. Für die kleine Entwicklerfirma, die britische Raspberry Pi Foundation, die unter anderem von dem legendären Spieleentwickler David Braben („Elite“, „Frontier“) und Broadcom-Technikchef Eben Upton 2009 gegründet wurde, kam der Erfolg übrigens ganz unerwartet: Der Raspberry Pi wurde ursprünglich für den Unterricht an Schulen entworfen, um Schülern eine einfache, günstige und ausgiebig dokumentierte Computerplattform für eigene Bastelprojekte zur Verfügung zu stellen. Über den rein akademischen und didaktischen Bereich hinaus hatte der Raspberry Pi seit seiner Vorstellung 2012 in Windeseile eine riesige Fan-Gemeinde. Für Elektronikbastler und ambitionierte Linux-Nutzer ist das Gerät genau das passende Puzzlestück für die Realisierung eigener Projekte. Egal, ab welchem Schwierigkeitsgrad. Dort, wo ein ausgewachsenes Betriebssystem mit mehreren verbreiteten Programmiersprachen, Compilern und praxistauglicher Bildschirmausgabe benötigt wird, ein programmierbarer Mikro-Controller wie der gleichfalls sehr erfolgreiche Arduino jedoch zu schlicht wäre, hat sich der Raspberry Pi eine Nische erobert und von dort aus eine echte Mini-PC-Revolution ausgelöst. Zusätzlich zu den bekannten Verwendungsmöglichkeiten als Player und winziger Linux-Server haben findige Bastler und Elektronikspezialisten eine Reihe genialer, kurioser oder schlicht abgehobener Einsatzbereiche gefunden.
Die besten Verwendungsmöglichkeiten für Raspberry Pi
NAS: Stromsparender Datei-Server

Ein ausgewachsenes NAS (Network Attached Storage) für die zentrale Bereitstellung von Speicherplatz im Netzwerk ist teuer, wenn die Hardware professionellen Ansprüchen gerecht werden soll. Hier bietet sich der Eigenbau eines NAS anhand von regulärer oder gar bewährter, ausrangierter PC-Hardware an. Diese Lösungen sind aber wuchtig, außerdem benötigen sie mit einem normalen Computergehäuse viel Platz und vergleichsweise viel Strom. Der Raspberry Pi kann hier als Alternative dienen. Zwar ist der Datentransfer im Netzwerk auch beim Modell B des Raspberry Pi durch den über USB angesteuerten 100-MBit-Anschluss auf maximal 10 MB/s reale Übertragungsrate begrenzt. Für den Zugriff auf Dokumente, Videos, Fotos und Musikdateien im Heimnetzwerk ohne mehrere gleichzeitige Verbindungen genügt dies jedoch. Der enorme Vorteil gegenüber fertigen Lösungen und den Fähigkeiten von besseren WLAN-Routern mit USB-Port ist das vollwertige Linux-Betriebssystem eines Raspberry Pi. Beliebige Netzwerkprotokolle lassen sich damit konfigurieren. Etwa Samba (Windows-Netzwerk), FTP, SSH, NFS oder sogar Gluster FS. Das ermöglicht den Zugriff von beliebigen anderen PCs und Geräten. Für das verwendete Linux-Betriebssystem gibt es regelmäßige Updates, sodass man nicht mit der mickrigen oder fehlerhaften Firmware eines Fertig-NAS oder Routers gestrandet ist. Und sogar für das gleichzeitige Herunterladen von Dateien über Bit torrent bietet der Mini-PC noch genügend viel Leistung. Unschlagbar ist der Einsatz des Raspberry Pi als NAS beim Stromverbrauch: Der eigentliche PC benötigt zwischen 2,5 und 3,5 Watt. Hinzu kommt gegebenenfalls noch eine externe USB-Festplatte (2 bis 8 Watt). Herkömmliche Netzwerkspeicher genehmigen sich teilweise über 50 Watt. Auf der angeschlossenen Festplatte können außerdem beliebige Dateisysteme zum Einsatz kommen. Der Aufwand zum Selbstbau ist niedrig und ein gutes Einstiegsprojekt für angehende Raspberry-Bastler, die mit den verfügbaren Linux-Systemen auf diese Weise ausgiebig Erfahrungen sammeln können. Extra-Hack: Mit einem Webserver, PHP, Mysql und Owncloud dient die selbst gebaute NAS-Box zudem als individueller Cloud-Speicherdienst, der über Portforwarding auf dem angeschlossenen Router und eine schnelle Internetverbindung auch von außen erreichbar ist. Wie immer sollte man bei solchen selbst gehosteten Diensten darauf achten, dass der Datenverkehr über HTTPS verschlüsselt erfolgt.
Raspberry Pi: Der Computer im Eigenbau
Streaming-Client und Airplay-Receiver

©Quelle: Erik Russel (http://blog.bluedaylabs.com)
Über DLNA können viele Smart-TVs und natürlich Android-Geräte Musik- und Videodaten von einem DLNA-Server im Netzwerk abspielen. Dank des Audio- und Videoausgangs über HDMI kann auch ein Raspberry Pi jedes Fernsehgerät kostengünstig in einen frei konfigurierbaren Smart-TV verwandeln oder Musik direkt über das Netzwerk zur Stereoanlage streamen. Der Vorteil des Raspberry ist nicht nur der geringe Kostenaufwand, sondern auch der schier unbegrenzte Codec-Support. Um Protokolle ist der Mini- Rechner ebenfalls nicht verlegen: Außer mit DLNA kann das installierte Linux-System mit Apple Airplay umgehen und bietet damit eine Alternative zu den teuren Geräten von Apple. Mithilfe des Perl-Programms Shairport und Linux-Erfahrungen lässt sich der Rasp berry Pi in einen von Apple-Geräten erkannten Audio-Receiver verwandeln. Eine recht ausführliche, englischsprachige Anleitung da zu liefert Jordan Burgess auf seiner Webseite. Darüber hinaus liefert das Linux-System Raspbmc die komplette Multimedia-Zentrale XBMC speziell für den Raspberry Pi. In der aktuellen Version kann sich Raspbmc außerdem als Airplay-Receiver ausgeben – sowohl für Audio als auch für Video.
Lapse Pi: Zeitraffer-Steuerung
Was passiert, wenn sich der Raspberry Pi und ein professioneller Fotograf mit Elektronikbegeisterung treffen, zeigt das Projekt von David Hunt. Der Mini-PC wird bei ihm als programmierbarer Mikro-Controller eingesetzt, um bewegte Zeitrafferaufnahmen zu steuern, bei denen die Kamera auf einem Dolly sitzt. Dem Raspberry Pi kommen hier mehrere Aufgaben zu: Er betätigt in Intervallen den Selbstauslöser der Kamera über einen Pin-Ausgang und bewegt den Aufbau mithilfe eines Motors langsam auf selbst gebauten Schienen. Sein „Lapse Pi“ genanntes Projekt dokumentiert David Hunt mit beeindruckenden Demo-Videos . Dort finden sich außerdem Schaltpläne und Codebeispiele.
Brew Pi: Automatisiert Bierbrauen

©Quelle: http://brewpi.com
Ein richtig ausgefallenes Projekt, das mithilfe des Raspberry Pi realisiert wurde, ist die automatisierte Brauvorrichtung Brew Pi. Dabei handelt es sich um einen Aufbau zum Bierbrauen für den Eigenbedarf, mit dem sich der Fermentierungsprozess in einer temperaturgeregelten Umgebung auf 0,1 Grad genau kontrollieren lässt. Die Elektronik von Brew Pi besteht aus einer Kombination von einem Arduino-Mikro-Controller, der von einem Raspberry Pi angesteuert wird. Der Braubehälter mit Sensoren befindet sich in einem modifizierten Kühlschrank. Ein angeschlossenes LCD gibt die aktuellen Temperaturen aus, die auch von dem Mini-PC für die Auswertung aufgezeichnet werden. Auf seiner Website hat der Hobbybraumeister eine Anleitung mit Bauplänen sowie vorgeschlagene Teilelisten veröffentlicht und dokumentiert die Entwicklung bebildert in einem Blog.
Raspberry Pi macht aus jedem Fernseher ein Smart TV
Raspberry Pi in höheren Sphären

©Quelle: Dave Akerman
Ein erfolgreiches, ambitioniertes Projekt mit dem Raspberry Pi, das einen Wetterballon mit Kamera in die Stratosphäre schickt, gelang dem Briten David Akerman. Mit einem kleinen Team ließ er einen kälte-isolierten Mini-Rechner mit 5-Megapixel-Kamera unter einem Latex-Ballon mit Wasserstoff-Füllung im südwestlichen England steigen. Der Versuchsaufbau schaffte es auf 39 994 Meter und in einem späteren Flug sogar auf 43 639 Meter. Die Bordkamera ist so konfiguriert, dass sie alle drei Minuten ein Bild macht. Für die Suche nach der Landung des Wetterballons ist ein GPS-Modus vorhanden. Sowohl Beschreibungen des Aufbaus als auch vergangene Ballonreisen mit Bildern und Berichte über zukünftige Projekte stellt der Blog von David Akerman bereit.

©Quelle: Dave Akerman
Netzwerkfähigkeiten für USB-Scanner
Scanner mit Netzwerkanschluss für die Zustellung von digitalisierten Dokumenten an eine E-Mail-Adresse sind nicht günstig, da sie für den professionellen Einsatz in Großraumbüros gedacht sind, wo die Anschaffungskosten eine untergeordnete Rolle spielen. Mithilfe eines Raspberry Pi lassen sich gewöhnliche USB-Scanner mit Netzwerkfähigkeiten ausstatten, wie ein Selbstbauprojekt von Eduardo Luís zeigt. Auf seiner Webseite skizziert er den Aufbau mit Pin-Belegung und Python-Scripts, um einen Scanner an den Raspberry Pi anzuschließen und einen Scan per Knopfdruck an eine EMail- Adresse zu schicken.
Autonomer Roboter auf hoher See
Nicht weniger als eine Atlantiküberquerung plant das Team von Fishpi . Ausgestattet mit Solarzellen, Akkus, GPS, Satelliten-Uplink und dem Raspberry Pi soll das Boot mit einer Rumpflänge von 1,7 Metern fit für eine autonome Seereise werden. Bis es so weit ist, arbeiten die Freizeitentwickler an einem kleineren Testmodell, das immerhin schon Binnengewässer meistert. Der ambitionierte Plan sieht vor, dass Fishpi auf der großen Reise zumindest einige Daten über Sensoren sammelt, die wissenschaftlich verwertbar sind. Autonome Roboter zur Ozeanographie sind bislang noch Prestigeprojekte mit einem Budget von mehreren hunderttausend Euro. Fishpi möchte die Entwicklungskosten unter 20000 Euro halten. In der aktuellen Testphase sitzt der Raspberry Pi noch im Rumpf eines Bootes, Meereswissenschaftler haben allerdings schon ihr Interesse angemeldet.
Hoch gestapelt: Cluster mit Raspberry Pi

©Quelle: Simon J. Cox, University of Southampton
Die Universität von Southampton verband 64 Platinen des MiniPCs zu einem Cluster. Jedes Einzelsystem ist per Message Passing Interface über Ethernet verbunden. Es schließt die Platinen zu einem Parallelrechner zusammen, auf dem ein Debian GNU/Linux 7 läuft. Der ganze Cluster wird normal aus der Steckdose mit Strom versorgt und das Gehäuse besteht aus Legosteinen. Aufgrund der eher bescheidenen Rechenleistung der ARMProzessoren ist der Cluster natürlich kein Superrechner, und es gibt auch keine Leistungsangaben in FLOPS (FloatingPoint Operations per Second). Diese dürften für das Gesamtsystem, das als Superrechnersimulation dient, bei etwa 1,6 TeraFLOPS liegen – das ist etwas weniger als eine einzige Geforce GTX 295 liefert.