Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt will die Autobahn A9 zwischen Berlin und München zur Teststrecke für selbstfahrende Autos machen. Doch was versteht man überhaupt unter einem selbstfahrenden Auto? Wie funktioniert diese Technik und wie kann man die verschiedenen Arten des automatisierten Fahrens unterscheiden? Wir geben einen umfassenden Überblick.
Wir rückten mit der Video-Kamera im BMW-Forschungszentrum im Nordwesten von München an: Wir filmten eine längere Ausfahrt mit einem hochautomatisiertem Testwagen, der vollgestopft mit Umgebungserfassungssensoren und leistungsfähigen Rechnern eine vorgegebene Route über die A9 und die A92 zum Münchner Flughafen und zurück fuhr. Michael Aeberhard, Teilprojektleiter Hochautomatisiertes Fahren bei der BMW Group Forschung und Technik, saß hinter dem Steuer des 5er BMW – und machte während der Fahrt mit Tempo 120 lange Zeit nichts. Wobei: Ein paar Mal musste Aeberhard doch eingreifen, aber dazu später.
Nach unserer Rückkehr am BMW-Forschungszentrum beantwortete uns Dr. Werner Huber, Leiter Fahrerassistenz und Perzeption bei der BMW Group Forschung und Technik, die wichtigsten Fragen zu technischen und juristischen Details rund um das Thema automatisiertes Fahren.
PC-WELT-Video: BMW zeigt hochautomatisiertes Fahren auf der A9/A92:
Begriffsdefinition: Assistiertes, teilautomatisiertes, hochautomatisiertes und vollautomatisiertes Fahren
Was bedeutet hochautomatisiertes Fahren eigentlich? BMW unterscheidet hierzu zwischen fünf verschiedenen Stufen des Fahrens:
a) Der Fahrer fährt komplett selbstständig und ohne nennenswerte Technik-Eingriffe
b) Der Fahrer fährt selbstständig, wird aber durch Fahr- und Sicherheitsassistenten unterstützt. Hier sind ACC, Totwinkelassistent und Spurhalteassistent sowie zunehmend auch Notbrems-Assistenten als typische Beispiele zu nennen. Dieses so genannte assistierte Fahren war lange Zeit hochpreisigen Fahrzeugen aus der Kategorie 5er/7er BMW, Audi A6 oder Mercedes-Benz E- und S-Klasse vorbehalten, findet aber mittlerweile auch immer größere Verbreitung in preiswerten PKWs wie beispielsweise dem Golf VII oder dem neuen Mazda 3.
c) Der Fahrer fährt teilautomatisiert mit deutlichen Eingriffen der Technik. Ein typisches Beispiel ist die Stop-and-Go-Funktion für Staus auf der Autobahn. Doch immer noch muss der Fahrer die Hände am Lenkrad haben und das Fahrzeug führen. Diese Technik hält nun so langsam Einzug in die Autos, BMW beispielsweise führt sie Ende 2013 als kostenpflichtige Option ein. Die neue S-Klasse bietet ebenfalls Stop-and-Go.

©BMW
d) Das hochautomatisierte Fahren: Hier fährt das Fahrzeug bis zu einem bestimmten Grad selbstständig, man muss ihm nur noch die Geschwindigkeit und das Ziel vorgeben. Der Fahrer kann die Hände vom Lenkrad nehmen und beispielsweise auf dem Bildschirm im Armaturenbrett seine Mails checken. Er muss aber innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums auf ein Warnzeichen des PKWs hin jederzeit und sofort eingreifen können. Der Fahrer kontrolliert also immer noch das Fahrzeug. Das demonstrierte uns BMW erstmals am 6. Juni 2013 auf der A9 nördlich von München im durchaus dichten Verkehr. In unserem heutigen Video dreht sich alles um dieses hochautomatisierte Fahren. BMW rechnet damit, diese Technologie um das Jahr 2020 herum serienreif anbieten zu können.
e) Das vollautomatisierte Fahren: Hier kann der Fahrer im Prinzip auf der Rücksitzbank bequem sich hinlegen und etwas schlafen. Er muss seinen PKW nicht mehr überwachen. Das ist aber noch völlige Zukunftsmusik, daran ist derzeit nicht zu denken.
Ausfahrt mit einem hochautomatisiertem BMW 5er auf der Autobahn
Am 28. November 2013 zeigte uns BMW den aktuellen Stand beim hochautomatisierten Fahren. Dazu fuhren wir in einem Testfahrzeug vom BMW Forschungszentrum in München aus auf der dreispurigen Autobahn A9 zunächst Richtung Norden und dann weiter Richtung Franz-Josef-Strauß-Flughafen auf der A92.
Unser Testfahrzeug wurde von unserem Fahrer Michael Aeberhard durch den Münchner Stadtverkehr auf die Autobahn gesteuert. Insofern war bis zum Erreichen der rechten Autobahnspur alles wie bei einem normalen Auto. Das Fahrzeug benötigte einige Sekunden, bis es seine Position korrekt auf dem Überwachungs-Bildschirm anzeigte. Der Fahrer stellte im Tempomat die gewünschte Geschwindigkeit (um die 120 Stundenkilometer) und im Navigationsgerät das Ziel, nämlich Richtung Norden, ein. Und nahm dann die Hände vom Lenkrad.
Aeberhard hatte während der Fahrt reichlich Zeit um uns technische Details des Testwagens zu erklären – weil der 5er tatsächlich die meiste Zeit ohne Lenk- oder Bremseingriffe des Fahrers fuhr. Konkret heißt das: Aeberhard hatte seine beiden Hände NICHT am Lenkrad und seinen rechten Fuß weder auf dem Gas- noch auf dem Bremspedal. Unser BMW fuhr aber keinswegs stur auf der rechten Spur einfach nur geradeaus, sondern wechselte selbstständig die Spur, um langsamer fahrend Fahrzeuge, beispielsweise LKWs, zu überholen. Nach dem Überholvorgang scherte unser Testwagen dann wieder selbstständig nach rechts ein.
Computer setzt den Blinker
Der BMW zeigte ein sehr defensives Fahrverhalten. So wurde er aus Gründen der Verkehrssicherheit eben programmiert. Ein menschlicher Fahrer hätte sicherlich schneller überholt und auch kleinere Lücken im vorbei fließenden Verkehr für Überholmanöver ausgenutzt. Unser BMW ging es dagegen gemütlich an und setzte erst dann links zum Überholen eines vor uns fahrenden LKWs an, als die Lücke zwischen zwei PKWs auf der mittleren Spur wirklich sehr groß war. Der Überholvorgang erfolgte jedoch völlig selbstständig: Der Testwagen setzte den linken Blinker und zog dann nach links auf die mittlere der drei Fahrspuren auf der A9. Nachdem wir an dem LKW vorbei gezogen waren, scherte der Testwagen wieder selbstständig auf die rechte Fahrspur ein. Das machte er mehrmals während der Testfahrt.

©BMW
Auf dem Kontrollbildschirm sahen wir ständig blaue Rechtecke, die PKWs und LKWs um uns herum symbolisierten. Dabei wurden auch Fahrzeuge angezeigt, die sich auf Parkplätzen befanden, an denen wir vorbei fuhren. Der vorne am BMW angebrachte Laser konnte sogar einige PKWs erfassen, die vor einem LKW fuhren, der wiederum direkt vor uns fuhr. Wir konnten also mit Hilfe des Lasers sozusagen durch den LKW durchschauen und sahen auf dem Kontrollbildschirm Autos, die wir mit bloßem Auge überhaupt nicht sehen konnten. Das lag daran, dass der Laser, der wie gesagt relativ tief am vorderen Stoßfänger des Testwagens angebracht war, unter dem vor uns fahrenden LKW „durchblicken“ konnte und damit das vor dem relativ hoch gebauten LKW fahrende Auto noch erfassen konnte.
Ohne Zweifel war es beeindruckend zu sehen, wie das Auto wie von Geisterhand selbstständig überholt und wieder einschert. Der Fahrer muss das Ganze aber immer überwachen und auf ein Warnsignal hin jederzeit eingreifen können. Man kann also nicht während der Fahrt ein Nickerchen, sondern muss auf dem Fahrersitz bleiben. Nur müssen eben die Hände nicht mehr am Lenkrad sein und man muss nicht mehr die Fußpedale bedienen.

Ein paar Mal musste Aeberhard tatsächlich eingreifen. Beispielsweise als wir vor dem Autobahnkreuz von der A9 auf die A92 wechselten. Das hätte das hochautomatisierte Fahrzeug zwar grundsätzlich auch selbst geschafft, doch gerade in diesem Moment verhinderte ein rechts neben uns fahrender LKW den Spurwechsel – hier war menschliches Eingriffen einfach nötig.
In einem anderen Fall fuhren wir rechts und ein LKW links von uns wollte auf unsere Spur wechseln, um von der Autobahn abfahren zu können. Da unser Testwagen den Abbiegewunsch des LKWs nicht erkennen konnte und mit stoischer Ruhe einfach weiterfuhr ohne den LKW einscheren zu lassen, entschloss sich unser Fahrer doch zum Eingreifen und bremste den BMW ab – im Zweifelsfall haben 40 Tonnen eben doch mehr Überzeugungskraft als 1,7 Tonnen…
Doch insgesamt verlief die Fahrt im hochautomatisiertem Fahren beeindruckend souverän. Die Zukunft kann kommen. Was bis dahin aber noch passieren muss (technisch und rechtlich), wie der aktuelle Stand der Entwicklung ist und wann Sie das erste hochautomatisierte Fahrzeug kaufen können – das alles erfahren Sie in unserem obigen Video.
Fahrzeugausstattung
Unser Testfahrzeug mit Automatik-Getriebe war rundherum mit Sensoren bestückt, mit denen es seine Umgebung wahrnimmt. Zusätzlich zu den von den bereits erhältlichen Sicherheitsassistenten bekannten Sensoren wie Radar, Ultraschall, Surround-View-Kameras sowie der Kamera hinter der Windschutzscheibe für den Spurverlassenswarner waren weitere Lasersensoren sowie Kameras eingebaut. Vorne, seitlich und hinten. Im Fahrzeug befand sich vor dem Beifahrersitz ein zusätzlicher Bildschirm, auf dem durchgehend die Position des Testfahrzeugs und die Lage aller erkannten anderen Fahrzeuge um uns herum angezeigt wurde.
Damit die Überwachungsrechner die genaue Position des Testwagens ermitteln können, sind GPS-Sender auf ihm befestigt. Das verwendete GPS-Signal wird noch zusätzlich verbessert, um die für GPS typischen Abweichungen heraus zu filtern und die Positionsbestimmung zentimetergenau zu machen.
Der Rechner steht im Kofferraum – und C++ ist auch mit von der Partie
Alle gesammelten Daten werden derzeit von einem mehr oder weniger handelsüblichen PC ausgewertet, der zusammen mit einem UMTS-Router im Kofferraum des Testwagens verbaut ist. Diesen Rechner können die Ingenieure direkt vom Fahrer- und Beifahrersitz aus bedienen, eine PC-Tastatur befindet sich hierzu vorne im Wagen und der kleine Monitor vor dem Beifahrersitz dient dann als PC-Bildschirm. Die Entwicklungsumgebung Visual Studio ist auf dem Rechner ebenfalls installiert, die Test-Ingenieure können also während der Fahrt sofort den Quellcode der Steuerungssoftware für das hochautomatisierte Fahren umprogrammieren (der Code wird übrigens mit dem bewährten Klassiker C++ geschrieben).
Straßenzulassung der Testfahrzeuge
Wieso darf BMW überhaupt Autos auf deutschen Autobahnen fahren lassen, bei denen der Fahrer die Hände vom Lenkrad nehmen darf? Diese Frage stellten wir Stefanie Schindler von der Forschungskommunikation von BMW. Die Antwort: „Alle unsere Forschungsfahrzeuge (egal, ob hochautomatisiert oder teilautomatisiert) haben eine spezielle Zulassung als Werkstestwagen/Versuchsfahrzeug. Diese Zulassung berechtigt uns dazu, so oft wie nötig mit unseren Versuchsfahrzeugen (auch mit unseren hochautomatisiert fahrenden Testfahrzeugen) auf der Autobahn zu fahren. Es muss jedoch stets ein geschulter Testfahrer den Wagen begleiten.“
Ist Google schon weiter?
Wenn von automatisiert beziehungsweise selbstständig durch die Gegend fahrenden Autos die Rede ist, dann fällt zwangsläufig der Name Google. Gerade in Internetforen und auf Facebook liest man immer wieder die etwas “Stammtisch-artig” vorgebrachte Behauptung, Google sei führend bei der Entwicklung von selbstständig fahrenden PKWs und hierbei den klassischen Auto-Herstellern weit voraus. Doch wie sieht die Sache wirklich aus?
Google-Auto: Erster voll funktionsfähiger Prototyp erschienen
Google fährt keineswegs generell „quer durch die USA“. Die Lizenz zum hochautomatisierten Fahren in den USA gilt laut BMW nämlich nur in bestimmten Bundesstaaten, z. B. in Nevada (und eben nicht für die gesamten USA). Die Nevada-Lizenz hat – genauso wie das hochautomatisierte Fahren mit Versuchsfahrzeugen auf deutschen Autobahnen – gewisse Beschränkungen, zum Beispiel darf nur autonom gefahren werden, wenn mindestens ein Fachmann (Testingenieur) im Fahrzeug (auf dem Beifahrersitz) sitzt, der im Notfall eingreifen kann.
Zudem sind die Verkehrsverhältnisse auf den US-Highways fast durchwegs einfacher und übersichtlicher als auf den viel dichter befahrenen deutschen Autobahnen, auf denen die PKWs zudem mit viel höheren Geschwindigkeiten fahren dürfen. Deshalb nutzte auch Audi im Januar 2015 die CES für seine spektakuläre automatisierte Fahrt mit einem A7.
Anders formuliert: Die Straßen in Nevada sind nicht besonders anspruchsvoll (Tempolimit, meist gerade aus, nicht viel Verkehr) und verlangen der IT in den hochautomatisierten Fahrzeugen nicht annähernd so viel ab wie deutsche Autobahnen und insbesondere die stark und mitunter auch etwas chaotisch befahrenen A9 und A92. Das Fahren auf deutschen Autobahnen bringt für die Entwicklung des hochautomatisierten Fahrens deutlich mehr. Eine A9/A92 mit mehreren Fahrspuren, viel Verkehr und vor allem schneller Erreichbarkeit erscheint BMW effektiver.
Bei der Aussage “Google sei schon viel weiter” darf zudem ein ganz wesentlicher Aspekt nicht vergessen werden: Google produzierte bisher überhaupt keine Autos selbst. Sondern kümmerte sich “nur” um den Teilbereich “hochautomatisiertes Fahren”. Somit war Google immer auf einen Fahrzeuglieferanten und Kooperationspartner angewiesen. Bei den bisherigen Testfahrzeugen waren das Toyota, Lexus und Audi. Das soll sich nun aber ändern, Google lässt mittlerweile 150 Stück seines ersten eigenen Autos herstellen. Allerdings werden diese von dem US-Unternehmen Roush gefertigt. Ebenfalls nicht zu vergessen: Die schaurige Optik der bisherigen Google-Fahrzeuge mit den riesigen Lidar-Aufsätzen auf dem Dach. Das war noch weit von der Serienreife entfernt. Zumal diese Konstruktion sich sehr nachteilig auf den cw-Wert, die Windgeräuschentwicklung und die Beschleunigung sowie die Höchstgeschwindigkeit und den Kraftstoffverbrauch auswirkt. Was Google aber in der Tat beherrscht ist die PR und die gekonnte “Verkaufe” seiner Fahrexperimente. Beim neuen Google-Auto dagegen ist dieser monströse Lidar-Aufsatz schon deutlich geschrumpft. Etwas merkwürdig sieht das Google-Auto aber trotzdem aus.
Gerade im Zusammenhang mit Google sollte auch der Aspekt Datenschutz nicht vergessen werden. Google sammelt ohnehin schon an allen Stellen Daten über seine Kunden. Man denke nur an die Internetsuche, Googlemail, Picasa, Google Maps und Android sowie Google+. Vor einiger Zeit dazu gekommen ist Nest – damit sammelt Google auch Benutzerdaten in den eigenen vier Wänden der Anwender.
Wenn man jetzt auch noch mit einem Auto unterwegs ist, dessen künstliche Intelligenz für das hochautomatisierte Fahren von Google kommt und dessen Daten über Google-Server laufen, dann kann Google seine Informationen über einen Nutzer noch durch ein perfektes Bewegungsprofil ergänzen. Allein der Gedanke daran dürfte vielen Auto-Fahrern die Lust auf ein Google-Auto verleiden. In diesem Zusammenhang dürfte auch die geplante Kooperation zwischen Google und Audi noch einigen Diskussionsbedarf liefern.
Marktreife
BMW rechnet derzeit damit, so ein hochautomatisiertes Fahrzeug in zirka zehn Jahren anbieten zu können (bereits im Jahr 2011 fuhr ein Versuchsfahrzeug der BMW Group Forschung und Technik ohne Fahrereingriff auf der mehrspurigen Autobahn A9 von München in Richtung Nürnberg). Damit dieses Ziel erreicht werden kann, müssen nicht nur noch viele technische Hürden genommen werden (nur ein Beispiel: Wie erkennt der Wagen selbstständig eine Autobahn-Baustelle mit den vielen durchgestrichenen Fahrbahnlinien und verhält sich dort richtig?), sondern es muss auch noch die Rechtslage geklärt werden.
“Die Haftungsfragen, wenn doch zu einem Unfall kommen sollte, befinden sich aktuell in der Klärung”, wie Silke Brigl, BMW-Pressesprecherin für ConnectedDrive, erklärt. “Dies mache BMW nicht allein, sondern im Verbund mit anderen Herstellern”, ergänzt Brigl. An dem Entscheidungs- und “Rechtsfindungsprozess” sind zudem Rechtsexperten, zuständige Behörden und die KFZ-Versicherer beteiligt.
Soweit unsere Kurzzusammenfassung. Alle Informationen und noch viel mehr Details sehen Sie aber in unserem Video oben. Starten Sie es am besten sofort. Und ganz oben finden Sie zudem eine kleine Foto-Galerie zu diesem Thema.





©BMW

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