Stellen Sie sich vor, Sie wären das allererste Mal in einem dieser riesigen Ikea-Märkte und suchten dort irgendein Produkt, sagen wir den Tritthocker „BEKVÄM“. Selbst eingefleischte Fans der schwedischen Möbelkette wissen wohl kaum auf Anhieb, welche Abteilung sie ansteuern müssen. Bleibt also nur, in den aufgestellten Terminals nachzusehen oder gleich das Verkaufspersonal zu fragen.

©Ikea
Wäre es da nicht schön, Sie könnten sich vom Smartphone direkt zum BEKVÄM-Hocker navigieren lassen? So wie beim Navi im Auto: Ziel beziehungsweise hier die Warenbezeichnung eingeben und dann nur noch der Route folgen. Genau das suggeriert die Navigation von Google in Gebäuden, bezeichnet mit Google Indoor Maps, auf den ersten Blick: „In Google Maps können Sie die Gebäudepläne ausgewählter Flughäfen, Kaufhäuser, Einkaufszentren und anderer Einrichtungen abrufen und darin navigieren“, wirbt der Suchmaschinenkonzern für seinen Bestandteil der Android-App Google Maps .
Indoor-Navigation bei Ikea im Werbevideo
Google Indoor Maps: Prinzip und Wirklichkeit
Natürlich kann man nicht einfach ins nächste Gebäude gehen und sich dort übers Smartphone zur Toilette oder sonst wohin führen lassen. Das System funktioniert nur unter zwei Voraussetzungen: Zum einen müssen die Eigentümer oder Nutzer der Immobilien detaillierte Lagepläne bereitstellen, zum zweiten müssen sie ihre Gebäude mit entsprechender Ortungstechnik ausrüsten.

©Flughafen München
Das ist im wesentlichen WLAN, wie es die GPS-Positionierung draußen ebenfalls längst unterstützt. Der Hauptunterschied zu draußen ist, dass drinnen über eine Vielzahl dieser Funksignale und deren Empfangsstärke die Position im Gebäude auf wenige Meter genau ermittelt werden kann. Die WLAN-Technik ist auch deshalb optimal, weil sie ohnehin in jedem Smartphone steckt.
Also rein in die Gebäude und los: In München eignen sich laut aktueller Firmenliste rund zehn Gebäudekomplexe für die Indoor-Navigation, darunter ein Kaufhaus, zwei Einkaufszentren, der Flughafen und zwei Museen.
Doch in der Innenstadt werden wir zunächst herbe enttäuscht: Die Ortung im Karstadt Premium-Store Oberpollinger schlägt völlig fehl, dabei sollte es nach Auskunft von Google auch hier funktionieren.

Also gegenüber zur Elektronikkette Saturn, doch wieder dort das gleiche Bild. Von einer auch nur annähernden Positionierung im Gebäude kann keine Rede sein. Die Google-App zeigt eine Ortungs(un)genauigkeit von mehr als 100 Metern.
Ist die Indoor-Navigation wirklich schon in Betrieb?
Nach dieser Enttäuschung fragen wir uns das erste Mal, ob die Indoor-Navigation tatsächlich schon in Betrieb ist. Doch, das ist sie: In den beiden Einkaufszentren funktioniert das System: zumindest die Positionsbestimmung und damit der erste Schritt. Google Indoor Maps zeigt dort immerhin den eigenen Standort und die Geschäfte ringsherum – mehr aber auch nicht. Letztlich bietet die App also nur das, was die ausgehängten Infopläne auch zeigen. Weitergehende Funktionen wie die Suche eines bestimmten Anbieters oder auch nur einer Branche wie „Schuhgeschäft“ sucht man vergebens.
Geradezu absurd endet der Navigationsversuch. Dabei versagt das System völlig und leitet kilometerweit außen um Gebäude herum. Dabei ist der per Fußgängernavigation angepeilte Shop doch nur ein paar Schritte entfernt.

Hier fehlt es schlicht an der Datenbasis, weil die Indoor Maps bisher nur die schlichten Gebäudepläne nutzen. Auch das Stockwerk mussten wir in der Handy-App auf dem Touchscreen vor Ort stets manuell eingeben – anders als im offiziellen Google Produkt-Blog zugesagt.
Zwei weitere Versuche bestätigen das uneinheitliche Bild: Während die Positionierung am Münchener Flughafen vergleichsweise gut funktioniert und das System vereinzelt sogar vernünftige Wege zu Zielen auf der gleichen Ebene vorschlug, versagt es im Deutschen Museum komplett: Hier erweist es sich als „praktisch funktionslos“.

Die Navigation zum Ziel und vieles mehr fehlt noch
Jetzt aber wollen wir es wissen: Hält wenigstens Ikea das, was das Werbevideo verspricht? Na ja, so das ernüchternde Urteil. Denn wirklich versprochen wird darin nichts, vielmehr suggeriert der Filmclip nur eine Navigationsoption wie im Auto. Das bestätigt auch Stefan Keuchel, Pressesprecher von Google Deutschland, im Gespräch mit PC-WELT: „Google Indoor Maps beschränkt sich in derzeit auf die Positionsbestimmung in den Gebäuden“.
So bleibt also trotz Google Indoor Maps (fast) alles beim Alten: Egal ob Sie bei Ikea den BEKVÄM-Tritthocker oder in einem anderen Geschäft irgendein Produkt suchen, bei dem die Zuordnung zu einer bestimmten Abteilung nicht auf Anhieb klar ist: Sie kommen kaum darum herum, beim Verkaufspersonal nachzufragen.

Fazit: Der Ansatz der Gebäudenavigation stimmt, die ersten Schritte sind gemacht, aber wirklich nur die ersten. Denn zum einen zeigt das System in der Praxis ein völlig uneinheitliches Bild: Mal funktioniert die Positionsbestimmung recht genau, in anderen Gebäuden dagegen überhaupt nicht. Doch selbst dort, wo sie funktioniert, bieten die Indoor Maps bislang kaum einen Vorteil gegenüber der Beschilderung vor Ort oder den ausgehängten Lageplänen – zumal man sich eben nicht auf die Orientierungshilfe auf dem Smartphone verlassen kann.
Dabei liegen die Vorteile einer echten Navigation in riesigen Gebäudekomplexen wie Museen, Flughäfen oder Einkaufszentren ja geradezu auf der Hand. Doch alles, was über die reine Standortbestimmung hinausgeht, lässt erst einmal auf sich warten – dazu zählt auch die ortsbezogene Produkt- oder auch nur Shopsuche. Wann hierzulande mit solchen Funktionen zu rechnen ist, ließ der Google-Sprecher offen. Warten wir also noch ein bisschen.




©Deutsche Museum



©Ikea

©Ikea

©Flughafen München



