Unter so manchem Weihnachtsbaum dürfte dieses Jahr ein Digitalrekorder gestanden haben: “Camcorder und DVD-Recorder gehörten zu den Rennern des Weihnachtsgeschäfts mit technischen Konsumgütern” meldete das Nürnberger Marktforschungsunternehmen GfK schon nach den ersten beiden Adventswochen.
Und im Gegensatz zum guten alten Bandrekorder, von dem selbst technisch Gewiefte auf Partys gerne eingestehen, dass sie ihn nicht wirklich programmieren könnten, scheint die digitale Variante das Fernsehverhalten der Zuschauer tatsächlich deutlich zu verändern. Das zeigen jedenfalls Erfahrungen in Ländern wie den USA, wo die Geräte schon länger im Einsatz sind.
Während ein Zuschauer mit dem herkömmlichen Videorecorder nur etwa drei Prozent seiner Fernsehzeit mit dem Anschauen aufgezeichneter Fernsehsendungen verbringt, sind es mit einem Digitalgerät etwa 45 Prozent, berichtete Heinrich Haase vom englischen Digitalrecorder-Produzenten Pace während der Münchner Fachtagung “Personal Video Recorder Outlook Germany 2005” im Dezember in München.

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Ähnlich euphorische Zahlen präsentierte auch Todd Waters vom amerikanischen Konkurrenten Scientific Atlanta : Rund 93 Prozent der Nutzer eines Digitalrecorders würden das Gerät mehrmals pro Woche einsetzen. Dabei steht die Timeshift-Funktion offensichtlich hoch in der Gunst der Käufer. Jedenfalls wirbt das Unternehmen, das nach eigenen Angaben in den letzten anderthalb Jahren etwa zwei Millionen Digitalrecorder verkauft hat, derzeit mit dem Slogan: Das Leben hat keine Pause-Taste, aber jetzt hat Ihr Fernseher eine (Live has no pause button, but now your TV set has).
Diese Entwicklung beeinflusst die Sehgewohnheiten enorm. In den USA, wo die Entwicklung gegenüber Deutschland deutlich weiter fortgeschritten sei, habe sich gezeigt, dass 77 Prozent der Zuschauer bei der Wiedergabe der Sendungen Werbeblöcke überspringen, berichtete Achim Kram von Gemstar , einem Anbieter von von Programminformationen auch in elektronische Form (EPG, Electronic Program Guide).

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Dabei gebe es je nach Branche jedoch riesige Unterschiede: Mit etwa 35 Prozent Missachtung kommt Bierwerbung glimpflich davon, während Kreditkarten- oder Finanzwerbung zu 95 Prozent ignoriert werde – etwa so deutlich wie Programmvorschauen.

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Professor Duane Varan vom iTV Research Institute der Murdoch Universität in Perth (Australien), ein Spezialist in der Zuschauerforschung, konnte die Tendenzen bestätigen, bemängelte jedoch methodische Schwächen in vielen Untersuchungen. Beispielsweise würden Fastfood-Anzeigen vorzugsweise dann geschaltet, wenn die Zuschauer hungrig seien – eine bislang sehr erfolgreiche Strategie, die allerdings durch eine zeitversetzte Wiedergabe des Programms zum Scheitern verurteilt sei und daher im Zeitalter der digitalen Recorder nicht mehr funktioniere.

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Die werbetreibende Industrie konnte der Professor jedoch beruhigen. “Die Werbung wird überleben, neue Anzeigenmodelle werden sich entwickeln” verkündete er in München. Daher erkundet die Industrie bereits neue Werbeformen, etwa interaktive, bei denen der Zuschauer nach dem Druck auf einen Button Inhalte sieht, die parallel auf seiner Festplatte abgelegt wurden.
Das “mentale Engagement” verdoppele sich bei diesen interaktiven Werbeformen, hat Varan in seinen Untersuchungen herausgefunden. Das sei jedoch ein zweischneidiges Schwert, weil mit jedem Tastendruck die Erwartungen des Zuschauers steigen, da er innerlich nach einer Bestätigung für seine Aktion suche. Wenn ihm dann nicht gefällt, was er sieht, kann das verletzte Ego des Zuschauers sehr nachtragend sein. Für die Firma entwickelt sich die Werbung in diesem Fall zum Bumerang: Der enttäuschte Zuschauer steht der Marke nach dem Spot ablehnender gegenüber als zuvor.